Nahe der Hauptschule Gernsbachs findet sich die Ludwig-Dill-Straße. Sie ist nach dem bekannten Maler Ludwig Dill benannt, der 1848 in Gernsbach geboren wurde – vor nunmehr 175 Jahren.
Dill gehört zu den prominenten Künstlern des 19. Jahrhunderts und seine Werke sind in Museen und Sammlungen auf der ganzen Welt zu finden.
Geburtshaus Ludwig Dill in Gernsbach
Der Vater, mit dem gleichen Vornamen Ludwig, kommt 1845 als Amtsassessor ans Gernsbacher Bezirksamt und ist während der badischen Revolution als Vertreter des Großherzogs im Amt. Die frühen Kindheitsjahre verbringt Ludwig in seinem Elternhaus am Stadtbuckel in Gernsbach, in der Hauptstraße 45 und eine Tafel erinnert noch heute an den berühmten Sohn der Stadt. 1856 wird der Vater nach Durlach versetzt. Von dort aus zieht die Familie weiter nach Stuttgart, wo der Sohn Ludwig am Polytechnikum zunächst Ingenieurwissenschaften, dann Architektur studiert. Vom Berufswunsch des Sohnes als Maler sind die Eltern zunächst nicht begeistert, doch die zahlreichen Erfolge des Sohnes beruhigen sie. „Wenn ich meinen Eltern gesagt hätte, ich wolle Kaminkehrer werden, hätten sie nicht mehr entsetzt sein können als über den Maler“, schreibt er in seinen Memoiren.
Ludwig Dill wird schon früh künstlerische Anerkennung zuteil, seine Werke sind gefragt. Den Durchbruch als Maler erreicht er durch die Werke, die er bei seinen Studienreisen durch Italien geschaffen hat.1893 wird er Preisrichter für die Weltausstellung in Chicago berufen und 1900 nach Paris.
Dill ist bei führenden Künstlervereinigungen Deutschlands jener Jahre eine treibende Kraft. 1893, im Gründungsjahr der Münchner Sezession, übernimmt er deren Geschäftsleitung und wird in Dachau sesshaft. Auch hier gibt die Landschaft dem Maler viele neue Impulse für die künstlerische Weiterentwicklung. 1894 gründet er mit anderen Kollegen außerdem die Künstlervereinigung Neu-Dachau. 1899 wird Dill an die Akademie in Karlsruhe berufen und zum Professor für Landschaftsmalerei ernannt. Diese Stellung hält er bis zum Eintritt in den Ruhestand 1919 inne.
Ludwig Dill. Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe
Nach dem Ersten Weltkrieg wird Ludwig Dill zu einer hoch geachteten Persönlichkeit, die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Karlsruhe ist nur ein Ausdruck davon. Mehrere Ausstellungen in Mannheim, Karlsruhe und München würdigen sein Schaffen als Maler.
Gernsbach ließ es sich nicht nehmen, den berühmten Künstler bereits zu seinen Lebzeiten zu ehren. So wurde 1935 anlässlich seines 87. Geburtstages eine der „neu in Angriff genommenen Straßen“ in Ludwig-Dill-Straße benannt. Zum 90. Geburtstag wird Dill zum Ehrenbürger der Stadt Gernsbach ernannt.
Ludwig Dill: Hochwasser am Altrhein.
Zum Dank schenkt Ludwig Dill seiner Geburtsstadt das Ölgemälde „Hochwasser am Althrein“. Er hat das Bild in einer Ausstellung in Baden-Baden gezeigt und ist der Meinung, es „kann sich sehen lassen“. Dill äußert aufgrund der Größe des Werkes die Bitte, ob „im Rathaus oder sonst wo, eine geeignete Wand für das Bild“ vorhanden sei. Das Gemälde entstand 1913 und ist in der Reihe seiner imposanten Baumbilder zu sehen. Es zeigt knorrige Bäume in einem überschwemmten Landstrich und ist ganz in gelb-grünen Tönen gehalten.
Die Gesundheit des Malers erlaubt ihm nicht, 1938 die Ehrenbürgerwürde Gernsbachs persönlich entgegen zu nehmen. Auf die Einladung des Bürgermeisters nach Gernsbach antwortet der Jubilar: „Ihrer gütigen Einladung nach Gernsbach zu kommen, wird bei meinem Zustand, der hoffnungslos erscheint, kaum in Erfüllung gehen.“ Ludwig Dill stirbt am 31. März 1940 in Karlsruhe.
1998 fand eine große Gemäldeausstellung anlässlich seines 150. Geburtstages statt. Unter der künstlerischen Leitung des Museumsvereins Dachau konnte die Ausstellung auch im Gernsbacher Rathaus gezeigt werden und bot eine Übersicht über die verschiedenen Schaffensperioden. Gleichzeitig erschien ein umfassender Werkkatalog, der einen umfassenden Einblick in die Werke Ludwig Dills ermöglicht.
Zwischenzeitlich sind auch die bislang in Privatbesitz befindlichen Memoiren des Künstlers in Buchform erschienen und dokumentieren die Verbindungen des Gernsbachers zu seiner Geburtsstadt.
Ludwig Dill wurde Ende der zwanziger Jahre Ehrenvorsitzender der “Deutschen Kunstgesellschaft”. Er hat sich darin auch als 2. Vorsitzender engagiert und muss daher auch die Ziele des Vereins mitgetragen haben. Diese Vereinigung sprach sich für eine “völkische deutsche Malerei” aus. Diese nationalsozialistische Organisation wandte sich heftig gegen die künstlerische Moderne und beeinflusste die Diskussionen über moderne Ausdrucksformen mit antisemitischen Parolen. Die Deutsche Kunstgesellschaft trat dem nationalsozialistisch gelenkten “Kampfbund für deutsche Kultur” bei, der späteren NS-Kulturgemeinde.
Für die weitere Recherchen über die Verbindungen von Ludwig Dill zu den nationalsozialistischen Kreisen bedarf es der Historiker, die Archivmaterialien und Korrespondenzen aufzuarbeiten. Wesentliche Eckpfeiler dazu wurden bereits im Stadtarchiv Karlsruhe und im Landesarchiv Baden-Württemberg veröffentlicht.
Siehe auch „Gernsbacher Bote“ 1/1995 sowie 1+2/1998 und 1/2010
Bärbel Schäfer – Ludwig Dill, Leben und Werk, Dachau 1998
Ludwig Dill – Lebenserinnerungen, Dachau 2010
Michael Koch – Ludwig Dill; in: Badische Biographien NF 3 (1990)
Richard Fuchs (1887, Karlsruhe -1947 Wellington, Neuseeland)
Vor 75 Jahren verstarb der Architekt und Komponist Richard Fuchs in seinem neuseeländischen Exil. Für Gernsbach hatte er als Architekt der 1928 erbauten neuen Synagoge eine besondere Bedeutung. Da er als Jude in den dreißiger Jahren verfolgt wurde, wählte er 1938 die Auswanderung und emigrierte nach Neuseeland. Allerdings wurden dort seine künstlerischen Werke zu seinen Lebzeiten nicht anerkannt. Sein Schicksal war es, in Deutschland verfolgt worden zu sein, weil er Jude war und in Neuseeland ignoriert zu werden, weil er Deutscher war.
Die vier Brüder Fuchs als Soldaten im Ersten Weltkrieg. Foto: Familienarchiv Fuchs
Richard Fuchs wurde 1887 in Karlsruhe als Sohn einer Holzhändler-Familie geboren. Er wuchs mit seinen drei Brüdern und seiner Schwester in einer wohlhabenden und angesehenen Familie auf. Die jüdische Familie war völlig integriert in die Gesellschaft Karlsruhes. In der Familien-Historie wurde immer weitergegeben, wie seine Großeltern als Zuwanderer aus einfachen Verhältnissen nach Karlsruhe gekommen waren und „sie später stolz waren auf den beschiedenen Beginn der Familie“. Alle vier Söhne der Familie meldeten sich im Ersten Weltkrieg freiwillig als Soldaten.
Sein musikalisches Talent führte Richard Fuchs zu einem Studium der Musik an der Hochschule in Karlsruhe, dem folgte ein Studium der Architektur in Berlin. 1923 promovierte er an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Richard Fuchs heiratete 1920 Dora Stern. Das junge Ehepaar bezog eine stattliche Villa in der Kriegsstraße 120 in Karlsruhe. Für Richard Fuchs waren die zwanziger Jahre eine erfolgreiche Zeit als Architekt. Er entwarf Wohn- und Kaufhäuser, Hotels und Fabriken.
Die Gernsbacher Synagoge, entworfen und gebaut von Richard Fuchs. Quelle.: Generallandesarchiv Karlsruhe
Den einzigen öffentlichen Auftrag erhielt Richard Fuchs 1927 mit dem Bau einer Synagoge für die jüdische Gemeinde in Gernsbach. Bereits 1923 hatte Fuchs auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in Karlsruhe einen jüdischen Kultraum geschaffen. Die Gernsbacher Synagoge war für ihn wie für Gernsbach ein herausragendes Bauwerk.
Wie Dr. Ulrich Schumann in den Begleittexten zu der Ausstellung des Arbeitskreises Stadtgeschichte zur Gernsbacher Synagoge 2018 schrieb, schuf Richard Fuchs ein „stimmungsvolles Ensemble, das für die historische Verwurzelung und Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in Deutschland steht“. In den Archiven hat Schumann genaue Angaben zur Ausführung der Synagoge gefunden. Darin fanden sich nicht nur exakten Pläne des Baukörpers, sondern klare Anweisungen für den Einsatz von Materialien und Farben. Detailliert war der Tora-Schrein mit seiner Umrahmung aus Majolika-Fliesen beschrieben, bis hin zu zwei Vorhängen, einer in Rot und einer in weiß für hohe Festtage.
Der Tag der Einweihung der Gernsbacher Synagoge 1928. Quelle: Stadtarchiv Gernsbach
Sonntag, 15. Juli 1928 war ein bedeutender Tag im Leben von Richard Fuchs: Die von ihm entworfene und erbaute Synagoge in Gernsbach wurde ihrer Bestimmung übergeben, und der Gemeindevorsteher der jüdischen Gemeinde Hermann Nachmann erhielt aus seiner Hand die Schlüssel des neuen Gebäudes.
In der Zeitung wurde damals die Leistung des Architekten gelobt: „Architektonische Schönheit vereinte sich mit vollständiger Zweckmäßigkeit“. Die jüdische Gemeinde bewunderte den Neubau in ihrer Chronik im Jahr 1928: „Der Bau kann nach seiner Vollendung als sehr gut gelungen und schön bezeichnet werden.“ Hermann Nachmann schrieb: „Es ist eine Zierde des lieblichen Murgtalstädtchens Gernsbach, dieses schöne Gotteshaus“. Dementsprechend groß war der Zustrom der Gäste und der Gernsbacher, die sich die Einweihung dieses Gebäudes nicht entgehen lassen wollten. Der Bezirksrabbiner aus Offenburg nahm die Weihe des Gotteshauses vor. Ernst Bernauer, Stadtpfarrer der katholischen Gemeinde, und Lehrer Münz für die evangelische Gemeinde sprachen jeweils Grußworte.
1938 wurde die Synagoge während des Novemberpogroms zerstört: Sie wurde von den Nationalsozialisten bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Heute erinnert nur der „Synagogenweg“, die Fußgänger-Verbindung zwischen Austraße und Blumenweg, und eine Gedenktafel an die einstige Synagoge.
Das Wohnhaus de Weerth wurde von Richard Fuchs entworfen.
Am heutigen Synagogenweg findet sich ein weiteres Gebäude des Architekten Richard Fuchs. 1929 schuf er das Wohnhaus aus Backsteinen für den Zahnarzt Gustav de Weerth.
Der Synagogenweg führt entlang des einstigen Anwesens der Gernsbacher Synagoge. Foto: Meier
In seiner erfolgreichen Karriere als Architekt verlor er niemals seine Liebe zur Musik und zum Komponieren. 1932 fand in Karlsruhe einen Konzert- und Liederabend mit seinen Werken statt. Die Zeitung urteilte danach: „Dr. Richard Fuchs ist nicht nur ein Architekt von Rang, er stellte sich für die Außenstehenden in überraschender Weise auch als Komponist von sehr beachtlichen Graden vor.“ Damals ahnte er nicht, dass dies die letzte Aufführung seiner Musik in Deutschland für viele Jahrzehnte war.
Nach dem Siegeszug der Nationalsozialisten wurde das Leben und Arbeiten für den Juden Richard Fuchs immer schwieriger. Den Maßnahmen, die Juden aus Beruf und dem öffentlichen Leben zu verdrängen, fiel auch Richard Fuchs zum Opfer. Bereits 1933 musste er Einschränkungen in seinen Arbeitsmöglichkeiten hinnehmen, ab 1935 wurde er mit einem Arbeitsverbot belegt, seine Kinder der Schule verwiesen. Nach dem Pogrom am 10. November 1938 wurde er von den Nazis nach Dachau abtransportiert und kam erst im Dezember wieder frei. Danach war ihm bewusst, dass er aus Deutschland mit seiner Familie fliehen musste, dass er als Jude keine Zukunft mehr in seinem Heimatland hatte. Seine Frau Dora setzte alles in Bewegung, damit sie das Land verlassen konnten. Sie verkauften ihr Haus in Karlsruhe, verschifften Möbel, Bücher und Noten in Containern und verließen mit ihren beiden Kindern Deutschland.
Das Haus von Richard Fuchs in Neuseeland. Foto: Familienarchiv Fuchs
Als Richard Fuchs mit seiner Familie schließlich 1939 in Neuseeland ankam, hatte er Probleme, eine Anstellung in Wellington zu finden. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verschlechterte sich die Stellung von Richard Fuchs. Er wurde als Deutscher angesehen, er galt als „Enemy Alien“.
Richard Fuchs in seinem Gemüsegarten in Neuseeland. Foto: Familienarchiv Fuchs
Eine Zeitlang hatte er gehofft, dass sein Stück „Vom jüdischen Schicksal“ aufgeführt wird. Der neuseeländische Dichter Alan Mulgan (1881-1962) hatte den deutschen Text des Chor-Werkes ins Englische übersetzt. Aber leider misslangen die Versuche. Letztlich fand erst 2015, fast 70 Jahre nach seinem Tod, die Premiere seines Werkes „Vom jüdischen Schicksal“ in Neuseeland statt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt er die neuseeländische Staatsbürgerschaft, auf die er sehr stolz war. Doch in den letzten 20 Monaten seines Lebens komponierte er nicht mehr. Seine Tochter konnte in ihren Erinnerungen nur Vermutungen über die Gründe anstellen: Ob es die Enttäuschung über die geringe Aufmerksamkeit war, die in Neuseeland seinen Kompositionen geschenkt wurde, oder die Trauer, als er von dem Tod seiner Schwester erfuhr, die 1943 in Auschwitz ermordet worden war.
Richard Fuchs starb nach kurzer Krankheit im September 1947. Seine Asche wurde in den Bergen Neuseelands beigesetzt.
Nach seinem Tod wurde einige Anläufe unternommen, seinem Werk gerecht zu werden. So wurde seine Komposition „New Zealand Christmas Carol“ 1954 beim Besuch der englischen Königin Elisabeth von einem Kinderchor vorgetragen und gehört seither zu den am meisten verbreiteten Werken des Komponisten.
Aufmerksamkeit errang 2008 der Dokumentarfilm von Danny Mulheron, seinem in Neuseeland lebenden Enkel, der bei der Aufarbeitung des Nachlasses seines Großvaters viele erstaunliche Entdeckungen machte. Der Film „The Third Richard“ gibt einen Überblick über das Leben und Werk des Künstlers, aufgenommen an Originalschauplätzen. Darin kommt auch Gernsbach vor, mit historischen Abbildungen der Synagoge. Den Titel lehnte der Enkel an einen Ausspruch des Vaters von Richard Fuchs an, der bereits bei der Geburt seines Sohnes ihn in der Reihe von Richard Wagner und Richard Strauss als „dritten Richard“ sah.
Richard Fuchs‘ Schicksal war es, den Holocaust überlebt zu haben, aber in Vergessenheit zu versinken. „In Deutschland war er der Feind, da er Jude war, in Neuseeland weil er Deutscher war“, schildert der Enkel das freudlose Leben von Richard Fuchs im Exil.
In den letzten Jahren wurden einige Kompositionen von Richard Fuchs in Neuseeland wie in seiner Heimatstadt Karlsruhe aufgeführt. Erst kürzlich gab es ein Konzert mit seinen Werken in Jerusalem. Somit erfährt er eine späte Anerkennung seines künstlerischen Schaffens.
Regina Meier
Quellen:
– Dr. Ulrich Schumann: Begleittext zur Ausstellung „Am Sabbat auf dem Weg zur Synagoge – Die Gernsbacher Synagoge 1928-1938; 2018
– Youtube-Film „The Third Richard“ von Danny Mulheron: https://youtu.be/HjhqfiWjr5k
Vorbereitung für die Verlegung des Stolpersteins in der Storrentorstraße.
Das Scharren der Kieselsteine war noch zu hören, als die Musik „Ghetto“ bereits erklang. Bei der Verlegung der Stolpersteine in der Altstadt von Gernsbach hatte der Künstler Gunter Demnig bereits mit dem Freilegen der Vertiefung für den Stolperstein begonnen, als noch die Musik für die Umrahmung der Gedenkfeier spielte.
Anfang März fand die zweite Verlegung von Stolpersteinen in Gernsbach statt. Dieses Mal wurde Opfern der Euthanasie-Programmen der Nazis gedacht, die aufgrund ihrer geistigen Konstitution sterben mussten. Nun erinnern vier Stolpersteine an Luise Geiger in der Storrentorstraße 3, an Ludwig Schneiderhan in der Hauptstraße 45, und an die Brüder Albert Gebhard und Karl Gebhard in der Schlossstraße 8. Sie wurden 1940/41 im Rahmen der sogenannten T4-Aktion ermordet. Dieses Programm wurde nach dem Ort der Planungszentrale der Morde an Menschen mit Behinderungen und mit psychischen Krankheiten, Tiergartenstraße 4 in Berlin, benannt.
Gunter Demnig (ganz links) verfolgt die Gedenkfeier am Metzgerplatz, bevor er zur Verlegung des nächsten Stolpersteins geht.
Gerold Stefan, Lehrer an der Musikschule Gernsbach, hatte die passenden Musikstücke für die Feier ausgesucht. Er spielte mit seiner Klarinette das Adagio von Friedrich Demnitz, „The Blessing Nigun“ von Jerry Sperling, „Jenseits der Stille“ von Niki Reiser und das Stück „Ghetto“.
Eindringlich verhallten die Melodien auf dem weiten Metzgerplatz. Dort hatten sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Gernsbachs versammelt, um den Opfer der Euthanasie-Programme der Nationalsozialisten zu gedenken.
Michael Chemelli, Bürgermeister-Stellvertreter, fand die passenden Worte, um an das unfassbare Geschehen um die Opfer der NS-Euthanasieprogramme zu erinnern. Er betonte in seiner Einführung, dass es heute die Pflicht von uns allen ist, daran zu arbeiten, dass sich ein solches Geschehen niemals wiederholt. Besonderen Dank sprach er an Stadtarchivar Wolfgang Froese aus, dessen Recherchen es zu verdanken ist, dass an die vier getöteten Gernsbacher erinnert werden kann. Bislang war wenig über die Ermordung von behinderten Menschen aus Gernsbach bekannt, daher bedurfte es grundlegender Archivarbeit, die Details und Hintergründe über den Abtransport zu finden.
Bereits zum zweiten Mal verlegt Gunter Demnig Stolpersteine in Gernsbach.
„Ich bin Ludwig Schneiderhan“, begann die Darstellung der Einzelschicksale der vier Opfer durch Schülerinnen und Schüler der Realschule Gernsbach. Unter der Leitung ihrer Lehrerinnen Elvira Schulz (Geschichte) und Johanna Wilhelm-Lang (ev. Religion) hatten sie sich in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv auf diese Gedenkfeier vorbereitet. Lea Clausen, Sara Oertel, Elias Schmidt und Alica Herzog hatten die Texte, mit denen sie das Schicksal der jeweiligen Person vorstellten, in der „Ich-Form“ geschrieben und vermittelten somit eindringlich, dass sie sich intensiv auf diese Gedenkfeier vorbereitet hatten. Die Anwesenden waren betroffen von den Texten, weil sie auch in beklemmender Weise deutlich machten, wie sehr die Menschenwürde im Dritten Reich mit Füßen getreten worden war. Mit der Beteiligung der Schülerinnen und Schüler wurde ein Kern-Ziel des Gemeinderats-Beschlusses zu den Stolpersteinen umgesetzt. 2019 hatte das Gremium einstimmig beschlossen, zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus sich der Stolperstein-Aktion anzuschließen und insbesondere die örtlichen Schulen zur Pflege und kontinuierlichen Erinnerungsarbeit einzubinden.
Rita und Hans-Joachim Scholz, Pfarrer i.R. der evangelischen Gemeinde, sprachen in Anwesenheit von Dekan Josef Rösch ein Gebet.
Teilnehmer der Gedenkfeier legten Blumen nieder an den Stolpersteinen.
Gemeinsam mit Mitarbeitern vom Bauhof zog der Künstler Gunter Demnig vom Metzgerplatz in die Schlossstraße 8 weiter, wo die beiden Stolpersteine für die Brüder Albert und Karl Gebhard verlegt wurden. Anwohner legten später Blumen an den einzelnen Stolpersteinen nieder.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 1/2022 im Casimir Katz Verlag am 6. April 2022
Bushaltestelle Hofstätte Gernsbach um 1910 – Foto: Stadtarchiv Gernsbach
Mit den neuen Fahrplänen zur Buslinie Gernsbach – Baden-Baden beginnt eine neue Ära im öffentlichen Nahverkehr zwischen den beiden Städten. Eigentlich hätte bereits Mitte Dezember die weitreichende Umstellung kommen sollen, doch aufgrund der Sperrungen in Loffenau wegen der Fahrbahnerneuerung treten die Änderungen erst Ende Februar 2022 in Kraft.
Hintergrund ist eine Neuordnung des Bus-Liniennetzes im vorderen Murgtal. Zukünftig wird es eine Linie X44 geben, die die Strecke Bad Herrenalb – Loffenau – Gernsbach – Selbach – Baden-Baden – Varnhalt – Steinbach – Bühl bedient und im täglichen Stundentakt von 5 Uhr am Morgen (Samstag ab 6 Uhr und Sonntag ab 7 Uhr) bis 23 Uhr verkehrt. Für den Busverkehr von Gernsbach nach Baden-Baden wird damit nach den zahlreichen Veränderungen im Laufe der Geschichte eine neues Kapitel eröffnet.
Eine alte Aufnahme zeigt ein Stopp bei der Fahrt nach Baden-Baden. Foto: Sadtarchiv Gernsbach
Blickt man zurück in die Vergangenheit, so kann man auf über 116 Jahre regelmäßigen Busverkehr zwischen Gernsbach und Baden-Baden blicken. Damit gehört die Busverbindung nach Baden-Baden zu den ältesten Buslinien Baden-Württembergs. Bereits 1905 hatte sich eine private „Automobilverkehr Gernsbach GmbH“ gebildet, mit dem Ziel, Kurgäste von Gernsbach nach Baden-Baden zu fahren. Es wurde eine Automobilverkehr Gernsbach GmbH gegründet. Zu dem Aufsichtsrat gehörten Karl Max Clemm als 1. Vorsitzender, Bürgermeister Oskar Jung als Stellvertreter, außerdem Kaufmann Heinrich Popp, Bankier Gustav Dreyfuß und Hotelier Carl Brude. Zum Geschäftsführer wurde Friedrich Schmelzle gewählt.
Am 11. Juni 1905 war es soweit: der neu gelieferte Wagen der Süddeutschen Automobilfabrik Gaggenau mit zehn Sitzplätzen fuhr erstmals von der Haltestelle Hofstätte aus nach Baden-Baden. Laut des ersten Fahrplans konnte man zu fünf Uhrzeiten zwischen 7.35 Uhr und 19.40 Uhr nach Baden-Baden fahren, außerdem mittwochs sowie an Sonn- und Feiertagen noch um 23 Uhr. Die Gäste kamen zahlreich. Man forderte sogar Platzkarten und wünschte sich einen Schaffner, der für Ordnung sorgen sollte. Allerdings legte die Verbindung über die Wintermonate eine Pause ein.
Anzeige im „Murgtäler – Gernsbacher Bote“ von 1905 über die Eröffnung der Buslinie nach Baden-Baden. Foto: Kreisarchiv Rastatt
Bereits im September 1905 wurden die Marke von 1000-Fahrten geknackt. In einem Artikel im „Murgtäler – Gernsbacher Boten“ vom 19. September 1905 ist zu lesen: „Die 1000. Fahrt hat am letzten Sonntag das Automobil Gernsbach – Baden-Baden über den Berg gemacht. Die gemäßigte Fahrt dieses Wagens hat wohl allgemein Anerkennung gefunden, und es ist deshalb auch bemerkenswert, daß sämtliche Fahrten, die das Auto unternahm, ohne jeden Unfall geschehen konnten. Der äußerst umsichtige Chauffeur vermied auf das peinlichste alles, was für Nicht-Autler unangenehm ist. Insbesondere ist die Überwindung der Töff-Töff-Krankheit anzuerkennen, von welcher die meistern Schnauferl-Menschen befallen werden, sobald sie das Vehikel besteigen.“ Weitere Ausführungen, wie sich diese „Töff-Töff-Krankheit“ bemerkbar machte, fehlen in dem Zeitungsartikel.
Am Verkehrspavillon an der Stadtbrücke startete so manche Ausflugsfahrt mit dem Bus. Hier der „Ebersteiner“ bei einer Sonderfahrt zum Mummelsee. Foto: Weiser
Der „Betrieb von Fahrten mittels Motorwagen zwecks Beförderung von Personen und Gepäck“, wie die Gesellschaft ihren Geschäftsgegenstand ins Handelsregister eingetragen ließ, dehnte ihre Betätigung bald auch auf andere Routen aus, so auch Richtung Bad Wildbad und nach Freudenstadt. Außerdem wurden auch Sonderfahrten veranstaltet, auch nach Ötigheim zu den Volksschauspielen oder nach Straßburg. Die Linie florierte und die Gesellschaft konnte sogar eine Dividende auszahlen. Allerdings bedeutete der Erste Weltkrieg auch hier einen radikalen Einschnitt in die Entwicklung. Nach dem Krieg begann die Automobilverkehr Gernsbach GmbH, in bescheidenem Maße ihre Verbindungen aufzunehmen, doch die Zeit der privaten Gesellschaften, die einzelne Linien unterhielten, war vorbei. 1926 übernahm die Reichspost die Buslinie nach Baden-Baden und wurde in eine Kraftpostlinie überführt. Bis 1983 verkehrte die Linie als Postbuslinie und danach als Bahnbuslinie. Die Busverbindungen von Gernsbach nach Schloss Eberstein wurden noch lange Jahre aufrechterhalten. Bis Mitte der 1970er Jahre gab es einzelne Fahrten über die enge, kurvenreiche Straße zum Schloss Eberstein.1989 wechselte der Betreiber durch Umstrukturierungen bei der Bundesbahn von “Bahnbus Nordschwarzwald-Südpfalz” zu “Regionalbusverkehr Südwest – Südwestbus”.
Um 1950 trafen sich am Bahnhof Gernsbach die Murgtal-Busse (vorne) und die Kraftpostlinie (hinteres Haubenfahrzeug) nach Baden-Baden. Foto Stadtarchiv Gernsbach
Eine völlige Veränderung der Fahrpläne und -routen trat 2002 in Kraft. Zur Eröffnung der Stadtbahn im Murgtal wurde der Fahrplan im Juni 2002 komplett neu gestaltet. Danach wurde ein Stundentakt (mit einem Halbstundentakt in der Hauptverkehrszeit) eingeführt. Gleichzeitig wurden die Fahrten über Lichtental und dem Müllenbild mit Halt an der Stadthalle eingestellt. Dabei ist zu ergänzen, dass es zuvor nur noch eine Fahrt je Richtung an Samstag und Sonntag gab. Gleichzeitig wurde auch die Haltestelle „Gernsbach Schoeller & Hoesch“ gestrichen, denn die gesamte Bahnbuslinie parallel zur Murgtalbahn wurde eingestellt. Viele aus dem hinteren Murgtal erinnern sich gerne an diese einstige Busverbindung. Denn die Buslinie lief länger als die Zugverbindung, so dass zum Beispiel nach einem Kinobesuch in Gernsbach immer noch eine Heimfahrt murgtalaufwärts mit dem – im Volksmund genannten – „Lumpensammler“ möglich war.
2006 wurde die Haltestelle Hofstätte letztmals angefahren, die Bleichhexen griffen dies in ihrem Fasentmotto plakativ auf. Foto: Meier
Die Kürzungen der Bus-Haltestellen im Stadtgebiet gingen weiter: zu Ende 2002 entfiel die Haltestelle “Gernsbach Storchenturm”. Letztlich wurde auch die Haltestelle “Gernsbach Hofstätte” gestrichen. Sie wurde Ende Mai 2006 zum letzten Mal angefahren. Grund waren die beengten Verkehrsverhältnisse in der Gernsbacher Altstadt. Allerdings wollten nicht alle Gernsbacher dies unwidersprochen hinnehmen: so gestalteten die Bleichhexen ihr Fasentmotto in 2006 und boten mit ihrem „Hexenblitz“ eine rasante Ersatzfahrt an.
Wenn nun in der Neuregelung der Busverbindungen im vorderen Murgtal der neue Busfahrplan im kommenden Jahr eingeführt wird, beginnt damit auch ein neues Kapitel der Verbindung Gernsbach – Baden-Baden. Und neue Fahrzeuge wird es ebenfalls geben: Die eingesetzten Fahrzeuge im Landesdesign „bwegt“ verfügen auch über WLAN und USB-Steckdosen. Man darf auf die neuen Entwicklungen gespannt sein.
Regina Meier
Dieser Beitrag erscheint im “Gernsbacher Boten” 4/2021 im Casimir Katz Verlag am 25. November 2021
Die Nachricht über den Umbau der Brückenmühle zu Wohn- und Geschäftszwecken in absehbarer Zeit war eine Sommer-Überraschung. Die Brückenmühle ist nicht nur ein stadtbildprägendes Gebäude, vielmehr bestimmt sie auch den Zugang zu der historischen Hofstätte. Mit den baulichen Veränderungen an der Brückenmühle wird auch die Hofstätte ein neues Entree erhalten. Ein neuer Blick auf die gute Stube Gernsbachs wird freigeben.
Bis in die 1960 Jahre war die Mühle aktiv, rund 50 Mitarbeiter zählte damals der Betrieb. Doch dann wurde der Betrieb eingestellt und der Lebensmittelhändler Pfannkuch zog ein.
Bei der Brückenmühle gab es einst ein „Fluss- und Schwimmbad unter der Murg“. Für 10 Pfennig konnte man eine Abendkarte zum Schwimmen erwerben. Damals gb es noch getrennte Badezeiten für Männer und Frauen: Die „Damenzeiten“ waren „von 8 bis 10 ½ Uhr morgens“ und von „1 bis 3 ½ Uhr nachmittags“ – wie man heute noch auf einem Plakat in der Restauration Brüderlin nachlesen kann.
Die Sanierung des Brückenmühle war einst Anlass für das erste Altstadtfest im September 1975.
1997 schloss die Filiale der Fima Pfannkuch, seither steht das Erdgeschoss leer. Lediglich anlässlich des Jubiläums 150-Jahre-badische Revolution wurde der Raum für eine Ausstellung zur Revolutionsgeschichte in Gernsbach genutzt. Nach langen Jahren der Suche nach einer Nutzung der Brückenmühle ist nun der Durchbruch gelungen und eine zukunftsversprechende Lösung gefunden. Für die Hofstätte steht damit ein attraktiver Zugang in Aussicht.
Auch wenn drei Fußwege (August-Müller-Steg, Kirchenstaffeln und der Fußweg entlang des Gebäudes von Hofstätte 1) sowie vier Straßen zur Hofstätte führen (Mühlgraben, Hauptstraße, Waldbachstraße und Schlossstraße), so geschlossen wirkt das Ensemble. Die Häuser entstammen unterschiedlichen Jahrhunderten und weisen ein vielfältiges Erscheinungsbild auf.
Direkt an den Mühlgraben schließt sich wohl das modernste Gebäude des Platzes an, das erst 1960 sein heutiges Aussehen erhalten hat. Heute beherbergt das Gebäude das „My Wok Bistro – Spezialitäten aus Asien, älteren Gernsbachern ist es noch als Marienapotheke der Familie Riether bekannt. Zuvor hat die Metzgerei Anselm hier ihre Metzgerei betrieben. Ein paar Stufen führten damals noch hinunter zu dem Eingang, der früher unter dem heutigen Niveau der Hofstätte lag.
Das Asia-Restaurant bedient seine Gäste heute auch in einem Außenbereich, wie auch das danebenliegende Café Felix und das Gasthaus Hirsch von gegenüber. Seit der Umgestaltung der Hofstätte im Jahr 1992, bei der nicht nur der Pflasterbelag, sondern auch breiteren Raum für die Fußgänger geschaffen wurde, gibt es seither eine Möglichkeit für diese Bewirtung.
Dieser Raum wird heute für die Außengastronomie rege genutzt. Entfallen ist allerdings die einstige Bushaltestelle in diesem Bereich, an der über viele Jahre der Busverkehr Richtung Baden-Baden Station machte. Nicht zuletzt wegen der Fahrplananpassungen an die neue Stadtbahn durchs Murgtal wurde 2002 die Verbindung über das Müllenbild nach Baden-Baden ganz gestrichen. Da die großen Busse immer wieder Probleme hatten, ihren Weg auf der schmalen Straßenführung des Stadtbuckels zu finden, . Daher wurdel die Haltestelle „Hofstätte“ aufgehoben und wurde am 28. Mai 2006 letztmals angefahren.
Die Busverbindung nach Baden-Baden hatte lange Tradition: bereits 1905 hatte sich eine private „Automobilverkehr Gernsbach GmbH“ gebildet, mit dem Ziel, Kurgäste von Gernsbach nach Baden-Baden zu fahren – von der Haltestelle Hofstätte aus. Somit gehört die Verbindung von Gernsbach nach Baden-Baden zu einer der ältesten Buslinien Deutschlands.
Direkt daneben findet sich das traditionsreiche Gebäude, Hauptstraße 6. Heute befinden sich im Erdgeschoss das beliebte Café Felix, im westlichen Schaufenster präsentiert der „Weinschmecker“ seine Produkte. Lange Jahre befand sich hier ein gut frequentierter Gemüseladen mit reichhaltiger Auswahl und daneben ein Orthopädie-Geschäft.
Schaut man weiter in die Vergangenheit, stößt man auf die reiche Geschichte der Gastronomie in diesem Haus. Bereits 1511 ist hier eine Schildgerechtigkeit überliefert, bis 1930 war das Gasthaus zur Krone auch noch aktiv. Um 1900 galt als eine der ersten Adressen in Gernsbach. Aus einer Rechnung aus dem Jahr 1894 zeigt sich die Attraktivität des einstigen Gastbetriebes: eine Gesellschaft die an diesem Juli-Abend 44 Flaschen „Affenthaler“ und 176 Flaschen Klingelberger mit immerhin 22 Sodawasser und 20 Cigarren genoss, hat hier wohl einen vergnüglichen Abend verbracht. Älteren Gernsbachern ist das Haus wohl noch als „Zigarren- Zigaretten- und Tabakspezialgeschäft“ bekannt, das auch „Schokoladen und Konfitüren“ feilbot. Untrennbar ist dieses mit dem Namen Walter Lutz verbunden, der das Geschäft in den mittleren Teil des Gebäudes, in den ehemaligen Gastraum der Krone, verlegte und dieses Spezialitätengeschäft mit seiner eigenen Ausstrahlung bis 1996 betrieb.
Am Aufgang zur Altstadt findet sich ein attraktives Fachwerkhaus. Hier in der Hofstätte 8 waren im Laufe der Jahrhunderte viele Handwerker beheimatet, wie es die eingeschnitzten Zeichen in dem nordwestlichen Eckbalken belegen. Der unterste Eintrag ist jüngeren Datums, nämlich nach 1951 ergänzt worden, nachdem der Verputz entfernt wurde. Die Familie, die mir viel Engagement und Tatkraft in das Gebäude investiert, führt nun in fünfter Generation das Friseurgeschäft. Im Laufe der Jahrzehnte haben sie sich immer wieder dem Wandel angepasst. Einst „Salon Herzog“ ist hier Anita Löwenthal mit ihrem Team aktiv. Schon im Einwohnermeldebuch von 1903 inseriert das Friseurgeschäft: “Lager in Parfümerie und Toilettenartikel, Haararbeiten, Massage, elektrische Hühneraugenoperation“. Für die damalige Zeit war gerade diese elektrische Behandlungsmethode ein Ausdruck des Fortschritts des 20. Jahrhunderts, gab es doch erst seit wenigen Jahren elektrische Stromversorgung in Gernsbach.
Die wohl wechselvollste Geschichte hat das Haus Hofstätte 7 hinter sich. Der Gewölbekeller, das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss wurden vermutlich bereits 1432 errichtet und 1712 wahrscheinlich erneuert und aufgestockt. Im 19. Jahrhundert bestimmte die Familie Wallraff das Leben in dem Haus. Sie betrieb dort das „Gasthaus zum Laub“. Georg Friedrich Abel, Bürgermeister von Gernsbach von 1862-1900, hatte das Gastahaus nach seiner Rückehr aus Amerika, wohin er nach den Unruhen von 1848 ausgewandert war, mit seiner Frau übernommen. Nachfolgerin wurde Enkeltochter Erna Abel, die das Gasthaus bis zum Ende des Zweiten Weltkries führte. Nach Ende des Krieges eröffnete Hermann Walz an dieser Stelle seine Bäckerei, Restauration und Café und servierte im Sommer im Freien am Hofstätte-Brunnen Kaffee und Kuchen. Paul Böckeler betrieb auf diesem historischen Boden von 1962 bis 1981 eine Konditorei. In den achtziger Jahren war neben einem Immobilien-Geschäft hier die Filiale des Badischen Tagblatts untergebracht.
1993 wurde das Haus unter der Leitung von Familie Vierling mit einem reichhaltigen Angebot von Haushaltswaren, Porzellan und Geschenkartikeln zu neuem Leben erweckt. Eine grundlegende Renovierung ging dem voraus, bei dem auch der altstadtgerechte Vorbau dem Fachwerkhaus realisiert wurde. 2008 knüpfte “Hofstätte Interieur und Design“ mit neuer Leitung an die Traditionen an. Nach der Schließung des Geschäfts 2019 ist es heute als Beauty Salon Gern Style (siehe Artikel S. 5) wieder mit Leben gefüllt.
Die „Traube“ gehört postalisch zur Waldbachstraße, bildet aber zwischen Schlossstraße und Kirchenstaffel den südlichen Eckpfeiler der Hofstätte. Um das Jahr 1900 ebenfalls als „altrenommiertes Gasthaus“ und bot es „reingehaltene, sebstgezogene Weiß- und Rotweine und Bairisch Bier“ an, außerdem stellte es „Zimmer von Mk 3,50“ zur Verfügung. Nach langen Jahren der Bewirtung durch Familie Seyfried und danach von Familie Weinhandl gilt es heute als Musiklokal und Bar.
Ein Rundgang über die Hofstätte kann nicht ohne Begutachtung des Hofstätte-Brunnens erfolgen, dem Kondominatsbrunnen. Bereits 1511 ist dieses steinerne Zeugnis nachweisbar und hält die Mittlerfunktion des Platzes zwischen den einzelnen Teilen der Stadt wider. Er setzt der gemeinsamen Verwaltung der Stadt von Badenern und Ebersteinern ein markantes Denkmal.
Eine reiche Vergangenheit spiegelt sich in dem Anwesen Hofstätte 3-5 wider. Lange Jahre befand sich hier das Modehaus Motex. Über Generationen war hier allerdings ein Hotelbetrieb angesiedelt, der das Gebäude geprägt hat. Das ehemaligen Hotel Sternen galt über Jahrzehnte als führendes Hotel in Gernsbach. In letzten Jahrhundert hat die Familie Brude die Geschicke „Zum Goldenen Stern“ geleitet.
Noch heute ist die Gaststätte zum Hirsch aktiv und wird heute von Familie Cannistraro bewirtschaftet. Mit der Schildgerechtigkeit von 1530 gehört es zu den bedeutenden Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die historischen bleiverglasten Butzenscheiben zeigen einzelne Murgtalsagen.
Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts hatte nicht viel gefehlt, und die historische Gaststätte wäre wegen des „Hirschecks“ verschwunden. Im Streit der Meinungen trug letztlich der damalige Inhaber, der „Hirsch“ blieb stehen und wurde von seinem abbröckelnden Verputz befreit. Man legte das Riegelwerk frei und fand dabei die Zeichen und Zahlen im Eckständer. Als Zunftherberge der Bäcker trat der Hirsch erstmals in Erscheinung, das war im 16. Jahrhundert. Anno 1689 brannte der Hirsch“ samt Umgebung nieder, doch schon 1694 war es in den heutigen Form wieder errichtet. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es wieder von Familie Brude zum Gasthaus betrieben. 1933 hob das Hotel und Pension zum „Goldenen Stern und Hirsch“ in einer Anzeige hervor: „feinbürgerliches Haus an der Murgbrücke. Altdeutsches Restaurant mit den Murgtalsagen“.
Die Hofstätte 1 beherbergt heute das Tui-Reisebüro, zuvor war darin die Deutsche Bank ansässig und hatte die lange Tradition des Hauses als Bank fortgeführt. Bereits 1903 hatte hier Jakob Dreyfuß ein Bank- und Wechselgeschäft. 1925 wechselte das Geschäft zur Rheinischen Creditbank, Hauptsitz Mannheim, Niederlassung Gernsbach.
Seit Beginn des 16. Jahrhunderts wird die „Hoffstatt“ wie die Bleich, Igelbach, Gass, Hof und Walbach als „vorstette“ bezeichnet, wie Rainer Hennl in seiner Buch „Gernsbach“ seine Quellenarbeit herausgearbeitet hat, und umfasst bereits 14 Häuser. Aus seinen sozialtopographischen Untersuchungen geht hervor, dass die Hofstätte um 1630 als bestes Wohnquartier galt – gemessen am Durchschnittswert der Häuser. Auch heute ist die Hofstätte ein attraktiver Platz. Er spiegelt auch die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung der Stadt wider. Es gibt keine Hutmacherin und kein Hotel mehr auf dem Platz, kein Lebensmittel- oder Gemüsegeschäft, keinen Metzger und keine Bank mehr. Doch haben sich Café, Friseur und Gaststätten gehalten oder wurden neu geschaffen und Geschenkartikel gibt’s in Sichtweite – und sorgen dafür, dass die Hostätte die gute Stube Gernsbachs bleibt.
Sicher wird sie sich weiterentwickeln und die Strömungen der Zeit aufnehmen: die Umgestaltung der Brückenmühle setzt sicherlich neue Akzente.
Regina Meier
Ich möchte Dank sagen, all den Gernsbacherinnen und Gernsbachern, die mir in ihren Erzählungen und Fotos teil haben ließen an der Geschichte ihres Hauses und ihrer Familien auf der Hofstätte. Grundlage für diesen Beitrag bildet ein Artikel aus dem „Gernsbacher Boten“, den ich 1998 geschrieben habe. Seither ist viel passiert, Traditionshäuser sind verschwunden, neues Gewerbe hat sich angesiedelt. Ich konnte gar nicht alle Informationen aufnehmen. Sicher ist, die Geschichte des Platzes wird weitergeschrieben.
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2021 im Casimir Katz Verlag am 16. September 2021
Ende vergangenen Jahres wurde das Buch „Leuchtende Hoffnung“ über die Glasfenster in der St. Jakobskirche Gernsbach veröffentlicht. Seit 1966 befinden sich die Glasfenster von Albert Birkle (1900-1986) in der Gernsbacher St. Jakobskirche. Einerseits sind sie abstrakt gehalten, andererseits definieren sie durch die figürliche Darstellung das jeweilige religiöse Motiv.
Zu dem dreiteigen Zyklus gehören das Osterfenster, das zentrale Pfingstfenster und die Darstellung des himmlischen Jerusalems.
Sie wurden eigens für diesen Chorraum geschaffen und sind ein kunstvoller Ausdruck christlichen Glaubens. Das beherrschende Motiv des Osterfensters ist die in weißem Glas gefasste Gestalt des auferstandenen Jesus. Zentral in der Mitte leuchtet die weiße Figur. Kränze aus meist gelben Glas umringen den Kopf und laufen strahlenförmig zu den Rändern. Gold leuchtend durchdringen sie den Hintergrund, der in blau-lila-grauen Tönen gehalten ist. Ein rotes Glas in der Brusthöhe der Figur symbolisiert das durchbohrte Herz des Gekreuzigten. Im linken Bildrand zieht ein Engel vor dem offenen Grab den Blick des Betrachters auf sich. Ein Pendant im rechten Bildrand zeigt den Giftstachel eines Skorpion in abstrakter Form als Zeichen für den Tod und die Angst.
Birkle ist in diesem Fenster eine meisterhafte Verbindung zwischen Licht und Farbe gelungen. Auch wenn durch dieses Fenster, das nach Norden ausgerichtet ist, kein direktes Sonnenlicht fällt, so ist die Strahlkraft ungebrochen. Das Osterfenster leuchtet – von der Kanzel aus betrachtet – in direkter Linie hinter dem die Kirche beherrschenden Kreuz und verkündet umso kräftiger die Botschaft von der Auferstehung Jesu und den Sieg über den Tod. Leid und Schmerz werden überwunden, die Erlösung und Auferstehung erstrahlen im Licht.
Albert Birkle erhielt den Auftrag für die drei Glasfenster von der St. Jakobsgemeinde und Pfarrer Siegfried Diemer, der von 1957 bis 1972 evangelischer Stadtpfarrer war. Ausschlaggebend für die Wahl auf Albert Birkle war die Verbindung zu Henriette Fischer-Zach, die ihn für diese Aufgabe begeistern konnte. Zuerst fertigte er ein kleineres Fenster an, um die Skeptiker in der Gemeinde von der künstlerischen Aussagekraft eines modernen Glasfensters zu überzeugen. Heute befindet sich dieses als Meditationsfenster in der Sakristei von St. Jakob. Nach langem Ringen hat die Gemeinde mit finanzieller Unterstützung hiesiger Industrie-Unternehmen letztlich 1965 den Auftrag erteilt.
Zu diesem Zeitpunkt ist Birkle bereits ein renommierter Glaskünstler. Albert Birkle kam am 21. April 1900 in Berlin auf die Welt. „Ich bin wohl in Berlin geboren, aber weil meine Eltern Süddeutsche waren, bin ich während der Ferien immer in Süddeutschland gewesen,“ erzählt er in einem Interview. In den zwanziger Jahren bildet ein erheblicher Teil seiner künstlerischen Tätigkeit die Porträtmalerei. In den dreißiger Jahren beschäftigte sich er sich mit sozialkritischen Themen, aber auch Landschaften und Industriemotive gehörten dazu.
Die Haltung der Nationalsozialisten gegenüber Birkle blieb lange ambivalent. 1936 wurden noch zwölf seiner Werke auf der Biennale in Venedig gezeigt, doch schon ein Jahr später wurden seine Arbeiten als „entartet“ gebrandmarkt und aus öffentlichen Sammlungen, wie dem Haus der Kunst in München und der Nationalgalerie in Berlin, entfernt.
Sein erstes Glasfenster entstand in Herrenberg 1931-1933. Seine Hinwendung zur Glasmalerei verstärkte sich nach Kriegsende. Im Zuge des Wiederaufbaus erhielt Birkle mehrere Aufträge zur Gestaltung von Kirchenfenstern.
Birkle erzählt von seiner Liebe zur Glasmalerei: „Das Sichversenken in das Leben des Glases lohnt alle handwerklichen Schwierigkeiten, die der Künstler meistern muß. Der Glasmaler schöpft aus dem vollsten Licht und der vollsten Farbe zugleich… Seine Farbe ist die reinste, die denkbar ist, sein Licht das hellste. Wenn das Werk gelungen ist, soll es dazu beitragen, die Gläubigen in die Atmosphäre der Andacht und des Gebets zu führen.“
Im schwäbischen Raum gibt es mehrere Kirchen, die von ihm ausgestaltet wurden. Es wäre eine attraktive Rundreise von Herrenberg und Kuppingen über Balingen nach Geislingen, wenn man sich einige dieser Werke anschauen wollte. Den Höhepunkt seines Schaffens als Glaskünstler erlebte er durch einen Auftrag für die National Cathedral in Washington D.C. 1968-70. Diese Werke gehören sicherlich zu den hervorragenden Schöpfungen Birkles und sorgten für internationale Anerkennung seiner Kunst.
Die neuere Beschäftigung mit den Birkle-Fenstern in Gernsbach hat auch einen Kontakt zu den Nachfahren von Albert Birkle eröffnet, die das Archiv und das Werk des 1986 verstorbenen Künstlers in Salzburg betreuen. So wurde auch der Zugang zu bisher unveröffentlichten Zeichnungen möglich, die als Vorlage für die Gernsbacher Fenster dienten. Sie wurden im Maßstab 1:20 angefertigt und belegen eindrucksvoll die zeichnerische Brillanz Birkles. Sie machen auch deutlich, wie er das Handwerk der Glasmalerei beherrschte, wie vortrefflich er in der Lage war, die Aussagen von einer Zeichnung auf Papier auf den Werkstoff Glas zu übertragen.
In den Fenstern in der Gernsbacher St. Jakobskirche sowie im gesamten künstlerischen Werk Albert Birkles gibt es noch viel zu entdecken. Die Ostertage geben genügend Zeit, sich mit dem Farbenspiel und dem Ausdruck des Osterfensters zu beschäftigen.
Regina Meier
Zu den Glasfenstern von Albert Birkle werden Führungen von der Touristinfo Gernsbach angeboten (sofern es die Corona-Verordnungen erlauben): Dr. Irene Schneid-Horn wird am Freitag, 23. April 2021, 17 Uhr, und am Samstag, 3. Juli 2021, 14 Uhr, eine Einführung in die Geschichte und Aussage der Kirchenfenster geben. Treffpunkt: St. Jakobskirche Gernsbach.
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 1/2021 im Casimir Katz Verlag am 23. März 2021
Vor 80 Jahren endet das jüdische Leben in Gernsbach. Mit dem Abtransport der letzten verbliebenen jüdischen Bürger nach Gurs findet die Ausgrenzung und Auslöschung des jüdischen Lebens durch die Nationalsozialisten in Gernsbach ihren Schlusspunkt. Neun Gernsbacher werden ultimativ von der Gestapo an dem Morgen des 22. Oktober 1940 aufgefordert, ihre Koffer zu packen und sich zum Abtransport an der Stadtbrücke einzufinden.
Auch bei Hermann Nachmann in der Bleichstraße 2 klopfte die Gestapo am 22. Oktober 1940. Foto: Privatbesitz Götz
Die Gestapo klopft an die Tür in der Bleichstraße 2 bei Hermann Nachmann, in der Bleichstraße 4 müssen sich Arthur und Erna Kahn sowie deren Schwester Hilda Dreyfuß und die beiden Töchter Lieselotte und Margarethe fertigmachen, und in der Bleichstraße 14 haben Eugen Lorsch und seinem Sohn Heinz sowie die Hausgehilfin Bertha Marx keine Wahl, dieser Anordnung zu folgen. Die Aktion findet am Morgen des letzten Tages des Laubhüttenfestes, Sukkoth, statt, einer der traditionellen Festtage der Juden, die im Kreis der Familien gefeiert werden. Die Einsatzkommandos können also davon ausgehen, dass sie in allen jüdischen Haushalten die Familienmitglieder antreffen. Innerhalb einer Stunde sollen sie sich reisefertig machen, ins Handgepäck dürfen lediglich Verpflegung für ein paar Tage, eine Wolldecke, Ess- und Trinkgeschirr und pro Person 100 Reichsmark mitgenommen werden. Von Gernsbach werden die sie mit einem Lastwagen nach Rastatt abtransportiert, dort geht es mit dem Zug in das südwestliche Frankreich, nach Gurs, einem Lager am Fuße der Pyrenäen, weiter. Über 6.000 jüdische Bürger aus Baden, Rheinland-Pfalz und dem Saarland werden im Oktober 1940 von den Nationalsozialisten in das Lager Gurs deportiert.
Heute erinnert nur wenig an das einstige Lager in Gurs.
Unvorstellbare Lagerbedingungen
Viele der Deportierten sterben dort oder in weiteren Lagern. Die Baracken verfügen weder über sanitäre Einrichtungen noch Trennwände oder verglaste Fenster. Kälte und Hunger bestimmen den Tagesablauf. Erschütternde Zeugnisse über die Situation in dem Lager sind durch einen Brief des Gernsbachers Arthur Kahn überliefert. Er schreibt an das Bürgermeisteramt und bittet um die Übersendung von Kleidern, Schlafdecken und Handtücher: „Für alles wollen wir gerne aufkommen, wir befinden uns hier mit meinen kleinen Kindern wirklich in der größten Not, so möchte ich nochmals bitten, die Zusendung auf dem bestmöglichsten, schnellsten Wege erfolgen zu lassen, ohne Rücksicht nehmen zu wollen auf die Höhe der Unkosten. Für ihre Mühe danke ich im voraus, auch im Namen meiner Frau, Schwägerin und Kinder.“ Unterschrieben mit „Arthur Kahn, einst: Gernsbach, Bleichstraße 4“.
Camp de Rivesaltes.
Arthur Kahn stirbt bald darauf, noch im Jahr 1941, 54 Jahre alt, in Rivesaltes, seine Frau Erna Kahn und ihre Schwester Hilde sowie Bertha Marx werden aus Gurs in ein Vernichtungslager, wahrscheinlich Auschwitz, transportiert und 1942 umgebracht. Die Kinder Margarethe und Lieselotte Kahn werden von der Hilfsorganisation OSE (Oeuvre de Secours aux Enfants) gerettet. Die OSE betreibt selbst einige Kinderheime in der unbesetzten Zone, sucht Angehörige der Kinder im Ausland und verhilft ihnen zur Ausreise. So gelangen die beiden Kahn-Töchter zu Verwandten in den USA. Der Jugendliche Heinz Lorsch, im Jahr der Deportation 15 Jahre alt, flieht und schließt sich der französischen Resistance an. Sein Vater Eugen Lorsch stirbt 1941 in Gurs.
Heute ist vom ehemaligen Lager Gurs nicht mehr viel übrig. Man betritt das Gelände über ein Mahnmal, das genau an der gegenüberliegenden Seite des damaligen Eingangs liegt und mit der zwei Kilometer langen Lagerstraße verbunden ist. 1963 wurde der Friedhof restauriert. Die 1.073 identischen Gräber stehen um das Mahnmal die für die jüdischen Opfer aus Gurs. Eine Arbeitsgemeinschaft badischer Städte sich für die Pflege des Friedhofs ein.
Wie konnte es soweit kommen?
Mit dem Tag der Machtübernahme Hitlers verändert sich das Zusammenleben der jüdischen Mitbürger und ihren Nachbarn von Grund auf. Seit Generationen gewachsene Gemeinsamkeiten werden zerstört, und die Diskriminierung der jüdischen Bürger wird Schritt für Schritt umgesetzt. Die Juden werden aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt: 1935 wird eine Judenkartei angelegt, die sämtliche Mitbürger jüdischen Glaubens auflistet, verdächtige Personen werden überwacht. „Kauft nicht bei Juden“ ist auch in den Geschäften jüdischer Kaufleute in Bleich- und Igelbachstraße und auf dem Marktplatz zu lesen, die Gewerbe- und Führerscheine müssen abgegeben werden. Den Menschen wird die Existenzgrundlage entzogen.
Anfänglich vollzieht sich die Ausgrenzung der Juden fast schleichend für viele unsichtbar und unbemerkt. Doch immer mehr wird die Unmenschlichkeit offenbar: so müssen nach der Reichspogromnacht alle jüdischen Kinder Gernsbachs die Schule verlassen.
Wertvolle Erinnerungsarbeit
Im Jahre 2000 fand eine eindrucksvolle Matinee anlässlich der Errichtung des ersten Gedenksteins für die Deportation der Gernsbacher Juden statt
Zum Jahrestag der Deportation am 22. Oktober wird seit 20 Jahren wertvolle Erinnerungsarbeit an die letzten jüdischen Mitbürger in Gernsbach praktiziert. Den Anstoß dazu gab der Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach. Die damaligen Mitwirkenden gestalteten einen würdigen Rahmen für die Enthüllung des Gedenksteins zur Erinnerung an die jüdischen Bürger Gernsbachs an der Stadtbrücke im Jahr 2000.
Es folgte 2008 ein weiterer Gedenkstein in einem ökumenischen Projekt von den Konfirmanden und Firmanden. Sie gestalteten mit der Steinmetzin einen Stein, dessen Zwilling in Neckarzimmern steht. Er zeigt ein Floß aus Baumstämmen, mit Flößerhaken zusammengehalten, doch links greifen die Haken ins Leere, dort ist der Stamm der jüdischen Mitbürger weggerissen, ein Verlust, der unwiederbringlich ist.
Alljährlich werden am 22. Oktober bei den Gedenksteinen Kerzen entzündet und Rosen niedergeleg.
In den vergangenen Jahren gestalten jeweils verschiedene Gruppen die jeweilige Gedenkfeier unter Leitung des Arbeitskreises Stadtgeschichte mit. Regelmäßige Teilnehmer sind Vertreter der christlichen Kirchen, der politischen Gemeinde und verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Auch von Seiten der Schulen ist jeweils eine Schülergruppe eingebunden, die sich mit Textbeiträgen, aber auch Malereien, verzierten Kerzen oder Szenenspiel einbringt. Besonderes Gewicht erhält diese Gedenkfeier, da seit einigen Jahren Nachfahren der einstigen Deportierten die Feier besuchen. Der Teilnahme von zahlreichen Gernsbachern an der Gedenkfeier zeigt, wie wichtig den Bürgern die Erinnerung an die Opfer der einstigen Verfolgung und Diskriminierung durch die Nationalsozialisten ist.
Auch in diesem Jahr wird wieder zur 80. Wiederkehr der Deportation eine Gedenkfeier am 22. Oktober stattfinden. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation wird der Ablauf kurz zuvor in der Tagespresse und den sozialen Netzwerken bekannt gegeben.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2020 im Casimir Katz Verlag am 15. September 2020
Wenn in diesen Tagen die Kinder in die Kinderkrippe in die Jahnstraße 7 einziehen, beginnt ein neuer Abschnitt in der über 80-jährigen Geschichte des Hauses.
1939 nannten Familie Abel ihr Wohnhaus in der Gartenstraße 7 liebevoll “Fässle”. Foto: Abel, privat
Auf den ersten Blick sieht man diesem adretten Haus nicht an, dass es ein Stück Gernsbacher Wirtschaftsgeschichte verkörpert. Errichtet wurde es 1936 – und zwar als Musterhaus der Firma Katz & Klumpp. Dieses Haus ist eines der Musterhäuser der Fertighausabteilung des einstigen Unternehmens in der Bleichstraße.
Bereits nach dem Ersten Weltkrieg fertigte Katz & Klumpp Gewächshäuser auf dem Areal in der Bleichstraße. Daraus entstand eine eigene Abteilung: die Holzbauabteilung, kurz Hoba genannt. Der damalige Unternehmensleiter Helmuth Katz (1891-1969) hat nach dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise die Holzverarbeitung um ein neues Geschäftsfeld erweitert.
Er hatte auf seinen Reisen durch Schweden die Fertigung von Fertighäusern gesehen. Zuerst lief das Geschäft langsam an, zuerst wurden Holzbaracken hergestellt. Nachdem die anfänglichen Probleme überwunden waren – denn in Deutschland war diese Art zu bauen, noch unbekannt: die Versicherungen machten Schwierigkeiten, die Banken waren nicht bereit, diese Häuser mit Hypotheken zu beleihen – lief die Produktion auf vollen Touren.
Blick auf das Sägewerk Katz & Klumpp um 1928.
Anfangs der dreißiger Jahre waren es 20 bis 30 Häuser pro Monat. Die Herstellung der Häuser war sehr lohnintensiv. Das bedeutete, dass in Gernsbach bis zu 450 Arbeitskräfte damit beschäftigt waren.
Das Schnittholz dazu wurde in den Sägewerken von Katz & Klumpp in Weisenbach und Gernsbach geschnitten, es wurde aber auch Holz aus benachbarten Sägewerken zugekauft. Im Gernsbacher Hobelwerk – die Holzhalle, die in diesem Frühjahr auf dem Pfleiderer Areal abgerissen wurde – standen große Hobelmaschinen und eine Schreinerei. In der Montagehalle wurden die einzelnen Elemente im Akkord zusammengefügt. Schon damals erkannte man, dass eine konsequente Normierung eine wesentliche Bedingung für die kostengünstige Fertigung darstellt.
Nach Kriegsende beschlagnahmten die Franzosen erst mal die Produktion in Gernsbach. Die Holzbauabteilung wurde von Nona Mayer-Katz übernommen. Ihre guten Französisch-Kenntnisse und die guten Beziehungen zur Besatzungsmacht machte die Abwicklung dieser Reparationspflichten um vieles einfacher. Es wurden Holzhäuser für den Wiederaufbau in Frankreich gefertigt. Dies hatte oberste Priorität. Und die Zahl der Beschäftigten wuchs auf 600. Etwa 50 Häuser wurden monatlich nach Frankreich geliefert.
Die Hobelhalle von Katz & Klumpp.
Allerdings erfuhr diese Ausfuhr von Fertighäusern nach der Währungsreform 1948 einen radikalen Einschnitt. „Von heute auf morgen gab es kein Geschäft mit Holzhäusern mehr“, hielt Dr. Casimir Katz in seinen Erinnerungen „Der Kampf um die Firma“ fest. Die plötzliche Auftragseinbruch brachte auch eine kuriose Situation mit sich. Die letzte Bestellung der Franzosen lautete über 150 Häuser, von denen man bereits einige Teile gefertigt hatte. „Nun saß man mit 137 fertigen rechten Giebeln, aber keinem linken Giebel da“, geht es in den Erinnerungen weiter. In den nächsten Jahren konnten diese auch nicht mehr verarbeitet werden, weil in Deutschland niemand Geld hatte, sich ein solches Haus zu leisten. Zwei der Häuser wurden noch errichtet: beide stehen heute noch in Gernsbach, eines davon steht in der Austraße, das Modell Typ Gernsbach I steht in der Friedrichstraße.
Ein rares Dokument der letzten Phase der Hoba-Abteilung findet sich im Hauptstaatsarchiv in Freiburg. Dort ist festgehalten, dass sich im Jahr 1950 die Fa. Katz & Klumpp darum beworben hatte, Holzhäuser für den Vatikan zu liefern. Doch dieser Auftrag kam nicht mehr zustande.
1954 erfolgte die Auflösung der Hoba-Abteilung. Das bedeutete das Aus nicht nur für einen zukunftsträchtigen Fertigungsbereich, sondern auch für viele Beschäftigte. Die Arbeitskräfte wechselten zur Bierglasuntersetzerfabrik nach Weisenbach oder zu Daimler-Benz. Die Pläne, die Holzbau-Abteilung in eine Wohnbau-Abteilung großen Stils umzurüsten, wurden nicht weiter verfolgt. Der Plan hatte vorgesehen, der Holzabteilung ein Betonwerk und eine Abrichterei von Metallbestandteilen anzugliedern. Doch diese Pläne wurden nicht umgesetzt: 1954 wurde die Fertigungsstätte der Hoba zum Betonschwellenwerk umgebaut.
Lange Tradition als Wohnhaus
Das Haus in der Jahnstraße 7 wurde von Katz & Klumpp als Wohnhaus gebaut. Ende der dreißiger Jahre wohnte darin der Sohn des Prokuristen und Oberbuchhalter Gustav Abel sen. mit seiner Frau Gogi. Damals hieß die Adresse noch Gartenstraße 7. Erst 1952 wurde auf Antrag des Turnvereins Gernsbach die Umbenennung in Jahnstraße vollzogen. Gleichzeitig wurde die Genehmigung erteilt, ein Jahn-Denkmal an dem damaligen Progymnasium zu errichten.
Das Haus wurde 2020 umfassend renoviert. Foto: SPIELWIESE GmbH
Die Kriegsereignisse schrieben die Geschichte des Hauses weiter: Gustav Abel jun. war als Dolmetscher in der Wehrmacht eingesetzt und konnte die Familie seiner Frau, die aus Düren stammte, vor den Bombardements des Ruhrgebiets retten. Sie fanden Zuflucht in dem Haus am Bachgarten. Nach Kriegsende beschlagnahmten die Franzosen das schmucke Haus, erst 1957 wurde es wieder freigegeben.
Die Stadt Gernsbach, die seit 1963 Eigentümer des Hauses ist, hat dieses Haus zu Wohnzwecken vermietet. In den letzten Jahren wurde es als Anschlussunterkunft für Flüchtlingsfamilien genutzt. Einen prominenten Mieter hatte das Haus gleich zu Beginn der städtischen Ära in dem Haus: der katholische Pfarrer Heinz Marbach, der als junger Pfarrer 1964 nach Gernsbach kam, war kurz danach obdachlos, da ein Brand das Pfarrhaus vernichtet hatte und er erst mal eine Bleibe suchen musste. So zog er zum 1. Februar 1965 in das Haus ein, das nicht weit zu der Liebfrauenkirche liegt, und fand dort bis zur Fertigstellung des neuen Pfarrhauses sein Zuhause.
Nach der Renovierung 2020 erstrahlt das historische Bauwerk wieder in voller Pracht. Foto. SPIELWIESE GMBH
Nach der Sanierung des Hauses 2020 erstrahlt das Gebäude in neuer Pracht und sieht einer lebendigen Zukunft entgegen. Dank der umfassenden Renovierung der Innenräume, den Einbau einer Fluchttreppe, einer energetischen Sanierung und eines neuen Daches wurde ein modernes Heim für die neue Kinderkrippe geschaffen. Träger der Einrichtung ist die Spielwiese gGmbH. Die Gesellschaft, mit Sitz in Baden-Baden, unterhält weitere Einrichtungen in Gaggenau, Muggensturm und Rastatt. Dazu gehört auch der Waldkindergarten Gernsbach im ehemaligen Naturfreundehaus unter Leitung von Florian Kreuzer. Mit der Einrichtung kommt die Stadt Gernsbach dem Ziel, ausreichend Kinderkrippenplätze anzubieten, einen Schritt näher.
Gleichzeitig wird auch ein Relikt Gernsbacher Industriegeschichte vor dem Verschwinden bewahrt.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2020 im Casimir Katz Verlag am 15. September 2020
50 Jahre nach der umwälzenden Renovierung der Liebfrauenkirche steht in diesem Jahr eine Sanierung im Kircheninnern und des Dachtragewerks an. Zu Beginn dieses Jahres entwickelte sich das Innere des Gernsbacher Gotteshauses zu einer Großbaustelle. Die Maßnahmen sehen nicht nur einen kompletten Anstrich der Wände und des Gewölbes vor. Vielmehr sind wesentliche Reparaturen im Dachtragwerk notwendig: Zimmerleute und Steinmetze sind seit Wochen mit den Ausbesserungen in der Dachkonstruktion beschäftigt.
Seit Mitte Januar 2020 die Kirche für Gottesdienste und Besucher gesperrt. Abgesehen von den Unregelmäßigkeiten durch die Corona-Krise weichen die Gemeindemitglieder seit Jahresbeginn auf die umliegenden Kirchen der Seelsorgeeinheit aus. Außerdem finden in Abstimmung mit der evangelischen St. Jakobsgemeinde katholische Gottesdienste in der St. Jakobskirche statt.
Insgesamt sind 18 Firmen in der Renovierung eingebunden, dabei handelt es sich um Handwerker vor Ort, aber auch Spezialfirmen von Heidelberg über Karlsruhe bis Triberg. Bauherr Dekan Josef Rösch hat mit die überwachenden und koordinierenden Arbeiten an Architekt Bernd Wörner, Langenbrand, übertragen. Sie können auf ein erfahrenes Team zurückgreifen, da erst vor wenigen Jahren eine umfassende Innenrenovierung der Obertsroter Kirche Herz Jesu erfolgte. Die Entscheidungen erfolgen In enger Zusammenarbeit mit Architekt Hartmut Herold vom erzbischöflichen Bauamt.
Die geplante Renovierung sollte zum Ende des Sommers abgeschlossen werden. Bisher verlaufen die Arbeiten nach Plan. Die Bauhandwerker waren durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie wenig beeinträchtigt. Sie konnten im dem weitläufigen Dach und Kreuzgewölben ungehindert arbeiten. Schwieriger waren allerdings die Absprachen mit Architekt und Behörden. Denn da waren Reisebeschränkungen für eine unkomplizierte Kommunikation hinderlich.
Gigantisches Gerüst
Den Auftakt für die Renovierungsarbeiten gestalteten die Gerüstbauer. Bevor das mehrere hundert Meter lange und 14 Meter hohe Gerüst montiert wurden, wurden Orgel, Altar und die Glasfenster sorgfältig geschützt. In knapp vier Wochen wurde das gesamte Kircheninnere mit einem imposanten Arbeitsgerüst gefüllt. Auf sechs Gerüst-Etagen sind nun alle Bereiche des Kircheninneren zugänglich. Die Gemeindemitglieder konnten sich in einer Baustellen-Besichtigung Mitte Juni ein Bild von dem gigantischen Gerüst machen. Letztlich musste noch ein zusätzliches Außengerüst angebracht werden, damit die Holzlieferungen über das Dach erfolgen konnten.
Risse im Wandmauerwerk Seit langem laufen die Planungen der Dachtragwerkssanierung. Über Monate hinweg wurden die Rissbildungen im Wandmauerwerk beobachtet. Die Kirchenbesucher konnten die Messpunkte im Kircheninnern deutlich erkennen. Das Büro für Baukonstruktion, Karlsruhe, legte danach ein detailliertes Gutachten über den statisch-konstruktiven Zustand des Dachtragwerks der Liebfrauenkirche vor und listete nicht nur die Befunde auf, sondern formulierte auch die Instandsetzungsempfehlungen. Ziel ist es nach Abschluss der Arbeiten, die ungünstige Lastabtragung des Dachtragwerks auf die Außenmauern zu beseitigen und neue Sicherheiten im Traggefüge zu schaffen.
Zimmerleute sind gefragt Nach den Gerüstbauern folgten sogleich die Zimmerleute, die seit März mit dem Austausch der morschen Balken und Kanthölzer, beschäftigt sind. Erst im Verlauf der Arbeiten stellten die Zimmerer die tatsächlichen Schäden im Gebälk fest. Dabei stellten sie Unterschiede zwischen dem alten Teil der Kirche aus dem 14. Jahrhundert und der Erweiterung des Kirchenschiffes aus dem 19. Jahrhundert fest. Doch bevor sie das Auswechseln der schadhaften Balken vornehmen konnten, mussten sie zuerst Stege bauen, um die außenliegenden Stellen zu erreichen.
Zimmerermeister Dominik Schneider mit den beiden Mitarbeiter von Zimmerei Markus Fetzer, Gaggenau, mussten alle Register der Zimmermannskunst ziehen, um die diffizilen Arbeiten im Gebälk durchzuführen. Blattverbindungen mussten repariert und Mängel an den Sparrenfußpunkten beseitigt werden. Mauerschwellen, die zur Verteilung der Lasten entlang der Mauerkrone dienen, wurden zum Teil erneuert. Balkenköpfe mussten neu eingebaut und mittels Schrägverschraubung gesichert werden. Dabei mussten die Handwerker hoch oben in dem dreistöckigen Dachgeschoss so manche knifflige Situation lösen.
Unvorhergesehenes für Steinmetze Die geplanten Steinmetzarbeiten konnten bereits Mitte Mai abgeschlossen werden. Sie umfassten die Aufbereitung der Risse im Mauerwerk, damit diese denkmalgerecht geschlossen werden können. Dies war eine staubintensive Arbeit, die von Steinmetzbetrieb Bernhard Binder, Gaggenau, ausgeführt wurden. Die statischen und baulich bedingten Risse wurden bis auf das Mauerwerk geöffnet. Dabei drangen die Steinmetze in den Unterbau des Mauerwerks vor und konnten gut den Unterschied der alten Kirche aus dem 14. Jahrhundert zu dem im 19. Jahrhundert erfolgten Erweiterungsbau ablesen. Wurden im alten Teil unterschiedliche Bruchsteine verwandt, so finden sich im Anbau viele Ziegelstücke und Backsteine.
Unvorhergesehene Arbeiten fielen im Gewölbe des Kircheninneren an. Der erste Schrecken, nachdem die Gefahr des Absenkens des Gewölbes festgestellt wurde, legte sich nach der genauen Schadensanalyse. Allerdings musste das Steinmetzunternehmen in die Schatzkiste ihres Fachwissens greifen. Die sandsteinernen Gewölberippen wurden durch Metallgewindestangen nach oben hin gesichert. Dazu wurden die Gewölberippen aufgebohrt, die Gewindestangen eingefügt und mit einer Mutter gegen eine Metallplatte auf dem gemauerten Gewölbe verschraubt. Auf dem Gewölbe wurden Platten einbetoniert, um die Last gleichmäßig zu verteilen. Somit wurden sie gegeneinander verbunden und die Festigkeit wieder hergestellt. Besondere Aufmerksamkeit ließen die Steinmetze beim Kürzen der überstehenden Gewindestangen walten: sie wurden mit Hydraulikdruck abgequetscht, ein Flexen wäre wegen des Funkenflugs zu gefährlich gewesen.
Gewerke im Kostenrahmen
Die Sanierung ist mit einem Kostenrahmen von 910.000 Euro angesetzt. Die Erzdiözese trägt 230.000 Euro der Kosten, eine Kreditaufnahme von 300.000 Euro ist genehmigt. Den Rest muss die Kirchengemeinde aufbringen. Dabei ist man auch auf Spenden angewiesen. Nur die dafür angedachten Aktionen wurden durch die Corona-Krise gebremst. Geplante Baustellenführungen mussten ebenso ad acta gelegt werden. Bislang gab es nur wenige unvorhergesehene Verzögerungen oder Kostenveränderungen.
Eigenleistungen der Gemeinde sind nur in geringem Maße möglich. Lediglich bei den vorbereitenden Arbeiten wurden die Gemeindemitglieder aktiv. Das Ausräumen der Kirche gehörte dazu. Dank der Gerüsttechnik mussten die Bänke nicht entfernt werden, es genügte ein Abdecken der Bänke, um sie vor Baustaub und Malerarbeiten zu schützen.
Neue Lichtgestaltung
Eine wesentliche Veränderung, die nach der Renovierung den Kirchenbesuchern auffallen wird, betrifft die Lichtgestaltung in der Kirche. Der Altarbereich, aber auch die Eingangsbereiche wie die markanten Punkte der Kirche werden mit neuen Leuchten besser ausgeleuchtet. Dabei werden die bisher bestehenden Elemente beibehalten, allerdings durch moderne Leuchtkörper und energiesparendere Varianten ersetzt. Die Umstellung ist auf LED-Leuchten und Programmierung von Licht-Szenarien geplant.
Außerdem wird die gesamte Verkabelung erneuert. Allein im Kirchenschiff wurden dazu über 800 Meter neue Kabel verlegt. Die alten Kabel wurden aus Sicherheitsgründen weitestgehend entfernt und zusätzliche Brandschutzeinrichtungen installiert. Gleich zu Beginn der Renovierung wurden die Schlitze für Kabel gefräst und werden nach dem Verputzen nicht mehr erkannt werden.
Malerarbeiten zum Schluss Die letzten Arbeiten werden durch die Maler ausgeführt. Insgesamt 1940 Quadratmeter Wandfläche müssen gereinigt und die neue Farbe aufgetragen werden. Feine Risse haben sich im Laufe der vergangenen 50 Jahren im Gewölbe gebildet. In diesem feinen Rissnetz hat sich Schmutz einlagert, was die Risse optisch stärker hervortreten lässt. Mit Unterstützung von Restauratoren wird nun in einem Trocken-Reinigungsverfahren diese optische Beeinträchtigung behoben. Dank des sechs-stöckigen Gerüstes werden die Maler selbst die entlegensten Winkel der Gewölbedecke erreichen.
Arbeitskreis Renovation gebildet
Der Arbeitskreis Renovation der Liebfrauenkirche musste sich in den Corona-Zeiten besonderen Herausforderungen stellen.
Im Zuge der Sanierungsarbeiten hat sich ein Arbeitskreis Renovation in der Gernsbacher Seelsorgeeinheit gebildet. 15 Mitglieder aus der Liebfrauengemeinde trafen sich seit Beginn des Jahres, um zu einzelnen Themen Anregungen und Wünsche der Gemeinde an Architekt und Bauträger einzubringen. So wurden beispielhafte Lichtkonzepte anderer Gotteshäuser vor Ort begutachtet, wie auch Ideen für eine Umgestaltung des Seitenschiffes diskutiert. Vorschläge für eine Veränderung des Taufbereichs und eines Andachtsraums sowie einen barrierefreien Zugang zu dem Kerzenständer legte bereits im vergangenen Jahr das Gemeindeteam der Liebfrauengemeinde vor.
Waren zu Beginn des Jahres noch Treffen des Arbeitskreises möglich, so verständigte man sich seit März 2020 im E-Mail-Verkehr. Zur Präsentation des Lichtkonzepts traf sich das Gremium im Mai in der Kirche, allerdings mit den gebotenen Abstandsregeln.
Aufmerksamkeit für Fledermäuse
Für die Fledermäuse wurden besondere Vorkehrungen getroffen.
Der Terminplan der Bauarbeiten ist mit Rücksicht auf die Fledermäuse ausgerichtet. In Dachstuhl und Kirchturm findet sich seit vielen Jahren die heimische Fledermausart Graues Langohr, die als streng geschützt vom Bundesnaturschutzgesetz eingestuft wird. Für diese gelten besondere Schutzrichtlinien, die in dem Bauzeitenplan berücksichtigt wurden. Die Pfarrgemeinde hatte damit ja bereits bei der Sanierung der Klingelkapelle Erfahrung und konnte auf die gute Zusammenarbeit mit den Fledermausexperten zurückgreifen. In der Klingelkapelle wurde zwischenzeitlich dank der Vorkehrungen sogar ein Wachstum der Fledermaus-Kolonie festgestellt. In der Liebfrauenkirche betreten die Zimmerleute und Steinmetze seit April nicht mehr den Turm, der Zugang zum Dachstuhl ist nur über ein Außengerüst möglich. Zwischen Dachstuhl und Turm wurden verbesserte Durchflug- und neue Quartiermöglichkeiten für die nachtaktiven Tiere geschaffen.
Die nistenden Falken im Kirchturm ließen sich von dem umtriebigen Arbeiten der Zimmerleute und Steinmetze nicht beirren. Sie bezogen wie gewohnt zu Jahresbeginn ihren Nistkasten und ziehen ihre Jungen auf. Eine der Maßnahmen im Dachbereich der Kirche betraf auch das Entfernen der Kotspuren der Tauben. Die Verschmutzungen, die auch Holzschädlinge mit transportieren können, wurden entfernt.
Denkmalschutz großgeschrieben In enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde wurden die einzelnen Maßnahmen durchgeführt. Dabei geht es nicht nur um die adäquate Sicherung der Gewölberippen, sondern auch um die denkmalgerechte Behandlung der Gewölbe- und Sandsteinflächen wie auch der Kunstwerke.
Die historischen Heiligenfiguren und die zentrale Pieta befinden sich bereits seit Jahresanfang bereits in der Restauratorenwerkstatt. Dort werden sie gereinigt und konservatorisch behandelt.
Die früheren Renovierungen Die letzte umfangreiche Renovierung der Liebfrauenkirche liegt bereits 50 Jahre zurück. Damals wurde das komplette Kircheninnere verändert. Der hölzerne Hochaltar wurde entfernt und die alte Bemalung in dem alten Teil der Kirche wieder freigelegt, außerdem auf den „neuen“ Teil übertragen. Dabei verschwanden die im 19. Jahrhundert angebrachten Gemälde komplett. Die Bänke wurden erneuert, Kanzel und Seitenaltäre wurden abgebaut. An das völlig andere Aussehen des Kircheninnern musste sich die Gemeinde damals erst gewöhnen. Eine weitere Renovierung erfolgte 1996. Damals wurde das Dach der Kirche neu gedeckt, der Wetterhahn neu ausgerichtet und das Turmkreuz repariert.
Für die Liebfrauengemeinde geht nach den letzten Arbeiten eine lange Phase zu Ende, in denen sie nicht in ihrer gewohnten Umgebung ihren Gottesdienst feiern konnten. Noch steht ein Termin der feierlichen Eröffnung der neu renovierten Kirche nicht fest, doch sind die Verantwortlichen zuversichtlich – wenn keine unvorhergesehene Überraschungen mehr auftauchen – dass das Patrozinium am 4. Oktober 2020 schon in renovierten Liebfrauenkirche stattfinden kann.
Regina Meier
Die Fotos wurden von Werner Meier im Zeitraum zwischen Januar und Juni 2020 gemacht.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Gernsbach – Teil 2
Das Ende des Zweiten Weltkriegs bahnte sich in Gernsbach in den ersten April-Tagen an. Bereits im vergangenen Gernsbacher Boten 1/2020 vom 31. März 2020 wurden die Monate vor dem Einmarsch der Franzosen 1945 beschrieben. Aufbauend auf den Veröffentlichungen von 1995 anlässlich der 50. Wiederkehr des Kriegsende wurde dieser Rückblick ergänzt durch weitere Zeitzeugenberichte. Diese finden sich in Tagebüchern, die von Gernsbachern in jenen Tagen geschrieben wurden und an die Nachfahren weitergegeben wurden. Auszüge daraus werden hiermit erstmals für eine Veröffentlichung freigegeben. Auch der „Kriegsbericht“, den der katholische Pfarrer Ernst Bernauer zur Berichterstattung an die Erzdiözese in Freiburg verfasste, gibt Aufschluss über die Situation vor Ort im April 1945.
Die Front rückte immer näher, die Fliegerangriffe verbreiteten Angst und Schrecken. Ständig fanden Luftangriffe statt, die Bevölkerung musste immer häufiger die Keller und Luftschutz-Einrichtungen aufsuchen. Als die Nachricht von der Einnahme Karlsruhes bekannt wurde, war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Franzosen auch in Gernsbach ankamen.
„Die Besetzung war noch in der Nacht vom 11./12. April 1945 zu erwarten, da die französischen Truppen bereits in Loffenau waren, wo selbst einige Häuser brannten. Auch aus Michelbach war ihr Anrücken gemeldet“, veröffentlicht Wilhelm von Müller im „Murgtäler Boten“.
Detaillierte Kriegstagebücher
In der Darstellung des französischen Militärs nimmt Gernsbach eine untergeordnete Rolle ein. Nach den vielen Orten, die sie nach der Rheinüberquerung und der Einnahme Karlsruhes auf ihrem Marsch nach Freudenstadt einnehmen mussten, spielte Gernsbach keine zentrale Rolle.
Auf dem Kaltenbronn hatten sich deutsche Soldaten bei der Kreuzlehütte postiert und leisteten den anrückenden französischen Truppen Widerstand. Dabei kamen zwölf deutsche Soldaten ums Leben. Der Zug der französischen Armee konnte nicht aufgehalten werden, wie Hubert Intlekofer in seinem Buch „Geschichte des Kaltenbronn“ festhält. „Gegen Euyachmühle und Dürreychof wird die Front von den Einheiten der 257. VGD (Volksgrenadier-Division – Anm.) gehalten“, findet sich im Kriegstagebuch der 19. deutschen Armee, März-April 1945, das den Kriegsverlauf im Oberrheingebiet detailliert beschreibt.
Vier Jahre später veröffentlichte der General Jean de Lattre de Tassigny, der als Oberkommandierender der 1. französischen Armee den Angriff in Südwestdeutschland befehligte, eine ausführliche Darstellung der Angriffe aus französischer Sicht. Darin werden auch die Bewegungen im Murgtal festgehalten. Darin beschreibt er auch, wie marokkanischen Einheiten über den Kaltenbronn nach Loffenau marschieren. „Die gegnerischen Truppen kämpfen weiter… Doch ihr Mut kann nichts mehr ausrichten“, hält er fest.
Beim Kampf um Rastatt führt er aus: „Dem Befehl des Führers wird gehorcht und jede Häuserzeile erfordert von uns eine Belagerung“. Die Kämpfe müssen sehr erbittert gewesen sein, denn der General fügt in seinen Bericht die Formulierung in deutscher Sprache ein, dass die Kämpfe „bis zum letzten Mann“ stattfanden. Ähnlich lauten die Eintragungen im deutschen Kriegstagebuch: „Die Besatzung von Rastatt leistet den konzentrischen Feindangriffen in erbitterten Häuserkämpfen hartnäckigen Widerstand.“
Im Kriegstagebuch der 19. deutschen Armee finden sich zu diesen Tagen aufschlussreiche Eintragungen für unsere Region. So ist für den 11. April 1945 vermerkt: „Die 106. J.D. (Jägerdivision Anmerkung), die in der Masse aus Luftwaffen-, Zoll und Volkssturmeinheiten besteht, hat in den letzten Tagen in harten Abwehrkämpfen alle feindlichen Durchbruchsversuche verhindert und dem Feind nur schrittweise Boden überlassen.“ An anderer Stelle ist allerdings auch von den hohen eigenen Ausfällen die Rede und die nüchterne Beurteilung des Ausbildungsstandes der Volkssturmabteilungen, der mit „völlig unzureichend“ beschrieben werden. Die Eintragungen belegen weiter: „Im Laufe der Nacht vom 11./12.4.1945 dringt der Gegner in Btl.stärke mit mindestens 10 Panzern von Osten und Norden in Gernsbach und Scheuern ein und hat damit in diesem Abschnitt das Murgtal erreicht.“
Letzte Zuflucht in den Kellern
Ernst Bernauer, Katholischer Stadtpfarrer Gernsbach, verfasste einen Bericht nach Ende des Zweiten Weltkriegs
In Gernsbach rückten die Franzosen fast ohne Gegenwehr ein. „Am Abend des 11. April begannen drei Batterien kleineren Kalibers, die im Westen des Städtchens aufgestellt waren, in Richtung Loffenau zu schießen. Der Franzose reagierte nicht darauf. Seine Panzer standen schon seit Beginn der Nacht, wie es sich nachher herausstellte, im Osten unmittelbar vor dem Städtchen, aus der Richtung Loffenau kommend“, schreibt Pfarrer Ernst Bernauer in seinem „Kriegsbericht“. „Abends 9.30 Uhr wurden die beiden Brücken über die Murg gesprengt, nachdem der erste französische Panzer schon in Ottenau über die Murg gegangen und bis an das Haus Betesda vorgedrungen war“, schildert Pfarrer Bernauer weiter.
Nach Mitternacht durchkämmten die französischen Einheiten jedes Haus in Gernsbach und öffneten die Keller, in denen die Menschen angsterfüllt saßen.
In dem großen Keller in der Bleichstraße 22, in dem sich nicht nur die Hausbewohner, sondern auch zahlreiche Nachbarn geflüchtet hatten, hielten die Nachtstunden des 11. April 1945 noch eine besondere Dramatik bereit: Dort kam in jener Nacht ein Baby zur Welt.
„Wir waren vor Angst ganz starr, doch als die Soldaten an uns Schokolade verteilten, waren wir wie erlöst, dass diese Angst jetzt ein Ende haben sollte“, erinnern sich Hildegard und Ortrud Walter vom Gasthaus Kreuz in der Bleichstraße.
Leonore Mayer-Katz (Aufnahme von 1972). Foto: Meier
Leonore Mayer-Katz berichtet: „Auch wir warteten im Keller, bis sich ein französischer Soldat zeigte. Der Krieg hatte uns verschont. Ein gewisses Aufatmen ging durch unsere Reihen, trotz aller Ungewissheit vor der Zukunft. Für mich persönlich bedeutete dieser Augenblick die Hoffnung auf Freiheit und auf ein Wiedersehen mit meinen verschleppten Angehörigen.“ Noch im Mai wird Leonore Mayer-Katz selbst in das Konzentrationslager Theresienstadt fahren und ihre dort inhaftierte Mutter und weitere Baden-Badener heimholen.
Frida Bohnert in der Weinbergstraße hält diese Nacht in einem Tagebuch stichwortartig fest: „Habe Proviant für den Bunker gerichtet, man konnte ja doch nicht schlafen.“
Als die Franzosen von Loffenau her nach Gernsbach einmarschierten, öffneten sie auch den Luftschutzbunker an der Loffenauer Straße. Dort hatten bei dem Alarm vor allem die holländischen Fremdarbeiter Zuflucht gesucht. Die Franzosen schossen mit Maschinenpistolen in den Luftschutzstollen und trafen dabei einen Holländer tödlich, ein anderer wurde verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Noch zwei weitere Todesopfer forderte der Einmarsch der Franzosen: Als längere Zeit kein Schusswechsel mehr zu hören war, machte sich der Gernsbacher Friedrich Lemmermeier auf den Weg vom Badhaus zur Murginsel. Er wollte sehen, was sich beim Murgübergang abspielte. Ganz nahe bei der dortigen Brücke wurde er von den Franzosen erschossen, die in der Dunkelheit der Nacht nicht ausmachen konnten, wer sich ihren Stellungen nähert. Aus den Protokollen jener Tage geht ebenso hervor, dass Margarete Töllich, die aus Köln nach Gernsbach evakuiert worden war, erschossen wurde.
Alle drei Opfer wurden auf dem Katholischen Friedhof beigesetzt, ihre Gräber liegen nebeneinander. Noch heute kann man ihre letzte Ruhestätten besuchen, die regelmäßig gepflegt werden. Auch weitere Gernsbacher Todesopfer des Weltkriegs wurden hier beigesetzt. Gleich daneben findet man auch das Grab des Fremdarbeiters, der beim Forstamt Gernsbach eingesetzt war und im Mai 1944 gestorben war. Der Holzhauer Anastasius Jaskzkowski gehörte zu den insgesamt zehn Waldarbeitern, die im November 1943 für den Winterholzeinschlag dem Forstamt Gernsbach zugewiesen waren. Sie verrichteten Holzfällerarbeiten im Wald von Sulzbach. Zu der Beerdigung ihres Kollegen nahmen die anderen ausländischen Arbeitskräfte teil, wobei es sich zum größten Teil um russische Kriegsgefangene handelte.
Zerstörte Häuser in Gernsbach
Die Häuser zwischen Zunftgasse, Igelbachstraße und Loffenauer Straße diewurden durch Artilleriebeschuss zerstört und später etwas versetzt wieder aufgebaut.
Die Situation in Gernsbach am Morgen des 12. April war ernüchternd. Die Häuser in dem Dreieck der oberen Igelbachstraße, der Loffenauer Straße und der Zunftgasse waren weitgehend durch den Artilleriebeschuss und den folgenden Bränden zerstört. Die Einwohner hatten ihr Hab und Gut und ihr Zuhause verloren. Als die Häuser wieder errichtet wurden, wurden sie etwas zurückgesetzt, aufgebaut. Diese versetzte Häuserfront ist heute noch gut zu erkennen.
Auch in der Schlossstraße waren zwei Häuser den Flammen zum Opfer gefallen: die Gebäude der Kupferschmiede Rothengatter waren zerstört. Hubert Schleicher, der 1945 in der Schlossstraße wohnte, musste in den folgenden Tagen helfen, die Schäden zu beseitigen. Er hielt am 2. Mai in seinem Tagebuch fest: „1 Wagen Schutt von Rothengatter abgeführt.“ Auch am 5. und 7. Mai musste er nochmals Trümmer von dem zerstörten Haus Rothengatter entsorgen.
Der Dachstuhl des Restaurants „Laub“ an der Hofstätte war ebenfalls in Brand geraten. Dieses Feuer durfte jedoch durch die Bewohner gelöscht werden, die einmarschierten Franzosen erlaubten die Löscharbeiten.
Von verschiedener Seiten wird berichtet, dass die ersten Soldaten, die die Gemeinden besetzten, freundlich und zuvorkommend waren. Frida Bohnert, die in der Weinbergstraße wohnte, hält für Freitag, den 13. April, fest: „Heute früh 1/2 9 kamen 2 Franzosen mit vorgehalt. Revolver zur Hausdurchsuchung, waren sehr anständig.“ Pfarrer Bernauer schreibt: „Pfarrer und Pfarrhaus wurden in keiner Weise belästigt, am des 12. April kam ein französischer Leutnant ins Pfarrhaus, begrüßte den Pfarrer und alle Pfarrhausbewohner (damals 9 Personen) und fragte: ‚Na, wie geht’s, Herr Pfarrer?‘ Ebenso waren die Schwestern und das Schwesternhaus in keiner Weise Belästigungen ausgesetzt.“
Im ehemaligen Forstamt Kaltenbronn waren französische Soldaten untergebracht. Foto: Stadtarchiv Gernsbach
Erst beim Durchmarsch der nachfolgenden Truppen begann eine harte Zeit für die Bevölkerung. Aus jenen Tagen sind auch Misshandlungen und Vergewaltigungen überliefert. Auch Plünderungen waren an der Tagesordnung. Im Archiv der Stadt Gernsbach ist eine lange Liste von Beschädigungen und Verwüstungen dokumentiert.
So gibt es u.a. eine Meldung von Schuh-Bleier in der Hauptstraße am Marktplatz, dass „ein Schaufenster und ein Ladentürfenster bei der Plünderung am 12. April 1945“ zerstört wurden. Dabei wurden „ 45 Paar braune und schwarze neue Herrenhalbschuhe geplündert à 18,50 Mark 25 Paar, à 14,50 Mark 20 Paar“.
Doch in der Bevölkerung machte sich erst einmal ein Aufatmen durch das Ende der Kriegshandlungen breit. Eine Zeitzeugin erinnert sich noch sehr gut: „Die Erleichterung war unbeschreiblich, dass endlich die Fliegerangriffe aufhörten. Neben aller Not war endlich Ruhe zu haben vor den Jagdbombern wie eine Erlösung.“ Auch Frida Bohnert schreibt in ihr Notizbuch froh über das Ende der Fliegerangriffe, allerdings verschweigt sie auch nicht die Schattenseiten: „Das schlimmste waren die Plünderer. Sonst wieder ruhig, kein Beschuss, kein Alarm mehr.“
Die Franzosen verhängen Ausgangssperren und Versammlungsverbote. So vertraut Frida Bohnert ihrem Tagebuch an: „Gutleber gibt als Stadtbüttel die täglichen Maßnahmen bekannt. Ausgehverbot, abends von 8 Uhr ab darf niemand mehr die Straße betreten.“ Doch bald, ab Ende Mai wurde mit Rücksicht auf die Feldarbeit, die Sperrzeit von 21 Uhr bis 6.30 Uhr verkürzt. Weitere Lockerungen wurden eingeführt, bis ab Sommer 1946 die Sperrzeit ganz aufgehoben war.
„Durch die Verwüstung bei der Sprengung der Stadtbrücke war das gesamte oberste Stockwerk unseres Hauses nicht mehr benutzbar. Die Franzosen ließen uns zwei Räume, in denen wir mit unseren Eltern wohnten. Das ganze Zimmer war mit Zubern und Eimern vollgestellt, um bei Regen das Wasser bei den undichten Stellen aufzufangen. Und doch waren wir froh, dass wir in unserem Haus bleiben durften. Anderen erging es noch viel schlimmer“, erinnert sich Ortrud Walter, die mit ihren Eltern und ihrer Schwester das Gasthaus Kreuz in der Bleichstraße bewirtschaftete. Von ihr wurden bereits im ersten Teil dieses Beitrags im „Gernsbacher Boten“ 1/2020 einige Erinnerungen aufgeführt.
Zweisprachig Bekanntmachungen
Die Franzosen beschlagnahmten für ihre Soldaten und Verwaltung mehrere Gebäude. Der General wohnte in der Villa Felix Hoesch. Vom 1. August 1945 residierte dort General Bouquae. Die Gendamerie Française war im „Wilden Mann“ in der Bleichstraße. „Der Platzkommandant bezog das Kornhaus als Kommandantur. Im Alten Rathaus lagen französische Mannschaften, das Bankhaus beim Scheuerner Übergang war für zwölf französische Stabhelferinnen beschlagnahmt. Ebenso wurden das obere Forstamtsgebäude … und das gegenüberliegende Amtsgerichts- und Notariatsgebäude für die französischen Besatzungstruppen beschlagnahmt“, berichtet ein Chronist später in der Tageszeitung.
Unter Androhung von Militärtribunal und Todesstrafe wurden Ausgehverbote verhängt, und jede Reise musste genehmigt werden. Die ersten Bekanntmachungen der französischen Besatzung betrafen nicht nur Beschlagnahmungen von Fahrrädern, Radiogeräten und anderen Gegenständen, sondern betrafen auch die Ausgabe von Lebensmittelmarken und das Anstehen vor den Geschäften, bis hin zum Benutzen des Freibads. Ende April wurde per Rundschreiben an alle Bürgermeister und Verwaltungen die Anordnung erteilt, eine Liste von allen Mitarbeitern der Verwaltungen sowie allen Beamten bis hin zu Revierförstern zu erstellen. Dabei mussten nicht nur die persönlichen Daten erfasst werden, sondern auch die Mitgliedschaft in der NSDAP, die Dauer
und der Rang in der Partei.
Einsetzen der kommissarischen Bürgermeister
Claus Hoesch
Gleich nach dem Einmarsch der Franzosen in Gernsbach wurde der bisherige Ratsschreiber Karl Bibbes zum kommissarischen Bürgermeister bestimmt, als Stellvertreter wurde Dr. Klaus Hoesch ernannt. Dies wurde bereits am 13. April 1945 vom französischen Kommandanten vollzogen. Als Stadtrat wurde Karl (Charly) Kappler aus Scheuern bestimmt. Dem Rücktrittsersuchen von Karl Bippes im August 1945 aus gesundheitlichen Gründen folgte Rudolf Schira, der am 13. August 1945 in das Amt des kommissarischen Bürgermeister berufen wurde.
Die französische Besatzung wollte in den verantwortungsvolle Positionen keinesfalls Vertreter der NSDAP. Daher hatten sie Rudolf Schira ausgesucht, da er nicht nur gute französische Sprachkenntnisse hatte, sondern vor 1933 der Sozialdemokratischen Partei angehört hatte und von den Nazis verfolgt worden war. „Als politisch Unbelasteten und in den letzten 12 Jahren schwerstens Verfolgter“ hatte der 41-Jährige ehemaliger Bauingenieur der Firma Laule die Voraussetzungen, die damals an eine Verwaltungsspitze gestellt waren.
Zu seinen Aufgaben gehörte die Schäden an Mensch und Gebäuden festzustellen, sowie die Anordnungen der französischen Besatzung an die Bevölkerung weiterzugeben. So musste er eine Aufstellung machen, wieviel Menschen zu Schaden gekommen sind: „insgesamt sind 13 Personen durch Kriegsereignisse in Gernsbach ums Leben gekommen“, hält er am 18. September 1945 fest. Doch der Druck der Besatzungskräfte auf die Verwaltung verstärkte sich, die Requisitionen nahmen immer mehr zu. Letztlich legte Rudolf Schira sein Amt nieder. Die Franzosen entschieden sich danach für August Müller, der das Amt des Bürgermeisters am 7. Januar 1946 antrat. Auch er war zuvor weder politisch aktiv, noch hatte er der NSDAP angehört.
Wohnungsnot und Zukunftsangst
Nach Kriegsende beherrschte Hunger und Wohnungsnot den Alltag der Menschen. Vertriebene aus den Ostgebieten wurden den Gemeinden zugewiesen und suchten ein neues Zuhause. In der Bevölkerung gab es viel Hilfsbereitschaft, man rückte zusammen, stellte Wohnraum zur Verfügung, aber es gab auch Unverständnis gegenüber den Flüchtlingen. Nicht immer verliefen die Einquartierungen reibungslos. Die einheimische Bevölkerung war selbst in Bedrängnis. Dazu kam die Trauer um verlorene oder vermisste Angehörige, die die Menschen bewegte.
„Die Verpflegung während des Krieges war mäßig, ging aber immer noch im Vergleich zu dem, was uns von 1945 bis 1948 in der französischen Zone erwartete“, erinnert sich die Gernsbacher Zeitzeugin Brigitte Rein im Rückblick auf die Nachkriegszeit.
Doch im April herrschte erstmal Ungewissheit, wie es weitergehen würde. Der Eintrag im Tagebuch von Frida Bohnert vom 14. April 1945 drückt die Angst vor der Zukunft ganz klar aus: „Heute Lebensmittelausgabe mit Marken… Aber was steht uns noch bevor?“
Rudolf Schira
Das war selbst Ende 1945 noch nicht sicher. In den Wünschen des Bürgermeisters Rudolf Schira an die Bevölkerung zum Jahreswechsel 1945 wird aber auch die Hoffnung auf eine sichere Zukunft deutlich: „Schicksalshaft ist, was draußen geschieht. Hoffnungsvoll und zuversichtlich erwarten wir trotz allem das kommende Jahr und wünschen uns gegenseitig Erfolg im tätigen Leben und eine glücklichere Zukunft.“
Spannende Einblicke in die Unterwelt der Altstadt gibt es im Gleisle-Areal in der Hauptstraße 6. Deutlich sichtbar sind für den Passanten die Reste von mehreren Kellern. Da sind gewölbte Keller zu entdecken, einige sind aus Sandstein gemauert, andere aus Ziegelsteinen.
In guter Erinnerung ist den Gernsbachern noch die Metzgerei Gleisle, die einst auf diesem Gelände stand. Bis zum Abriss des Hauses im Jahr 1993 beheimatete das mehrstöckige Gebäude, das direkt an die Stadtmauer grenzte, eine Metzgerei. Zwei in Stein gehauene Schweinsköpfe gaben schon von der Straßenseite her einen Hinweis auf das hier beheimatete Gewerbe. Bereits der Vater von Karl Gleisle, Joseph Gleisle, betrieb hier 1889 eine Metzgerei. Zu dem dreistöckigen Wohnhaus gehörte auch eine Wurstküche, weist das Gebäudeversicherungsbuch im Stadtarchiv Gernsbach nach. Der Zustand des Hauses wird als „ziemlich gut“ beschrieben.
Geht man der Historie dieses Anwesens nach, so findet man im Stadtarchiv weitere interessante Hinweise. Auch 1876 gab es in dem stattlichen Haus eine Metzgerei. 1876 hatte der Gaggenauer Metzger Ferdinand Melcher das Gebäude „bestehend aus der Metzig zu ebener Erd samt Viehstall, Futtergang und Heustall“ erworben.
Die Hauptstraße 6 beherbergte lange Jahre die Metzgerei Gleisle.
Im Jahr 1869 ist die genaue Lage des Gebäudes dokumentiert: „in der Unterstadt … neben dem städtischen Wachthaus und Straße, vorn die Hauptstraße und hinten Mühlgraben“. Auch 1859 findet man in der Lagebeschreibung des Hauses den Hinweis auf das Torwächterhaus: „… neben dem städt. Wachthaus an der Allmendstraße“. Damit ist nicht nur nachgewiesen, dass das Haus direkt an die Stadtmauer gebaut war, vielmehr ist auch die direkte Nachbarschaft zu dem nicht mehr existierenden Torwächterhaus bestätigt.
Die wechselvollen Jahre um die Revolution von 1848 brachten auch für das Haus Veränderungen. In den Jahren muss der Wechsel zu einer Metzgerei stattgefunden haben, davor ist in den Grundbüchern von einer Schmiede die Rede. 1847 wird dokumentiert, dass der Schmiedemeister Friedrich Hasenpflug das Wohnhaus samt „Schmiedewerkstätte zu ebener Erde nebst der danebenliegenden Kohlenkammer“ verkauft. Bis in das Jahr 1782 finden sich im Stadtarchiv Nachweise auf eine Schmiedewerkstätte auf dem Areal. 1790 wird detailliert die Lage des Anwesens beschrieben: das Gebäude befindet sich direkt am unteren Tor, für die Stadthistoriker ein wertvoller Hinweis darauf, dass damals das Stadttor noch bestand.
Sicher ist, dass das Haus im Jahr 1715 gebaut wurde. Sicherlich gab es zuvor schon an dieser Stelle eine Bebauung, wahrscheinlich wurden die Vorgängerbauten während des Pfälzischen Erbfolgekriegs Ende des 17. Jahrhunderts zerstört, als die Verwüstungen durch französische Truppen in ganz Baden auch Gernsbach nicht verschonten .
So manches rund um dieses Gebäude liegt im Dunkel der Geschichte. Lassen sich die Spuren von schwarzem Ruß in den jetzt offengelegten Kellern auf die einstige Schmiede zurückführen, die es auf dem Areal vor über 200 Jahren gab? Oder sind sie Hinweise auf die ehemaligen Stadtbrände?
Für die Beantwortung dieser Fragen geben archäologischen Untersuchungen aus dem Jahr 2017 wertvolle Auskünfte. Diese Prüfung gehört zu den Voraussetzungen für eine neue Bebauung in dem sensiblen Altstadtbereich. Sie wurden von der Firma Kohler & Tomo Archäologie, die sich auf archäologische Dienstleistungen spezialisiert hat, durchgeführt und waren von dem Eigentümer des Grundstücks, der Emely GmbH, Lahr, beauftragt worden. Diese Baufirma hat beantragt, auf dem Gleisle-Areal ein Mehrfamilienhaus mit Tiefgarage zu erstellen.
Noch sind die alten Kacheln der einstigen Metzgerei zu erkennen.
Bei den Untersuchungen kamen nicht nur die alten Fußbodenfließen der Metzgerei Gleisle zum Vorschein, sondern auch das Labyrinth der vielfältigen Keller. Wie die Grabungsfirma weiter feststellte, sind auf dem Areal bauliche Überreste aus dem Mittelalter wie der Neuzeit zu finden. Die Ergebnisse stellten klar, dass die Keller sogar im 16. Jahrhundert oder in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden sein dürften. Außerdem konnten noch ältere Fundstücke sichergestellt werden, die bis ins ausgehende 15. Jahrhundert zurückweisen. Spannend lesen sich die Ergebnisse der Archäologen: Bei einem der Keller handelt es sich um den Eiskeller der ehemaligen Metzgerei, erbaut etwa 1912. Außerdem kam auch ein massiver mittelalterlicher Bau zu Tage. Er schloss sich östlich des Gewölbekellers an (Richtung Murg) und nahm den Bereich zwischen der süd- und nordöstlichen Stadtmauer ein. Nachgewiesen wurden seine bis 1,40 Meter mächtigen Mauern. Von der Westseite gab es eine circa 2,50 Meter breite Durchfahrt aus Sandstein. Im Innenraum konnte im Fußboden eine über 1,50 Meter dicke Brandschuttschicht aus stark durchgeglühten Dachziegeln und Lehmgefache dokumentiert werden.
Das Gleisle-Areal liegt direkt an der Stadtmauer. Foto aus dem Jahr 2005.
Die bisherigen Funde würden das Genehmigungsverfahren für den beantragten Neubau nicht gefährden, so das erste Urteil der Archäologen. Wie auch Martin Strotz, der Gebietsreferent für Archäologische Denkmalpflege im Landesamt für Denkmalpflege (Dienstsitz Karlsruhe) bestätigte, sei der wertvollste Teil des Gleisle-Areals die Stadtmauer. Weitere Ergebnisse der als „spannend“ bezeichneten Untersuchungen müsse man abwarten. Denn diese geben nicht nur Hinweise auf die frühere Nutzung des Gebäudes, sondern auch auf die facettenreiche Geschichte der Altstadt von Gernsbach.
Im Mai dieses Jahres jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Grund für eine Rückschau auf diese Zeit. Im Mittelpunkt dieses Rückblicks stehen nicht in erster Linie die politischen Ereignisse, sondern die Schilderung der Menschen, die damals diese Zeit in Gernsbach erlebt haben.
1995 veröffentlichte der “Gernsbacher Bote” eine umfangreiche Darstellung der letzten Kriegsmonate. Diese fußten nicht nur auf Recherchen im Stadtarchiv, sondern auch auf mehreren Aussagen von Zeitzeugen, die damals noch lebten und ihre Erinnerungen persönlich weitergaben. Sie gaben ein nahegehendes Zeugnis von den Ereignissen ab. Zwischenzeitlich sind weitere Quellen hinzugekommen, die einen weiteren Zugang zur Aufarbeitung der Zeit erlauben.
Die Menschen 1944 lebten bereits seit fünf Jahren mit dem Krieg. Wohl gab es bis dahin in Gernsbach keine direkten Kriegshandlungen, doch die Berichte der Soldaten, die zu Heimaturlaub nach Hause kamen, waren erschreckend. Die Meldungen über Gefallenen- und Vermissten nahm zu. Einschränkungen in der allgemeinen Versorgung waren zu spüren, aber noch nicht dramatisch.
Das Alte Gefängnis in der Hepplerstraße beherbergte auch Soldaten, Aufnahme um 1943. Foto: privat
Ein Ende des Krieges war nicht zu erwarten. Die Informationen, die man über den verbotenerweise abgehörten BBC-Sender erfuhr, widersprachen den Parolen, die aus der Zeitung und den Parteiorganen zu entnahmen waren. Auch die steigende Zahl von Menschen, die als Fliegergeschädigte in Gernsbach Unterschlupf suchten, war alarmierend und verängstigte die Gernsbacher Bevölkerung. Im September 1943 zählte die Stadt über 760 Personen, die als Fliegergeschädigte untergebracht waren. Fast ein Drittel davon kam aus dem Ruhrgebiet, wo es besonders starke Vernichtungen durch Bombenangriffe gegeben hatte. „Die Stadt war überfüllt“, teilte Ernst Bernauer, Pfarrer der katholischen Gemeinde in Gernsbach, in seinem „Kriegsbericht“ an die Erzdiözese in Freiburg mit. Es gäbe keine freien Wohnunterkünfte mehr.
Pfarrer Ernst Bernauer hielt die Ereignisse in den letzten Kriegstagen schriftlich fest. Foto: Privat
Während des Krieges waren in Gernsbach über 500 Ausländer untergebracht, darunter niederländische und elsässische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene aus Frankreich, Polen und Russland. „Im Gernsbacher Werk arbeiteten jetzt als Kriegsgefangene in Afrika gefangengenommene Inder“, hielt Dr. Casimir Katz in seinen Erinnerungen „Wahrheit und Dichtung“ über seine Zeit bei Katz & Klumpp fest.
Bei den Indern handelte es sich meist um Pakistani, die moslemischen Glaubens waren und an der Murg ihre gegen Mekka gerichteten Gebete verrichteten. „Sie hatten Turbane auf und tadellose Uniformen. Sie wurden auch ihrer Religion entsprechend verpflegt, die Untertanen der britischen Majestät wurden recht gut mit Fleisch versorgt, während Polen und Russen ausgesprochen schlecht behandelt wurden“, schreibt er weiter. „In der Hierarchie der Kriegsgefangenen standen die Franzosen oben, sie waren meist auf den Bauernhöfen untergebracht“, ergänzt er.
Die jungen Frauen wurden noch im Frühjahr 1945 zum Reichsarbeitsdienst einberufen. Foto: Privat
Die tägliche Angst stieg, und bald gehörte auch die Sirene, die vor den Jagdbombern warnten, zu den Erfahrungen der Murgtalbewohner. Sobald die Sirenen in Gernsbach losgingen, suchten die Bewohner schnellstens die Keller und Luftschutzkeller auf. Für Ortrud und Hildegard Walter, deren Eltern damals das Hotel „Zum goldenen Kreuz“ in der Bleichstraße bewirtschafteten, brachte ein solcher Alarm besondere Belastungen: „Wir hatten zu Kriegsende die Bewohner des Altenheimes Rastatt in unserem damaligen Hotel untergebracht, die jüngste Bewohnerin war 70 Jahre. Bei Fliegerangriffen mussten wir Mädels immer mit anpacken, die alten Leute in den Keller zu bringen. Das war eine anstrengende Arbeit, zum Schluss haben wir die Matratzen in die Keller geschafft, und die alten Leute sind gleich unten geblieben“, erzählte Ortrud Walter vor 25 Jahren im persönlichen Gespräch.
Alfons Klostermeier erinnert sich, wie er als Mitglied des Jungvolkes, der Jugendorganisation der Hitlerjugend, am Kriegerdenkmal Wache schieben musste. Gerade mal zehn alt, wurde er vorwiegend sonntags, wenn er eigentlich als Messdiener im Sonntagsgottesdienst sein sollte, zu diesem Dienst abkommandiert.
Der Schrecken durch den Bombenangriff auf die Schwarzenbachtalsperre am 19. Juli 1944 fuhr den Menschen tief in die Glieder, zwei Menschen kamen dabei ums Leben. Die dortigen Flak-Stellungen als Sicherheitsmaßnahme der Talsperre waren keine Versicherung gegen eine Katastrophe, und dazu wäre es sicherlich gekommen, wenn die Staumauer nicht gehalten hätte.
Die eingesetzten Männer der Flak-Stellung waren zum Teil Soldaten, der überwiegende Teil allerdings waren Luftwaffenhelfer, die u.a. aus dem Gymnasium Gernsbach rekrutiert wurden. Eine Ortsrufanlage verband die Schwarzenbachtalsperre mit sämtlichen Bürgermeisterämtern murgabwärts bis Gernsbach.
Am 9. August 1944 fand ein Großeinsatz der amerikanischen Luftwaffe über Süddeutschland statt. Die amerikanischen Bomber, die auf einem Flughafen von England aus gestartet waren, hatten den Befehl, mehrere Ziele in Süddeutschland anzugreifen. Doch die Aktion musste abgebrochen werden. Dabei wurden mehrere Flugzeuge abgeschossen, ein schwer beschädigter Bomber flog über das Murgtal hinweg und zerschellte bei Enzklösterle-Gompelscheuer. Einzelne Besatzungsmitglieder konnten sich retten, drei landeten mit ihren Fallschirmen zwischen Weisenbach und Hilpertsau. Doch alle drei wurden von der aufgebrachten Menge oder von fanatischen NSDAP-Gefolgsleuten ermordet und bescherten dunkle Stunden für das mittlere Murgtal, insbesondere für Gernsbach.
Hintergrund für diese Lynchjustiz war ein Rundschreiben von Martin Bormann vom Mai 1944, letztlich hatte die NS-Regierung Lynchjustiz offiziell als legitim erklärt. Steffen Killinger, Historiker, der sich seit etwa 20 Jahren mit den Fliegermorden im Murgtal beschäftigt, konnte zahlreiche Details zu den Fliegermorden in amerikanischen Dokumenten sowie in deutschen Archiven recherchieren. Er konnte sie mit persönlichen Gesprächen mit überlebenden Besatzungsmitgliedern ergänzen und ein umfassendes Bild der furchtbaren Geschehnisse nachzeichnen und in den Lokalzeitungen veröffentlichen. Wie konnte es soweit kommen, dass solche Ausschreitungen stattfanden, dass niemand diesen Gewalttaten Einhalt gebot?
Bedrohung durch Fliegerangriffe
Die Bedrohung durch Tieffliegerangriffe für das restliche Murgtal wuchs. Am 10. September 1944 war Gaggenau das Angriffsziel von Bombern. Immerhin war dort mit dem Daimler-Benz-Werk ein „kriegswichtiger“ Betrieb angesiedelt. Ein Tagesgroßangriff mit Spreng- und Brandbomben zerstörte weite Teile der Stadt und des Industriebetriebes. Am 3. Oktober folgte ein zweiter und noch schrecklicherer Angriff, der besonders im Werk und dem Stadtteil Ottenau galt. „Insgesamt fanden 205 Bewohner den Tod, 111 wurden verletzt, 4.500 Menschen wurden obdachlos“, fasst eine Zusammenstellung über die Kriegsjahre im Heimatbuch des Landkreises Rastatt 1970 zusammen.
Der Angriff vom 10. September 1944 hatte auch in Gernsbach verheerende Folgen. Insgesamt zehn Todesopfer wurden beklagt. In Gernsbach wurden bei 24 Gebäude Schäden festgestellt, sechs Wohngebäude waren komplett zerstört. 65 Personen wurden obdachlos.
Das Anwesen der Familie Bastian in der Hoeschstraße 20 und die Hoeschstraße 18 wurden dabei völlig zerstört, die Häuser wurden von einer Brandbombe getroffen. Besonders schlimm traf dieser Angriff die Familie Budell in der Austraße 3. Die beiden Söhne Dietmar und Rainer und ihre Großmutter starben durch den Bombenabwurf. Ihre Mutter Fanny Budell wurde in den Trümmern verschüttet aufgefunden und hat sich von ihren schweren Verletzungen nie wieder richtig erholt. Ebenso wurde das Haus in der Austraße 25 durch diesen Angriff zerstört.
Die Werksanlagen von Schoeller & Hoesch wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Allein auf dieses Gelände fielen 25 Sprengbomben, zwei Betriebsangehörige wurden verwundet. Über Friedrich Rothfuß, einer der Verwundeten, ist folgendes überliefert: „Rothfuß war im Betrieb als Schlosser beschäftigt und konnte sich bei dem Angriff nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen und legte sich unter einen Baum, woselbst er Steinprellungen erlitt.“ Der Gebäudeschaden wurde von der Firma angegeben: „5 total zerstöre Gebäude, 4 schwer und 3 leicht zerstört.“
Am 12. September 1944 folgte ein weiterer Fliegerangriff, der das Haus der Familie Klumpp in der Austraße 34 stark zerstörte und ein Todesopfer forderte. Die Fliegerangriffe erfolgten in immer dichteren Abständen. Dabei wurden jeweils Verletzte beklagt.
An den Endsieg glaubten nur noch wenige. Allerdings waren vom Bürgermeister Gernsbachs, Friedrich Bender, der 1938 aus Wertheim nach Gernsbach gekommen war, ganz andere Töne zu hören. Bender, der von Mai 1942 nicht mehr vor Ort war, sondern zur Wehrmacht abkommandiert war, vertrat mit großer Überzeugung nationalsozialistische Ideen. Ende November 1944 schrieb er an den NSDAP-Ortgruppenleiter Stichling nach Gernsbach: „Wenn wir nie den Glauben an den Führer verlieren und immer seinem Beispiel folgen, dann wird trotz allem am Ende dieses Ringens der Sieg unser sein.“
Auch die Feldpostbriefe sind ganz im Ton der nationalsozialistischen Propaganda verfasst. So schrieb Daniel Fortenbacher 1940 von der Westfront an seinen ehemaligen Arbeitgeber Kurt Overlack von der Firma Casimir Kast: „Wir Soldaten an der Westfront wollen immer treue Wache halten, solange es unser Führer für richtig hält, damit der Franzmann unsere Heimat nicht verwüsten kann.“ Doch mehr und mehr machte sich Skepsis unter den Soldaten wie der Bevölkerung breit. Trotz Zensur begannen Soldaten wie Briefpartner/innen ihre Meinungen und Erlebnisse offen zu schildern. Von Pius Kleehammer, Gausbach, der Soldat an der Ostfront war und wahrscheinlich dort gefallen ist, ist ein Brief vom November 1944 überliefert: „Ich kann euch nicht sagen, wie mir alles verleidet ist. Kein Ausweg zu einem Ende des Elends….Ich kann bestimmt vieles ertragen, aber das ist einmal zu viel. Da hat man gar keine Lust mehr zu leben. Und man muss weitermachen…“
Am 27. Februar 1945 war Gernsbach wieder Ziel von „Bordwaffenbeschuss feindlicher Tiefflieger“, wie in den damals offiziellen Verlautbarungen zu lesen war. Die Bomben fielen auf das Haus von Richard Weber in der Scheffelstraße. Auch am 9. März ist ein Fliegerangriff verzeichnet. Am 24. März 1945 wurde von einem Tiefflieger ein Gernsbacher getötet. Im März 1945 wurde die Bildhauerwerkstätte von Adolf Schnelle in der Scheffelstraße durch „unmittelbar in der Nähe abgeworfene Bomben“ zerstört. Außerdem wurden die Gebäude Emil und Karl Kübler sowie der „Löwen“ und das Haus Nachmann-Walter im Bereich der Igelbach-/Bleichstraße/Salmengasse beschädigt.
Für die Frauen und Mädchen aus dem gesamten Murgtal war damals Schippen angeordnet. Mit einem „Schipperzug“, wie der Zug, der die Menschen zum Gräben-Ausheben damals genannt wurde, wurden die Frauen unter Aufsicht von Parteimitgliedern (meist ältere Beamte) Richtung Rheintal gefahren. In und um die grenznahen Gemeinden sollten Feldbefestigungen und Schützengräben angelegt werden.
Immer mehr Menschen aus den Gemeinden an der Grenze suchten im mittleren und hinteren Murgtal Unterschlupf, aus Furcht vor der näher rückenden Front. Gegen Ende des Krieges nahmen die Großangriffe auf die Städte zu. Und dann kam die Nachricht von der Zerstörung Pforzheims am 23. Februar 1945. Die Meldung von der totalen Zerstörung Bruchsals am 1. März 1945 ließ die Angst vor Angriffen weiter wachsen.
„Wir werden uns immer daran erinnern, wie in den letzten Kriegstagen Leute aus Pforzheim zu uns kamen“, erzählten Hildegard und Ortrud Walter über ihre Erlebnisse in ihrem Hotel „Zum goldenen Kreuz“. „Sie flüchteten bei Fliegeralarm ebenfalls mit uns in unsere Keller und saßen am ganzen Leib zitternd da. Die Schilderung dieser Pforzheimer über ihre Erlebnisse beim Angriff auf Pforzheim war ein einziges Grauen“, erinnern sich die Gernsbacherinnen noch 50 Jahre nach den Ereignissen sehr lebendig.
Die deutsche Bürokratie war noch immer intakt: Ende Februar 1945 erhielten Gernsbacher Jugendliche eine Einberufung zum Reichsarbeitsdienst nach Rastatt. Brigitte Rein erinnerte sich, dass sie nach Rastatt den Zug nutzen konnten, doch zurück mussten sie zu Fuß gehen. „Wir warfen uns in Kuppenheim fortlaufend in den Landgraben, hörten auch die Bordwaffen knattern. Letztlich kamen wir verängstigt, aber wohlbehalten in Gernsbach an“, veröffentlichte sie in einem Rückblick.
Das schönste Frühjahrswetter entlockte der Natur das erste Grün, doch in den Köpfen der Menschen war für dieses Naturschauspiel in jenen Tagen kein Platz. Die Versorgungslage verschlechterte sich und führte zu immer schärferen Rationierungen. Schon im Januar 1945 war ein „Volksopfer“ zur Sammlungen von Sachspenden angeordnet worden. Danach sollten Kleidung und Ausrüstungsgegenstände für Volkssturm und Wehrmacht gespendet werden, diese Anordnung wurde sogar noch verschärft und verhieß die Todesstrafe demjenigen, der Sammlungsstücke unterschlagen würde.
Die wenigen verbliebenen jungen Männer in Gernsbach hatten Angst, doch noch eingezogen zu werden. Im Frühjahr 1944 musste der Jahrgang 1926 an die Front, das heißt, die gerade mal 17-Jährigen wurden eingezogen, im Herbst 1944 war der Jahrgang 1927 dran. Noch im März 1945 wurde ein letztes Aufgebot von älteren Männern und Jugendlichen zusammengestellt, das als Volkssturmeinheiten den Widerstand gegen die Front stärken sollte. Jedem war die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme klar. Jeder sehnte sich ein Ende des Krieges herbei.
„Panischer Schrecken verbreitete das Gerücht, Gernsbach sollte verteidigt werden. Daß die führenden Parteileute tatsächlich daran gedacht hatten, Gernsbach nicht kampflos zu übergeben, beweist ein großes Plakat, das nachträglich im Rathaus fand. Es kündigt den bevorstehenden und geplanten Kampf an und ordnet die Räumung des Städtchens an“, hielt Pfarrer Ernst Bernauer in seinem „Kriegsbericht“ für das Erzbistum Freiburg fest.
April 1945 in Gernsbach
Der 1. April 1945 war der Ostersonntag. Die Hoffnung der Menschen galt damals dem baldigen Ende des Krieges. Noch in der Osterwoche, am 5. April wurden die Inder, die in Gernsbach zum Arbeitsdienst in den Industriebetrieben eingesetzt waren, abgezogen. „Das gesamte Kommando auf höheren Befehl nach dem Lager Malschbach abkommandiert“, wurde festgehalten.
Die Alliierten rückten immer näher. Am 31. März 1945 hatte die 1. Französische Armee unter Befehl von General Jean de Lattre de Tassigny nördlich von Karlsruhe den Rhein überquert. Am 4. April wurde Karlsruhe besetzt. In der Nacht vom 9. auf 10. April marschierten die französischen Soldaten, meist Marokkaner, in Freiolsheim-Moosbronn ein. Weithin sichtbar loderten die Flammen der angezündeten Gebäude.
Kaum noch jemand ging im Murgtal an seinen Arbeitsplatz, es hieß abwarten.
Eleonore Mayer-Katz hielt sich in den letzten Kriegstagen bei ihrer Großmutter in der Bleichstraße auf. Foto: Werner Meier
Am Dienstag, 10. April, zogen die in Gernsbach liegenden Einheiten der Wehrmacht ab. Leonore Mayer-Katz, die sich bei ihrer Großmutter in Gernsbach in der Bleichstraße aufhielt, schrieb in ihren Memoiren: „Noch sehe ich vor mir, wie in jenen Tagen die völlig erschöpften deutschen Soldaten durch Gernsbach zogen. Ihre Mienen waren gekennzeichnet von den Kämpfen der letzten Tage, die Uniformen waren abgewetzt, das Schuhwerk schlecht, sie waren unzureichend bewaffnet. Hinten in der Hebelstraße kochte man für sie Kartoffelsuppe. Sie waren dankbar dafür, aber sie wirkten hoffnungslos.“
Am 10. April wurde das Murgtal vom deutschen Oberkommando aufgegeben. Hohe und niedrige Parteiführer begannen, sich aus Angst vor den sich überstürzenden Ereignisse abzusetzen.
Das leere Lebensmittellager wurde von in den letzten Kriegstagen angezündet. Foto: Stadtarchiv Gernsbach
In der Nacht wurden die Lebensmittelvorräte aus dem Militärlager an der Badener Straße, beim jetzigen Hockeyplatz, mit Fuhrwerken nach Forbach in die Lazarette gebracht, danach waren die drei großen Baracken mit den restlichen Lebensmittel für die Bevölkerung geöffnet. Die Gernsbacher konnten dadurch ihre mageren Vorräte aufstocken, vor allem waren die Menschen für das Mehl und den Käse dankbar.
In der Nacht vom 10. auf den 11. April fuhr ein Munitionswagen bei der katholischen Liebfrauenkirche vor, und die Soldaten begannen, Kisten abzuladen. Pfarrer Ernst Bernauer protestierte dagegen, bekam allerdings zur Antwort: „Sie werden ihre Freude haben, es kommen noch vier Wagen voll. Wir haben Befehl, hier abzuladen.“ Sein Hinweis an die Ortskommandantur am nächsten Tag, dass diese Munition doch eine große Gefahr für die Kirche sei, wurde lapidar telefonisch beantwortet: „Es sind schon viele Kirchen zerstört worden, auf diese eine kommt es jetzt auch nicht mehr an.“ Und doch, noch am 11. April wurde die Munition wieder abgeholt.
Der Tagesbefehl des Gauleiters vom 27. März 1945 mit dem Aufruf zur Werwolfaktion hätte für Gernsbach verheerende Folgen gehabt. Es hieß da: „Der Feind steht an den Grenzen unseres Gaues…. Jeder Mann, jede Frau, jeder Junge und jedes Mädel hat die heilige Pflicht. …. dem Feind Schaden zuzufügen.“ Mit diesem Aufruf zu einer Partisanentätigkeit war gleichzeitig die Drohung verbunden, dass all diejenigen, die sich ergeben oder eine weiße Fahne zeigen, durch ein Standgericht erschossen würden.
Setzte sich dafür ein, dass die Stadtbrücke nicht gesprengt wird: Felix Hoesch, Foto: Stadtarchiv Gernsbabach
Umso mehr muss das mutige Engagement von Felix Hoesch eingeschätzt werden. Er versuchte, den Befehl zur Sprengung der Stadtbrücke, um den französischen Vormarsch aufzuhalten, rückgängig zu machen. Letztlich konnte er im Ringen mit dem beauftragten deutschen Offizier um den Erhalt dieser Brücke einen Teilerfolg verbuchen. Die Brücke wurde am 11. April 1945 vor Einbruch der Dunkelheit gesprengt. Sie wurde allerdings nur soweit beschädigt, dass sie nicht mehr passierbar war, aber die Wasserleitung, die unter der Brücke verlief, wurde verschont. Durch die Detonation gingen Fensterscheiben und Schaufenster der örtlichen Geschäfte zu Bruch. Die Sprengung verursachte auch zum Teil Verwüstungen in den Häusern, Möbel und Hausgeräte wurden demoliert. Dies geht aus den Schadenslisten hervor, die detailliert nach Ende des Krieges an die Stadtverwaltung gemeldet wurden. Die Druckwelle war so stark, dass sogar Menschen umgeworfen wurden, bestätigten Zeitzeugen. Auch die Hoesch-Brücke wurde zerstört, konnte jedoch zu Fuß noch überquert werden.
Das Lebensmittellager am 11. April 1945 wurde ein Raub der Flammen. Foto: Stadtarchiv Gernsbach
Das leere Lebensmittellager wurde von den verbliebenen deutschen Soldaten angezündet. „Als Folge hiervon begann um etwa 19 Uhr der Angriff auf Gernsbach“, hielt Leonore Mayer-Katz schriftlich fest. „Brandgranaten und glühende Kugeln fetzten durch die Luft.“
Pfarrer Ernst Bernauer beschreibt ebenfalls die dramatischen Stunden in der Nacht: „Etwas nach 10 Uhr schossen die Deutsche etwa drei Brandgranaten in das Städtchen, in den Teil rechts der Murg. Es entstand ein Brand, dem 12 Häuser zum Opfer fielen und restlos abbrannten. Es konnte nichts gerettet werden, weil die Bewohner in den Bunkern sich befanden und sie nicht verlassen durften.“
Den ganzen Tag hatte man schon die Geschützfeuer der Franzosen gehört. Bereits am Vormittag waren die Franzosen über das Käppele in Loffenau einmarschiert. Am Nachmittag sah man, dass in Loffenau einige Häuser brannten. Auch aus Michelbach wurde der Anmarsch der Franzosen gemeldet. Die Gernsbacher richteten sich in ihren Kellern ein, man rechnete bis zum Einbruch der Dunkelheit mit dem Einmarsch der Franzosen.
Dieser Beitrag wäre ohne die persönlichen Erzählungen von Zeitzeugen nicht möglich gewesen. Ein herzliches Dankeschön dafür an die Beteiligten, das Aufleben dieser Erinnerungen war emotional oftmals bewegend. Wichtige Hinweise gaben die Publikationen von Martin Walter: Prägende Jahre zwischen den Kriegen: 1914–1945, in „800 Jahre Gernsbach“, 2019, sowie Casimir Katz: Wahrheit und Dichtung – Geschichte und Erinnerungen an eine bewegte Zeit, 1995, und Leonore Mayer-Katz: Sie haben zwei Minuten Zeit. Nachkriegsimpulse aus Baden, 1986, und das Stadtarchiv Gernsbach.
Von Gernsbachern für Gernsbacher: die Denkmalnacht
am 14. September 2019
Die Gernsbacher Denkmalnacht war ein Höhepunkt in den Feierlichkeiten zum 800-Jahr-Jubiläum der Stadt. Wichtige Gebäude der Altstadt wurden illuminiert und zeigten sich wortwörtlich in neuem Licht. Bei lauen herbstlichen Temperaturen im Schein des Vollmondes zogen zahlreiche Besucher vom Katzschen Garten bis hoch zum Storchenturm und folgten einer Kette von bunten Kerzen.
Bürgermeister Julian Christ eröffnete die Denkmalnacht, gemeinsam mit der Biedermeiergruppe, den Hördener Herolde und dem Arbeitskreis Stadtgeschichte.
Bürgermeister Julian Christ eröffnete gemeinsam mit Dr. Irene Schneid Horn und Regina Meier vom Arbeitskreis Stadtgeschichte die Veranstaltung „Schau mal, hör mal, denk mal“. Flankiert von der Biedermeier-Gruppe und angezogen von den Fanfarenklängen der Hördener Herolde hatten sich bereits zum Auftakt des Abends zahlreiche Besucher vor dem Kornhaus versammelt.
Das Konzept des Veranstalters, der Stadt Gernsbach, das unter Mitarbeit des Arbeitskreises Stadtgeschichte entstand, wurde überwältigend angenommen. Über ein Jahr dauerten die Vorbereitungen für dieses Event, in der sich die Aktiven in mehreren Sitzungen über Gestaltung und Ablauf einbrachten. Etwa 40 Gruppen waren an der Durchführung beteiligt. Für alle überraschend waren der rege Zuspruch der Besucher und die Lichtpracht, in der die Denkmäler erstrahlten.
Vor jedem der zwölf Stationen war ein Licht-Punkt installiert und informierte über das Programm des jeweiligen Ortes. Viele Besucher waren allerdings schon mit einem festen Plan gekommen, den sie sich dank des frühzeitig erschienenen Flyers zusammengestellt hatten. Die Begeisterung der Besucher, durch die Gassen der Altstadt zu schlendern und die kulturellen Beiträge zu genießen, war überall zu vernehmen. An allen Ecken trafen sich die Menschen, tauschten sich über den nächsten Programmpunkt aus. Es gab auch jene, die zielstrebig durch die Gassen stürmten, da sie die nächste Aufführung nicht verpassen wollten. Doch Eile war nicht angebracht, denn spätestens hinter der nächsten Kurve traf man Bekannte und verweilte im Gespräch.
Denkmäler sind nicht nur ein Ausdruck von Geschichte, vielmehr entfalten sie ihre ganze Bedeutung, wenn sie mit Leben gefüllt werden. Und dazu gabs bei der Gernsbacher Denkmalnacht genügend vorzeigbare Beispiele: Szenenspiele, Chorgesang, Vorlese- und Mitmach-Aktionen wurden den Besuchern geboten.
Alleine die Musikrichtungen, die an diesem Abend in Gernsbach präsentiert wurden, werden sich in der Dichte nicht so schnell wiederholen:
Vor dem Kornhaus war der Chor Salt o vocale zu hören.
Der Chor Salt o vocale unter Leitung von Achim Rheinschmidt war vor dem Kornhaus zu hören. Im Katzschen Garten bot der Chor Ucelli Canori, geführt von Irmgard Löb-Spöhr, Lieder aus Pop, Rock, Gospel und Musicals. Das Trio CAN – Claudia und Anne Dresel und Nela Samuelis – hatte ein ganz besonderes Repertoire an schaurigen Liedern zusammengestellt und präsentierte dieses im historischen Kellergewölbe am Stadtbuckel. Musica Antiqua mit ihren mittelalterlichen Klängen und keltischer Folklore sowie die alpenländischen Stubenmusik der Gruppe BriMaTonVoka unter Leitung von Brigitta Herzog zogen die Zuhörer im Alten Rathaus in Bann. In den Kirchen gabs Orgelmusik, und in der St. Jakobskirche spielte das Kammerorchester Werner Roth.
Ucelli Canori im Katzschen Garten
Im Katzschen Garten hatten sich Tanja und Jürgen Illig auf die Begrüßung der Gäste vorbereitet und sorgten mit zahlreichen Fackeln für ein stimmungsvolles Ambiente. Wahre Menschentrauben interessierten sich für die Führungen zu den Kleinoden des Gartens.
in Nachtwächter wachte über die Sicherheit in den Gassen. Rudi Seifried hatte sich spontan bereiterklärt, diese Rolle zu übernehmen und verkündete stilecht und eindrucksvoll den jeweiligen Wächterruf: „Hört ihr Leut und lasst euch sagen…“
Türmwächter am Storchenturm
In die Rolle der Turmwärter schlupften an diesem Abend Christoph Gerber und Gerhard Seidel. Angekündigt durch Fanfarenklänge der Hördener Herolde, die in der ganzen Stadt zu hören waren, wechselten sie stündlich wortgewandt ihren Dienst am Storchenturm. Sie gaben in einem launigen Dialog einen Einblick in ihre einst wichtige Aufgabe für die Stadt.
Im Alten Rathaus führte der Historienstadl Gernsbach die überlieferte Geschichte über die Hexe von Gernsbach aus dem 17. Jahrhundert auf, die Dr. Cornelia Renger-Zorn in Szene gesetzt hatte.
Vor dem Kornhaus diskutierten Ernst Ludwig Posselt und Friedrich Weinbrenner in einem fiktiven Gespräch über die Probleme des 18. Jahrhunderts, dargestellt von Wolfgang Froese und Dr. Ulrich Schumann in historischen Gewändern.
Großer Andrang herrschte bei den Führungen in den Kellern Hauptstraße 28, dem Wolkensteinschen Keller und den Zehntscheuern.
Reger Besuch in den Zehntscheuern.
Die Bewirtungs-Crew in den Zehntscheuern hatte alle Hände voll zu tun, dem Andrang der Besucher gerecht zu werden. Die Führungen in den frisch renovierten Scheuern mussten reglementiert werden. Ebenso ging es in der Hauptstraße 23 zu. Dort hatten Annegret Kavelage und Sabine Giersiepen den Kunstraum und den Durchgang zur Amtstraße ansprechend ausgeleuchtet. Einen wahren Zustrom von Interessierten fanden die Aktivitäten im ausgeräumten Kellergewölbe. Die stündlichen Aufführungen des Gesangstrios CAN im Wechsel mit der Geschichtenerzählerin Brigitte von Hattem hatten regelrecht Magnetwirkung am Stadtbuckel.
Das Marienhaus erstrahlte mit blau-roten Spots.
Auch die Jüngeren kamen auf ihre Kosten, wie beispielsweise beim Basteln in der ehemaligen Nähstube des Marienhauses. Die Bücherei hatte sich auf ihre Herkunft besonnen und bot eine Nähaktion für Groß und Klein. Bei älteren Gernsbacher wurde die Erinnerung wach, wie sie hier einst von der Nähschwester unterrichtet wurden.
Eine Entdeckung für viele Besucher war der geöffnete Wolkensteinsche Hof. Hier sorgten die Bleichhexen mit ihrer Bewirtung in dem weitläufig, privaten Innenhof, der von früheren Altstadtfesten noch vielen Gernsbachern in Erinnerung war, für einen willkommenen Ruhepol in dem schrittintensiven Abklappern der Denkmalnacht-Aktionen.
Dort fanden die Vorlese-Aktionen in der rustikal dekorierten Scheune zahlreiche Zuhörer. Für eine knappe halbe Stunde ließen sie sich in die Welt von Hexen und Geistern entführen. Janina Bender, Katja Weißhaar und Petra Bender-Rheinschmidt hatten dazu spannende und lustige Geschichten ausgesucht.
Das Basteln eines echten Hexenbesens faszinierte die Jüngsten. Dabei konnten sie selbst Hand anlegen, der Hexenbesenmeister Mijo Bukovic unterstützte sie mit urigen Holzbengel und Besenginster. Ein mystischer Tanz mit Licht und wallenden Gewändern hatte Frauke Leupolz vorbereitet und zog die späten Besucher in Bann.
Zur Erfrischung gabs Apfelsaft, vor Ort frisch gepresst von der Süßmostgruppe Gernsbach, auch hier konnten interessierte Kinder aktiv mithelfen. Viele machten im Wolkensteinschen Hof kurze Rast, bevor sie den Rest des Stadtbuckels erklommen und die Attraktionen in der Liebfrauenkirche genossen.
Die Aufführung der Antiphonen fand in der Liebfrauenkirche statt.
Dort hatte Holger Becker, Organist, ein spannendes musikalisches Repertoire zusammengestellt. Die zahlreichen Besucher, die für ein volles Kirchenschiff sorgten, honorierten diese besonderen Darbietungen. Sicher war die Aufführung der Antiphonen ein Höhepunkt in der abendlichen Programmgestaltung der Liebfrauenkirche.
Das als Makulatur verwendete Doppelblatt eines klösterlichen Antiphonalbuches aus dem späten 13. Jahrhundert ist die älteste Handschrift im Gernsbacher Stadtarchiv. Eine Auswahl der daraus notierten Antiphonen wurde durch eine Schola unter Leitung von Holger Becker gesanglich vorgetragen und das zur Besichtigung ausgestellte Originalpergament hörbar gemacht.
Außerdem hatte der Organist zu „Gothic pipes“ eingeladen und wurde jeweils mit einem gefüllten Gotteshaus für diese Aktion honoriert. Bekannte und weniger bekannte Orgelstücke tauchten zusammen mit entsprechender Illumination die gotische Liebfrauenkirche in eine bisher eher unbekannte Sphäre. Dazwischen sorgten Impulse von Stefan Major, Pastoralreferent der Katholischen Seelsorgeinheit Gernsbachs, für nachdenkliche Momente. Diese trug er zu Projektionen von Weltraumbildern vor, die von Stefan Hahne, Hobby-Astronom, zur Verfügung gestellt wurden und tiefe Einblicke in das Universum ermöglichten.
Ein abwechslungsreiches Programm war in St. Jakob geboten. Die Beleuchtung des Deckengemäldes hatte Walter Westhoff übernommen. Friedemann Schaber eröffnete und beschloss das musikalische Programm des Abends mit seinem Orgelspiel. Burgel Löwenthal bot zu später Stunde an der Orgel Abendlieder zum Mitsingen: „Nun ruhen alle Wälder“. Klezmer Musik präsentierten Sarah Haist mit Hansjörg Wallraff, während Werner Roth mit seinem Kammerorchester und Irene Jung mit ihrer Gruppe Musica Antiqua für weitere markante Programmpunkte an diesem Abend sorgten. Pfarrer Hans-Joachim Scholz trug Nachdenkliches zu den Musikdarbietungen vor.
Die breit gefächerten kulturellen Beiträge kamen durch die professionelle Beleuchtung der jeweiligen Stationen erst so richtig zur Geltung. Merlin electronic, Ottenau, hatte unter der Regie von Roland Peuker und Team in die Schatztruhe der Illuminations-Technik gegriffen. Das Marienhaus erhielt mit blau-roten Spots eine eigene Strahlkraft. Die Zehntscheuern waren in rotes Licht getaucht und zogen zahlreiche Fotografen an, die sich diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten und diese magischen Lichtmomente einfingen.
Altes Rathaus
Im Zentrum der Beleuchtung stand das Alte Rathaus. Daran kam keiner vorbei, und die stimmungsvollen farbigen Strahler ließ das Renaissance-Palais in seiner ganzen Pracht erleuchten. Es strahlte von weitem und lud die Besucher ein, zum musikalischen Aktion mit Musica Antiqua oder Cello-Spiel des ASG. Viele nutzten auch den Abend, um dem Museum der Harmonie einen Besuch abzustatten.
Ganz besondere Akzente setzte die Beleuchtung der St. Jakobskirche. Der Storchenturm ragte hoch über die Stadtbefestigung empor, die illuminierte Stadtmauer bot eine ideale Kulisse für die schauspielernden Turmwärter. Auch das Kornhaus erstrahlte in faszinierendem Farbenspiel.
Marktplatz-Brunnen
Die Brunnen waren mit Windlichtern geschmückt. Auch hier zeigte sich das gute Zusammenspiel der aktiven Gruppen: der Obst- und Gartenbauverein Gernsbach, die Von-Drais-Schule und die Bleichhexen hatten jeweils die Deko eines der Altstadtbrunnen übernommen.
Noch jetzt, Wochen nach diesem Spektakel, sind die Erinnerungen an den Abend sehr lebendig und tauchen in den Gesprächen der Gernsbacher immer wieder auf.
Keiner konnte alle Aktivitäten mitmachen, doch das Bestaunen der beleuchteten Denkmäler und die vielen Gespräche mit Nachbarn und Bekannten, die man schon lange nicht mehr ohne Zeitdruck getroffen hatte, machten diesen Abend für alle Besucher und Teilenehmer zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Nochmals darf ein herzliches Dankeschön an alle Aktiven ausgesprochen werden, auf den Bühnen und hinter den Kulissen, in der Verwaltung und im Bauhof, die Licht-Techniker und an die vielen Ehrenamtlichen, die zum Gelingen dieses besondern Ereignisses beigetragen haben: sie haben uns ein tolles Geschenk zur 800-Jahr-Feier gemacht, an das sich alle, die dabei waren, noch lange erinnern werden.
Die Feierlichkeiten zur 800-jährigen Geschichte der Stadt Gernsbach haben eine intensive Beschäftigung mit der lokalen Historie angestoßen. Dabei rücken nicht nur die vergangenen Jahrhunderte in den Mittelpunkt der Betrachtung, vielmehr wird auch die jüngere Vergangenheit zunehmend beachtet.
Ein wichtiges Jahrzehnt für Gernsbach waren die 1970er Jahre. Bislang nicht sonderlich beachtet, haben sie für die Entwicklung Gernsbachs herausragende Bedeutung. In diesen Jahren erhielt Gernsbach seine heutige Struktur. Nicht nur die Gemeindereform sorgte für veränderte Verhältnisse, neue kommunale Bauten veränderten das Gesicht von Gernsbach. Im Bereich Handwerk und Handel sorgten die Strukturänderungen für neue Formen des Kaufens und Verkaufens. Mit dem Jugendzentrum und dem Kommunalen Kino entstanden zwei neue Ausdrucksformen kulturellen Lebens. Bedeutsam war auch das Entstehen der Altstadtfeste, ursprünglich als Bürgerfest initiiert, von dem man nicht erwartete, dass es über 40 Jahre Bestand haben würde. Aber auch die Uranfunde im Waldbachtal hielten die Stadt in Atem.
Dieser Beitrag kann nicht umfassend die gesamte Entwicklung des Jahrzehnts behandeln, anhand einzelner Ereignisse kann man schlaglichtartig den Puls der Zeit spüren.
Einschneidende Veränderungen in der Verwaltung
Anfang der siebziger wurde die Gemeindegebietsreform umgesetzt. Dieser Verwaltungsakt hatte das Ziel, leistungsfähigere Gemeinden zu schaffen. Durch diese größeren Verwaltungseinheiten erwartete sich die damalige Landesregierung eine effizientere Arbeit in den Gemeinden.
Die Eingemeindungen von Staufenberg, Lautenbach, Reichental und Obertsrot-Hilpertsau bestimmten das lokalpolitische Geschehen in den siebziger Jahren.
Im Zuge der dieser Gemeindereform kamen Staufenberg (1.1.1971), Lautenbach (1.1.1973), Obertsrot-Hilpertsau (1.7.1974) und Reichental (1.1.1975) zu Gernsbach hinzu.
Bereits bei der ersten Eingliederung von Staufenberg gab es vorab viele Abstimmungen. Von den knapp 800 abgegebenen Stimmzetteln stimmten 629 für „Ja“ (79 Prozent). Eine der Forderungen Staufenbergs nach einem beheizten Freischwimmbad im Hahnbachtal wurde der Stadt Gernsbach zurückgegeben und erhitzte noch lange die Gemüter. Die Eingliederung Lautenbachs lief in ruhigeren Bahnen. Letztlich wurde in einem Festakt der ausscheidende Bürgermeister Alois Schiel feierlich verabschiedet. Hilpertsau und Obertsrot fusionierten 1970. Die beiden Gemeinden verbanden schon längst viele Gemeinsamkeiten. Recht zügig wurde das 19 Paragraphen umfassende Schriftstück über den Eingemeindungsvertrag mit Gernsbach erarbeitet und schließlich zum 1. Juli 1974 unterzeichnet. „Ab 1.1.1975 gehört Reichental zur Stadt Gernsbach“, so beginnt die Titelseite des Stadtanzeigers 1975. Damals wurde in der Silvesternacht durch den Bürgermeister Oswald Sieb über die Ortsrufanlage die Neuigkeit verkündet. Er ging in seiner Ansprache auch darauf ein, dass sich die Mehrheit der Reichentäler wohl für eine Eigenständigkeit der Gemeinde entschieden hätte, aber dies verwaltungsrechtlich nicht durchsetzbar war.
Bürgermeister Rolf Wehrle (Mitte) mit Wolfgang Dieterle (links) und seiner Frau Irene. Foto: Stadtarchiv Gernsbach
Die Eingemeindungen waren ein wahrer Prüfstein für den neugewählten Bürgermeister Rolf Wehrle. Er hatte 1969 das Amt von dem langjährigen Bürgermeister August Müller übernommen und stand sogleich den Herausforderungen der Gemeindereform gegenüber, eine Aufgabe, bei der nicht nur er Neuland betrat.
Neubauten verändern das Gesicht der Stadt
Der Neubau in der Baccaratstraße gehörte zu den ersten hohen Häusern in Gernsbach. Foto: Stadtarchiv Gernsbach
In Gernsbach wurde in den siebziger Jahren der Trend der Zeit, Hochhäuser in den Zentren und Hochhaussiedlungen an den Stadträndern zu bauen, ebenfalls umgesetzt. Die Entwicklung ging in Richtung autogerechte Stadt. Großbaustellen wurden begonnen, alte Häuser hatten wenig Fürsprecher, die siebziger Jahre waren eher ein Zeitalter des Abrisses.
Einschneidende Veränderungen fanden in der Waldbachstraße statt. Bis in die siebziger Jahre beherrschten eng aneinandergebaute kleine Häuser die schmale Straße. Die traditionelle Heimat von Handwerkern wie Schlosser und Drechsler sowie Händlern gehörte der Vergangenheit an. Die Häuser zeigten Spuren der Zeit, sie waren zum großen Teil sanierungsbedürftig. Nach und nach wurden sie abgerissen, auf den Freiflächen entstanden neue Parkmöglichkeiten für den rasant ansteigenden Individualverkehr. Es gab keine Blumenrabatte oder Baumpflanzungen, was die Straße nicht attraktiv machte. Heute ist die Straße mit seinem freigelegten Lauf des Waldbaches und dem unversperrten Blick auf die Stadtmauer eine Attraktion. Die Umgestaltung der Waldbachstraße kann als Gewinn für die Altstadt verbucht werden.
Der alte Bauhof hinter dem Rathaus. Foto: Stadtarchiv Gernsbach
Einen völligen Wandel erfuhr in den Siebzigern auch der Bereich hinter dem heutigen Gernsbacher Rathaus. Dort war der Bauhof untergebracht. Das Rathaus platzte aus allen Nähten, ein Erweiterungsbau wurde beschlossen. Dazu musste der alte Bauhof abgerissen werden, er zog in ein neues Gebäude in der Nordstadt um.
Das alte Feuerwehrhaus hinter der Kelter, heute Bereich Kelterplatz/Salmenplatz.
Auch auf dem nahen Kelterplatz waren die Bagger zu Gange. Die alte Kelter an der Gottlieb-Klumpp-Straße, ein großes städtisches Wohnhaus und das Feuerwehrhaus verschwanden. Lediglich das Anwesen Hofer befand sich nicht in städtischer Hand und trotzte den geplanten Veränderungen. Am 5. Mai 1973 wurde das neue Feuerwehrhaus in der Schwarzwaldstraße eingeweiht. Die Tage des Feuerwehrhauses in der Kernstadt gehörten der Vergangenheit an.
Auf den Wiesen, die einst zu dem Mädchenheim Bethesda gehörten, wurde ein Schulhaus errichtet: 1972/73 nahm die Realschule dort ihren Betrieb auf und wurde 1974 zur selbstständigen Bildungsanstalt erhoben. Federführend für diese Einrichtung waren Heinz Wiggert, Rektor der Volksschule, und Bürgermeister Rolf Wehrle, die ab 1970 alle Hebel in Bewegung gesetzt hatten, um eine Realschule schaffen.
Strukturelle Änderungen in Handel und Handwerk
Der Einzelhandel wandelte sich grundlegend: traditionelle Einkaufsmöglichkeiten wurden durch Selbstbedienungsläden und moderne Warenpräsentation ersetzt.
Bestes Beispiel dafür geben die Gernsbacher Bekleidungsgeschäfte jener Zeit ab: Das Modehaus Olinger wie auch Motex bieten ihre Waren in einer völlig geänderten Präsentation an. An der Hofstätte entsteht eine neue Filale von Motex, die sich auf Herrenbekleidung spezialisierte.
Siegeszug Altstadtfest beginnt
Beim ersten Altstadtfest 1975: Brückenmühle-Besitzer Karl Braun neben Bürgermeister Rolf Wehrle. Foto: Stadtarchiv Gernsbach
Das erste Altstadtfest 1975 zog Tausende von Besuchern in die Stadt, damit hatte keiner gerechnet. Die Straßen waren voller Menschen, die Stände der Vereine und Gruppen waren am Sonntag leergekauft. Vereine,
Gewerbetreibende und Gastronomen sowie Anwohner machten engagiert mit, die Altstadt zu einem Ort der Begegnung und zu einer Festmeile zu machen, bei der bürgerschaftliches Denken fröhlich zelebriert wird. Das Fest, das als einmalige Aktion geplant war, wurde nun jährlich abgehalten.
Bei den ersten Altstadtfesten führten die teilnehmenden Gruppen den Reingewinn der Festbewirtung zugunsten der Renovierung des Alten Rathauses ab. Die grundlegende Sanierung des Alten Rathauses fand in den Jahren 1976 bis 1979 statt – eine weitere kommunale Baustelle in den siebziger Jahren.
Übrigens war es beim 3. Altstadtfest 1977, als in den Kirchen an Hanns-Martin Schleyer gedacht wurde. Er war wenige Tage zuvor entführt worden, sein Schicksal war ungewiss. In der St. Jakobskirche mit Pfarrer Manfred Diegel und im Marienhaus mit Prälat Bruno Wittenauer fanden Gedenken für den entführten Arbeitgeber-Präsidenten statt, der Tage zuvor noch sein Kommen zum Altstadtfest angekündigt hatte.
Ausdruck des Zeitgeistes: Juze Gernsbach
Das Juze in der Waldbachstraße. Foto: Gareus-Kugel
Mit dem Jugendzentrum e.V. wurde in den 1970er Jahren ein Verein geschaffen, der wohl aus dem Zeitgeist heraus entstand und von lokalen Akteuren getragen wurde. Anfänglich mit politischer Motivation ins Leben gerufen, entwickelte sich das selbstverwaltete Jugendzentrum schnell zu einem beliebten Treff der Jugend. Es bot einen Freiraum jenseits der kommerziellen beziehungsweise staatlich oder kirchlich regulierten Angebote. Weltanschauliche Auseinandersetzungen und kontroverse Diskussionen, gepaart mit alternativen Musikangeboten machten den besonderen Reiz des Treffs aus. Von Seiten der Stadtverwaltung wurde ein kleines Haus in der Waldbachstraße zur Verfügung gestellt. Die Ausgestaltung der Räume wurde von den Mitgliedern des Vereins organisiert, alte, ausrangierte Polstermöbel bildeten das Inventar, auch ein Klavier gehörte dazu. Prägnant war die Bemalung der Fassade des alten Gebäudes in Richtung Waldbachstraße.
Nach dem Abriss des Gebäudes fand der Umzug des Juze-Treffs 1977 in die ehemalige Papiermacherschule am Färbertorplatz statt. Auch hier hatte der Verein mit Bürgermeister Rolf Wehrle und Hauptamtsleiter Wolfgang Dieterle gewichtige Fürsprecher für ihr Anliegen, ein eigenverwaltetes Refugium zu haben. Der Verein Juze hatte als Aushängeschild die Open-Air-Konzerte im Kurpark, die eine starke Resonanz erfuhren. 1971 fand das erste Konzert statt, weitere folgten im jährlichen Rhythmus bis in die achtziger Jahre.
Drohender Uranabbau im Waldbachtal
“Das Uran bleibt drin” wurde auf dem Stein im Waldbachtal graviert. Foto: Rolf Thilenius
Die Auswirkungen der weltweiten Ölpreiskrise 1973 bescherte der Bundesrepublik nicht nur autofreie Sonntage, sondern auch eine Suche nach alternativen Energiequellen. Die Kenntnis von Uranvorkommen im Waldbachtal ließ Pläne entstehen, diese wirtschaftlich abzubauen. Gegen dieses Vorhaben machten nicht nur Kritiker der Kernenergie mobil, sondern ließ auch eine Allianz von Naturschützern in Vereinen und Privatpersonen entstehen, die sich dem Abbau des Urans im Waldbachtal entgegensetzten. 1978 fand eine Bürgerversammlung in der Stadthalle statt, bei der über 600 Teilnehmer sich über die Pläne des Wirtschaftsministeriums informierten und ihren Bedenken für den Erhalt der Landschaft und gegenüber dem Sinn des Uranabbaus Luft machten.
Letztlich scheiterte das Unterfangen, weder die zu erwartende Menge noch die Qualität des Urans hatte die ersten Erwartungen erfüllt. Was blieb ist ein Stein im Waldbachtal mit der Aufschrift „Das Uran bleibt drin“, ein Relikt der damaligen Aktivisten, um auf die Probleme des Abbaus aufmerksam zu machen.
Abschied von scheinbar Unverrückbarem
Noch vieles mehr entstand in den siebziger Jahren: angefangen von der Neuordnung der Wasserversorgung bis hin zum Papierzentrum in der Scheffelstraße. Ein eigenes Kapitel wäre den sportlichen Leistungen in den Siebziger zu widmen, wie z.B. im Trampolinspringen. Von scheinbar unverrückbaren Gegebenheiten musste man Abschied nehmen: So machten sich schon Mitte der siebziger Jahre Verwaltung und Krankenhausleitung Sorgen um den Erhalt des Gernsbacher Krankenhauses. Die Dampflokomotiven verschwanden unspektakulär, was in der Rückbetrachtung gar nicht mehr genau datiert werden kann. Da bedarf es schon genaurer Sicht in die Archive, denn das eigene Erinnern täuscht so manches Mal.