Eindrucksvolle Gedenkfeier für Euthanasie-Opfer
Das Scharren der Kieselsteine war noch zu hören, als die Musik „Ghetto“ bereits erklang. Bei der Verlegung der Stolpersteine in der Altstadt von Gernsbach hatte der Künstler Gunter Demnig bereits mit dem Freilegen der Vertiefung für den Stolperstein begonnen, als noch die Musik für die Umrahmung der Gedenkfeier spielte.
Anfang März fand die zweite Verlegung von Stolpersteinen in Gernsbach statt. Dieses Mal wurde Opfern der Euthanasie-Programmen der Nazis gedacht, die aufgrund ihrer geistigen Konstitution sterben mussten. Nun erinnern vier Stolpersteine an Luise Geiger in der Storrentorstraße 3, an Ludwig Schneiderhan in der Hauptstraße 45, und an die Brüder Albert Gebhard und Karl Gebhard in der Schlossstraße 8. Sie wurden 1940/41 im Rahmen der sogenannten T4-Aktion ermordet. Dieses Programm wurde nach dem Ort der Planungszentrale der Morde an Menschen mit Behinderungen und mit psychischen Krankheiten, Tiergartenstraße 4 in Berlin, benannt.
Gerold Stefan, Lehrer an der Musikschule Gernsbach, hatte die passenden Musikstücke für die Feier ausgesucht. Er spielte mit seiner Klarinette das Adagio von Friedrich Demnitz, „The Blessing Nigun“ von Jerry Sperling, „Jenseits der Stille“ von Niki Reiser und das Stück „Ghetto“.
Eindringlich verhallten die Melodien auf dem weiten Metzgerplatz. Dort hatten sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Gernsbachs versammelt, um den Opfer der Euthanasie-Programme der Nationalsozialisten zu gedenken.
Michael Chemelli, Bürgermeister-Stellvertreter, fand die passenden Worte, um an das unfassbare Geschehen um die Opfer der NS-Euthanasieprogramme zu erinnern. Er betonte in seiner Einführung, dass es heute die Pflicht von uns allen ist, daran zu arbeiten, dass sich ein solches Geschehen niemals wiederholt. Besonderen Dank sprach er an Stadtarchivar Wolfgang Froese aus, dessen Recherchen es zu verdanken ist, dass an die vier getöteten Gernsbacher erinnert werden kann. Bislang war wenig über die Ermordung von behinderten Menschen aus Gernsbach bekannt, daher bedurfte es grundlegender Archivarbeit, die Details und Hintergründe über den Abtransport zu finden.
„Ich bin Ludwig Schneiderhan“, begann die Darstellung der Einzelschicksale der vier Opfer durch Schülerinnen und Schüler der Realschule Gernsbach. Unter der Leitung ihrer Lehrerinnen Elvira Schulz (Geschichte) und Johanna Wilhelm-Lang (ev. Religion) hatten sie sich in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv auf diese Gedenkfeier vorbereitet. Lea Clausen, Sara Oertel, Elias Schmidt und Alica Herzog hatten die Texte, mit denen sie das Schicksal der jeweiligen Person vorstellten, in der „Ich-Form“ geschrieben und vermittelten somit eindringlich, dass sie sich intensiv auf diese Gedenkfeier vorbereitet hatten. Die Anwesenden waren betroffen von den Texten, weil sie auch in beklemmender Weise deutlich machten, wie sehr die Menschenwürde im Dritten Reich mit Füßen getreten worden war. Mit der Beteiligung der Schülerinnen und Schüler wurde ein Kern-Ziel des Gemeinderats-Beschlusses zu den Stolpersteinen umgesetzt. 2019 hatte das Gremium einstimmig beschlossen, zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus sich der Stolperstein-Aktion anzuschließen und insbesondere die örtlichen Schulen zur Pflege und kontinuierlichen Erinnerungsarbeit einzubinden.
Rita und Hans-Joachim Scholz, Pfarrer i.R. der evangelischen Gemeinde, sprachen in Anwesenheit von Dekan Josef Rösch ein Gebet.
Gemeinsam mit Mitarbeitern vom Bauhof zog der Künstler Gunter Demnig vom Metzgerplatz in die Schlossstraße 8 weiter, wo die beiden Stolpersteine für die Brüder Albert und Karl Gebhard verlegt wurden. Anwohner legten später Blumen an den einzelnen Stolpersteinen nieder.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 1/2022 im Casimir Katz Verlag am 6. April 2022