Vorbereitung für die Verlegung des Stolpersteins in der Storrentorstraße.
Das Scharren der Kieselsteine war noch zu hören, als die Musik „Ghetto“ bereits erklang. Bei der Verlegung der Stolpersteine in der Altstadt von Gernsbach hatte der Künstler Gunter Demnig bereits mit dem Freilegen der Vertiefung für den Stolperstein begonnen, als noch die Musik für die Umrahmung der Gedenkfeier spielte.
Anfang März fand die zweite Verlegung von Stolpersteinen in Gernsbach statt. Dieses Mal wurde Opfern der Euthanasie-Programmen der Nazis gedacht, die aufgrund ihrer geistigen Konstitution sterben mussten. Nun erinnern vier Stolpersteine an Luise Geiger in der Storrentorstraße 3, an Ludwig Schneiderhan in der Hauptstraße 45, und an die Brüder Albert Gebhard und Karl Gebhard in der Schlossstraße 8. Sie wurden 1940/41 im Rahmen der sogenannten T4-Aktion ermordet. Dieses Programm wurde nach dem Ort der Planungszentrale der Morde an Menschen mit Behinderungen und mit psychischen Krankheiten, Tiergartenstraße 4 in Berlin, benannt.
Gunter Demnig (ganz links) verfolgt die Gedenkfeier am Metzgerplatz, bevor er zur Verlegung des nächsten Stolpersteins geht.
Gerold Stefan, Lehrer an der Musikschule Gernsbach, hatte die passenden Musikstücke für die Feier ausgesucht. Er spielte mit seiner Klarinette das Adagio von Friedrich Demnitz, „The Blessing Nigun“ von Jerry Sperling, „Jenseits der Stille“ von Niki Reiser und das Stück „Ghetto“.
Eindringlich verhallten die Melodien auf dem weiten Metzgerplatz. Dort hatten sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Gernsbachs versammelt, um den Opfer der Euthanasie-Programme der Nationalsozialisten zu gedenken.
Michael Chemelli, Bürgermeister-Stellvertreter, fand die passenden Worte, um an das unfassbare Geschehen um die Opfer der NS-Euthanasieprogramme zu erinnern. Er betonte in seiner Einführung, dass es heute die Pflicht von uns allen ist, daran zu arbeiten, dass sich ein solches Geschehen niemals wiederholt. Besonderen Dank sprach er an Stadtarchivar Wolfgang Froese aus, dessen Recherchen es zu verdanken ist, dass an die vier getöteten Gernsbacher erinnert werden kann. Bislang war wenig über die Ermordung von behinderten Menschen aus Gernsbach bekannt, daher bedurfte es grundlegender Archivarbeit, die Details und Hintergründe über den Abtransport zu finden.
Bereits zum zweiten Mal verlegt Gunter Demnig Stolpersteine in Gernsbach.
„Ich bin Ludwig Schneiderhan“, begann die Darstellung der Einzelschicksale der vier Opfer durch Schülerinnen und Schüler der Realschule Gernsbach. Unter der Leitung ihrer Lehrerinnen Elvira Schulz (Geschichte) und Johanna Wilhelm-Lang (ev. Religion) hatten sie sich in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv auf diese Gedenkfeier vorbereitet. Lea Clausen, Sara Oertel, Elias Schmidt und Alica Herzog hatten die Texte, mit denen sie das Schicksal der jeweiligen Person vorstellten, in der „Ich-Form“ geschrieben und vermittelten somit eindringlich, dass sie sich intensiv auf diese Gedenkfeier vorbereitet hatten. Die Anwesenden waren betroffen von den Texten, weil sie auch in beklemmender Weise deutlich machten, wie sehr die Menschenwürde im Dritten Reich mit Füßen getreten worden war. Mit der Beteiligung der Schülerinnen und Schüler wurde ein Kern-Ziel des Gemeinderats-Beschlusses zu den Stolpersteinen umgesetzt. 2019 hatte das Gremium einstimmig beschlossen, zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus sich der Stolperstein-Aktion anzuschließen und insbesondere die örtlichen Schulen zur Pflege und kontinuierlichen Erinnerungsarbeit einzubinden.
Rita und Hans-Joachim Scholz, Pfarrer i.R. der evangelischen Gemeinde, sprachen in Anwesenheit von Dekan Josef Rösch ein Gebet.
Teilnehmer der Gedenkfeier legten Blumen nieder an den Stolpersteinen.
Gemeinsam mit Mitarbeitern vom Bauhof zog der Künstler Gunter Demnig vom Metzgerplatz in die Schlossstraße 8 weiter, wo die beiden Stolpersteine für die Brüder Albert und Karl Gebhard verlegt wurden. Anwohner legten später Blumen an den einzelnen Stolpersteinen nieder.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 1/2022 im Casimir Katz Verlag am 6. April 2022
Wir haben das alte Jahr bei einer Wanderung auf der rechten Murgseite verabschiedet, und nun das neue Jahr mit einem Spaziergang links der Murg begonnen. Wir wünschen euch Gesundheit und Freude – und viele fröhliche Begegnungen.
Die Falken sind wieder da! Rechtzeitig zu Beginn des Frühjahrs sind die eleganten Flieger wieder in den Turm der Liebfrauenkirche eingezogen. Doch ganz so einfach war es nicht. Der Nistkasten hoch oben in der Spitze des Turmes war sehr begehrt: mehrere Turmfalken kämpften um den Einzug in den frisch gereinigten Nistkasten. Dohlen schauten diesen Nistkämpfen entspannt zu, während sich Rabenkrähen sich oftmals in die Auseinandersetzungen einmischten. Nach spannenden Flugmanövern hat sich ein Falkenpaar durchgesetzt, das nun nachhaltig ihr Zuhause bewacht. Schon allein das Beobachten dieser Nest-Wächter ist spannend. Sie beobachten von dem Ausguck vor ihrem Nistkasten die Umgebung sehr genau, sie können ja ihre Halswirbelsäule um 180 Grad drehen. So entgeht ihnen nichts, was vor ihrem Nest geschieht.
Mal abwarten, ob es auch in diesem Jahr Nachwuchs einstellt. Im Jahr 2020 konnte das Falkenpaar vier Junge großziehen.
Neben dem Falken-Nistkasten, der im Turm der Liebfrauenkirche von Süden her angeflogen werden kann, gibt es in östlicher Richtung eine Öffnung für einen Eulen-Kasten und in nördlicher Richtung einen für Dohlen. Vor Beginn der Nestsuche wurde dort ein neuer Nistkasten für Dohlen montiert.
Mit dieser Aktion hat die Liebfrauengemeinde die Beheimatung der seltenen Vögel nachhaltig unterstützt. Bereits vor zehn Jahren wurde sie mit der Plakette „Lebensraum Kirchturm“ vom Nabu ausgezeichnet.
Seit 2012 befindet sich dort bereits ein Nistkasten für Dohlen, angeregt von Stefan Eisenbarth und installiert von Hanspeter Schultheiß und Werner Meier. Dieser wurde nun von den Naturschutzwarten des Nabu Jutta Kastner und Ernst Krieg erneuert. Die Montage erfolgte mit Unterstützung von Klaus Detscher. Schon wenige Tage danach inspizierten die ersten Dohlen das neue Nest. Ob sie sich allerdings darin einnisten, wird sich erst im Laufe des Frühjahrs zeigen. Erste Exemplare der putzigen Krähenvögel haben bereits den Kirchturm inspiziert.
Artikel über den Bau des Dohlenkastens findet man hier
Überreichung der Plakette “Lebensraum Kirchturm” 2011 vor der Liebfrauenkirche GernsbachBereits 2011 wurde die Gemeinde Liebfrauen in Gernsbach mit der Plakette “Lebensraum Kirchtum” ausgezeichnet. Presseartikel dazu
Ein Sonntags-Spaziergang im Schnee, und zwar mit Schnee von der Haustüre ab – das gabs schon viele Jahre nicht mehr. Stetiger Schneefall begleitete unsere Tour durchs Waldbachtal zum Walheimer Hof, über den KH-Weg auf die obere Schlossstraße, weiter über die Amanda-Schau zum Schloss Eberstein und über den Eberpfad wieder zurück nach Gernsbach. Eine klassische Runde, mit der Besonderheit, die ganze Zeit im Schnee zu stapfen. Das war ganz besonders. Und machte soviel Hunger, dass nach der Wanderung die Buchstabensuppe schneller gegessen war als sich Wörter bilden ließen…
Auch bei dieser Tour begegneten wir immer wieder anderen Wanderern, dieser Schneezauber zieht viele nach draußen. Einige waren dabei fleißig und gestalteten Schneemänner – mit viel Phantasie und Gestaltungskraft.
Die Glasfenster von Albert Birkle in der Gernsbacher St. Jakobskirche
Seit über 50 Jahren befinden sich Glasfenster des Künstlers Albert Birkle in der evangelischen St. Jakobskirche in Gernsbach. Die einzigartige Leuchtkraft dieser großen Chorfenster begeistern seither die Besucher des Gotteshauses.
Diese Fenster sind Ausdruck lebendiger Auseinandersetzung mit der Zeit, mit dem Glauben, mit dem Gemeindeleben.
In diesem Jahr erhielten die Fenster eine besondere Aufmerksamkeit: In Gernsbach wurde die Liebfrauenkirche wurde innen renoviert, von Januar bis November beherrschte ein riesiges Baugerüst das große Kirchenschiff. Bis unters Dach waren die Handwerker tätig: Maler, Steinmetze, Zimmerleute, Kunstmaler und Restauratoren gingen aus und ein. So konnten auch an Pfingsten, als die Corona-Bestimmungen wieder gestatteten, sich zu versammeln, kein Gottesdienst in der Liebfrauenkirche stattfinden. Ein Lichtblick in dieser Zeit war die gastfreundliche Bereitschaft der evangelischen St. Jakobsgemeinde, den katholischen Gemeinde in ihrem Gotteshaus willkommen zu heißen.
So erlebte die katholische wie evangelische Gernsbachs in der St. Jakobskirche im Licht des Pfingstfensters der Freude des Pfingstfestes. Gefangen von dem Licht, das durch das ausdrucksstarke Glasfenster auf die versammelte Gemeinde fiel, war es nicht mehr weit zu den Fragen, woher diese Glasfenster stammen und mehr über den Künstler zu erfahren wie über den Weg, wie die Fenster nach Gernsbach kamen.
Drei Autorinnen kamen zusammen und gehen auf die verschiedenen Aspekte der Birkle-Fenster ein.
Dr. Irene Schneid-Horn stellt die Historie der Fenster im lokalen Umfeld dar. Außerdem gibt sie einen Rückblick auf die Vorgängerfenster. Regina Meier geht den Spuren des Künstlers nach. Albert Birkle (1900-1986), in Berlin geboren mit schwäbischen familiären Wurzeln, lebte ab 1939 in seiner Wahlheimat Salzburg. Von dort aus schuf er ein umfangreiches Glaskunst-Werk, das bis nach Washington D.C., USA, reicht. Susanne Floss betrachtet die Fenster aus spiritueller Sicht und eröffnet mit Texten, Bibelpassagen und Gedichten einen Zugang zu den farbigen Kunstwerken. Werner Meier unterstreicht mit den großformatigen Aufnahmen und den Detailansichten die Aussagen der farbenprächtigen Glasfenster.
Die ansprechende Gestaltung der Texte unterstreichen die klaren und ästhetischen Aussagen des Buches.
Regina Meier / Irene Schneid-Horn / Susanne Floss
Leuchtende Hoffnung
Die Glasfenster von Albert Birkle in der Gernsbacher St. Jakobskirche
48 Seiten, großformatige 4fbg Fotos, Broschur, Format DINA4
Fotos: Werner Meier und Irene Schneid-Horn
Gestaltung: Carmen Armbrust, Achern
Verlag Am Mauergarten, Gernsbach
Erscheint: Ende November 2020
ISBN 978-3-9822487-0-7
20,- Euro
Das Buch kann bestellt werden per E-Mail an service@verlag-am-mauergarten.de oder über den Buchhandel. siehe auch Verlag am Mauergarten
Vor 80 Jahren endet das jüdische Leben in Gernsbach. Mit dem Abtransport der letzten verbliebenen jüdischen Bürger nach Gurs findet die Ausgrenzung und Auslöschung des jüdischen Lebens durch die Nationalsozialisten in Gernsbach ihren Schlusspunkt. Neun Gernsbacher werden ultimativ von der Gestapo an dem Morgen des 22. Oktober 1940 aufgefordert, ihre Koffer zu packen und sich zum Abtransport an der Stadtbrücke einzufinden.
Auch bei Hermann Nachmann in der Bleichstraße 2 klopfte die Gestapo am 22. Oktober 1940. Foto: Privatbesitz Götz
Die Gestapo klopft an die Tür in der Bleichstraße 2 bei Hermann Nachmann, in der Bleichstraße 4 müssen sich Arthur und Erna Kahn sowie deren Schwester Hilda Dreyfuß und die beiden Töchter Lieselotte und Margarethe fertigmachen, und in der Bleichstraße 14 haben Eugen Lorsch und seinem Sohn Heinz sowie die Hausgehilfin Bertha Marx keine Wahl, dieser Anordnung zu folgen. Die Aktion findet am Morgen des letzten Tages des Laubhüttenfestes, Sukkoth, statt, einer der traditionellen Festtage der Juden, die im Kreis der Familien gefeiert werden. Die Einsatzkommandos können also davon ausgehen, dass sie in allen jüdischen Haushalten die Familienmitglieder antreffen. Innerhalb einer Stunde sollen sie sich reisefertig machen, ins Handgepäck dürfen lediglich Verpflegung für ein paar Tage, eine Wolldecke, Ess- und Trinkgeschirr und pro Person 100 Reichsmark mitgenommen werden. Von Gernsbach werden die sie mit einem Lastwagen nach Rastatt abtransportiert, dort geht es mit dem Zug in das südwestliche Frankreich, nach Gurs, einem Lager am Fuße der Pyrenäen, weiter. Über 6.000 jüdische Bürger aus Baden, Rheinland-Pfalz und dem Saarland werden im Oktober 1940 von den Nationalsozialisten in das Lager Gurs deportiert.
Heute erinnert nur wenig an das einstige Lager in Gurs.
Unvorstellbare Lagerbedingungen
Viele der Deportierten sterben dort oder in weiteren Lagern. Die Baracken verfügen weder über sanitäre Einrichtungen noch Trennwände oder verglaste Fenster. Kälte und Hunger bestimmen den Tagesablauf. Erschütternde Zeugnisse über die Situation in dem Lager sind durch einen Brief des Gernsbachers Arthur Kahn überliefert. Er schreibt an das Bürgermeisteramt und bittet um die Übersendung von Kleidern, Schlafdecken und Handtücher: „Für alles wollen wir gerne aufkommen, wir befinden uns hier mit meinen kleinen Kindern wirklich in der größten Not, so möchte ich nochmals bitten, die Zusendung auf dem bestmöglichsten, schnellsten Wege erfolgen zu lassen, ohne Rücksicht nehmen zu wollen auf die Höhe der Unkosten. Für ihre Mühe danke ich im voraus, auch im Namen meiner Frau, Schwägerin und Kinder.“ Unterschrieben mit „Arthur Kahn, einst: Gernsbach, Bleichstraße 4“.
Camp de Rivesaltes.
Arthur Kahn stirbt bald darauf, noch im Jahr 1941, 54 Jahre alt, in Rivesaltes, seine Frau Erna Kahn und ihre Schwester Hilde sowie Bertha Marx werden aus Gurs in ein Vernichtungslager, wahrscheinlich Auschwitz, transportiert und 1942 umgebracht. Die Kinder Margarethe und Lieselotte Kahn werden von der Hilfsorganisation OSE (Oeuvre de Secours aux Enfants) gerettet. Die OSE betreibt selbst einige Kinderheime in der unbesetzten Zone, sucht Angehörige der Kinder im Ausland und verhilft ihnen zur Ausreise. So gelangen die beiden Kahn-Töchter zu Verwandten in den USA. Der Jugendliche Heinz Lorsch, im Jahr der Deportation 15 Jahre alt, flieht und schließt sich der französischen Resistance an. Sein Vater Eugen Lorsch stirbt 1941 in Gurs.
Heute ist vom ehemaligen Lager Gurs nicht mehr viel übrig. Man betritt das Gelände über ein Mahnmal, das genau an der gegenüberliegenden Seite des damaligen Eingangs liegt und mit der zwei Kilometer langen Lagerstraße verbunden ist. 1963 wurde der Friedhof restauriert. Die 1.073 identischen Gräber stehen um das Mahnmal die für die jüdischen Opfer aus Gurs. Eine Arbeitsgemeinschaft badischer Städte sich für die Pflege des Friedhofs ein.
Wie konnte es soweit kommen?
Mit dem Tag der Machtübernahme Hitlers verändert sich das Zusammenleben der jüdischen Mitbürger und ihren Nachbarn von Grund auf. Seit Generationen gewachsene Gemeinsamkeiten werden zerstört, und die Diskriminierung der jüdischen Bürger wird Schritt für Schritt umgesetzt. Die Juden werden aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt: 1935 wird eine Judenkartei angelegt, die sämtliche Mitbürger jüdischen Glaubens auflistet, verdächtige Personen werden überwacht. „Kauft nicht bei Juden“ ist auch in den Geschäften jüdischer Kaufleute in Bleich- und Igelbachstraße und auf dem Marktplatz zu lesen, die Gewerbe- und Führerscheine müssen abgegeben werden. Den Menschen wird die Existenzgrundlage entzogen.
Anfänglich vollzieht sich die Ausgrenzung der Juden fast schleichend für viele unsichtbar und unbemerkt. Doch immer mehr wird die Unmenschlichkeit offenbar: so müssen nach der Reichspogromnacht alle jüdischen Kinder Gernsbachs die Schule verlassen.
Wertvolle Erinnerungsarbeit
Im Jahre 2000 fand eine eindrucksvolle Matinee anlässlich der Errichtung des ersten Gedenksteins für die Deportation der Gernsbacher Juden statt
Zum Jahrestag der Deportation am 22. Oktober wird seit 20 Jahren wertvolle Erinnerungsarbeit an die letzten jüdischen Mitbürger in Gernsbach praktiziert. Den Anstoß dazu gab der Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach. Die damaligen Mitwirkenden gestalteten einen würdigen Rahmen für die Enthüllung des Gedenksteins zur Erinnerung an die jüdischen Bürger Gernsbachs an der Stadtbrücke im Jahr 2000.
Es folgte 2008 ein weiterer Gedenkstein in einem ökumenischen Projekt von den Konfirmanden und Firmanden. Sie gestalteten mit der Steinmetzin einen Stein, dessen Zwilling in Neckarzimmern steht. Er zeigt ein Floß aus Baumstämmen, mit Flößerhaken zusammengehalten, doch links greifen die Haken ins Leere, dort ist der Stamm der jüdischen Mitbürger weggerissen, ein Verlust, der unwiederbringlich ist.
Alljährlich werden am 22. Oktober bei den Gedenksteinen Kerzen entzündet und Rosen niedergeleg.
In den vergangenen Jahren gestalten jeweils verschiedene Gruppen die jeweilige Gedenkfeier unter Leitung des Arbeitskreises Stadtgeschichte mit. Regelmäßige Teilnehmer sind Vertreter der christlichen Kirchen, der politischen Gemeinde und verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Auch von Seiten der Schulen ist jeweils eine Schülergruppe eingebunden, die sich mit Textbeiträgen, aber auch Malereien, verzierten Kerzen oder Szenenspiel einbringt. Besonderes Gewicht erhält diese Gedenkfeier, da seit einigen Jahren Nachfahren der einstigen Deportierten die Feier besuchen. Der Teilnahme von zahlreichen Gernsbachern an der Gedenkfeier zeigt, wie wichtig den Bürgern die Erinnerung an die Opfer der einstigen Verfolgung und Diskriminierung durch die Nationalsozialisten ist.
Auch in diesem Jahr wird wieder zur 80. Wiederkehr der Deportation eine Gedenkfeier am 22. Oktober stattfinden. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation wird der Ablauf kurz zuvor in der Tagespresse und den sozialen Netzwerken bekannt gegeben.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2020 im Casimir Katz Verlag am 15. September 2020
Wenn in diesen Tagen die Kinder in die Kinderkrippe in die Jahnstraße 7 einziehen, beginnt ein neuer Abschnitt in der über 80-jährigen Geschichte des Hauses.
1939 nannten Familie Abel ihr Wohnhaus in der Gartenstraße 7 liebevoll “Fässle”. Foto: Abel, privat
Auf den ersten Blick sieht man diesem adretten Haus nicht an, dass es ein Stück Gernsbacher Wirtschaftsgeschichte verkörpert. Errichtet wurde es 1936 – und zwar als Musterhaus der Firma Katz & Klumpp. Dieses Haus ist eines der Musterhäuser der Fertighausabteilung des einstigen Unternehmens in der Bleichstraße.
Bereits nach dem Ersten Weltkrieg fertigte Katz & Klumpp Gewächshäuser auf dem Areal in der Bleichstraße. Daraus entstand eine eigene Abteilung: die Holzbauabteilung, kurz Hoba genannt. Der damalige Unternehmensleiter Helmuth Katz (1891-1969) hat nach dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise die Holzverarbeitung um ein neues Geschäftsfeld erweitert.
Er hatte auf seinen Reisen durch Schweden die Fertigung von Fertighäusern gesehen. Zuerst lief das Geschäft langsam an, zuerst wurden Holzbaracken hergestellt. Nachdem die anfänglichen Probleme überwunden waren – denn in Deutschland war diese Art zu bauen, noch unbekannt: die Versicherungen machten Schwierigkeiten, die Banken waren nicht bereit, diese Häuser mit Hypotheken zu beleihen – lief die Produktion auf vollen Touren.
Blick auf das Sägewerk Katz & Klumpp um 1928.
Anfangs der dreißiger Jahre waren es 20 bis 30 Häuser pro Monat. Die Herstellung der Häuser war sehr lohnintensiv. Das bedeutete, dass in Gernsbach bis zu 450 Arbeitskräfte damit beschäftigt waren.
Das Schnittholz dazu wurde in den Sägewerken von Katz & Klumpp in Weisenbach und Gernsbach geschnitten, es wurde aber auch Holz aus benachbarten Sägewerken zugekauft. Im Gernsbacher Hobelwerk – die Holzhalle, die in diesem Frühjahr auf dem Pfleiderer Areal abgerissen wurde – standen große Hobelmaschinen und eine Schreinerei. In der Montagehalle wurden die einzelnen Elemente im Akkord zusammengefügt. Schon damals erkannte man, dass eine konsequente Normierung eine wesentliche Bedingung für die kostengünstige Fertigung darstellt.
Nach Kriegsende beschlagnahmten die Franzosen erst mal die Produktion in Gernsbach. Die Holzbauabteilung wurde von Nona Mayer-Katz übernommen. Ihre guten Französisch-Kenntnisse und die guten Beziehungen zur Besatzungsmacht machte die Abwicklung dieser Reparationspflichten um vieles einfacher. Es wurden Holzhäuser für den Wiederaufbau in Frankreich gefertigt. Dies hatte oberste Priorität. Und die Zahl der Beschäftigten wuchs auf 600. Etwa 50 Häuser wurden monatlich nach Frankreich geliefert.
Die Hobelhalle von Katz & Klumpp.
Allerdings erfuhr diese Ausfuhr von Fertighäusern nach der Währungsreform 1948 einen radikalen Einschnitt. „Von heute auf morgen gab es kein Geschäft mit Holzhäusern mehr“, hielt Dr. Casimir Katz in seinen Erinnerungen „Der Kampf um die Firma“ fest. Die plötzliche Auftragseinbruch brachte auch eine kuriose Situation mit sich. Die letzte Bestellung der Franzosen lautete über 150 Häuser, von denen man bereits einige Teile gefertigt hatte. „Nun saß man mit 137 fertigen rechten Giebeln, aber keinem linken Giebel da“, geht es in den Erinnerungen weiter. In den nächsten Jahren konnten diese auch nicht mehr verarbeitet werden, weil in Deutschland niemand Geld hatte, sich ein solches Haus zu leisten. Zwei der Häuser wurden noch errichtet: beide stehen heute noch in Gernsbach, eines davon steht in der Austraße, das Modell Typ Gernsbach I steht in der Friedrichstraße.
Ein rares Dokument der letzten Phase der Hoba-Abteilung findet sich im Hauptstaatsarchiv in Freiburg. Dort ist festgehalten, dass sich im Jahr 1950 die Fa. Katz & Klumpp darum beworben hatte, Holzhäuser für den Vatikan zu liefern. Doch dieser Auftrag kam nicht mehr zustande.
1954 erfolgte die Auflösung der Hoba-Abteilung. Das bedeutete das Aus nicht nur für einen zukunftsträchtigen Fertigungsbereich, sondern auch für viele Beschäftigte. Die Arbeitskräfte wechselten zur Bierglasuntersetzerfabrik nach Weisenbach oder zu Daimler-Benz. Die Pläne, die Holzbau-Abteilung in eine Wohnbau-Abteilung großen Stils umzurüsten, wurden nicht weiter verfolgt. Der Plan hatte vorgesehen, der Holzabteilung ein Betonwerk und eine Abrichterei von Metallbestandteilen anzugliedern. Doch diese Pläne wurden nicht umgesetzt: 1954 wurde die Fertigungsstätte der Hoba zum Betonschwellenwerk umgebaut.
Lange Tradition als Wohnhaus
Das Haus in der Jahnstraße 7 wurde von Katz & Klumpp als Wohnhaus gebaut. Ende der dreißiger Jahre wohnte darin der Sohn des Prokuristen und Oberbuchhalter Gustav Abel sen. mit seiner Frau Gogi. Damals hieß die Adresse noch Gartenstraße 7. Erst 1952 wurde auf Antrag des Turnvereins Gernsbach die Umbenennung in Jahnstraße vollzogen. Gleichzeitig wurde die Genehmigung erteilt, ein Jahn-Denkmal an dem damaligen Progymnasium zu errichten.
Das Haus wurde 2020 umfassend renoviert. Foto: SPIELWIESE GmbH
Die Kriegsereignisse schrieben die Geschichte des Hauses weiter: Gustav Abel jun. war als Dolmetscher in der Wehrmacht eingesetzt und konnte die Familie seiner Frau, die aus Düren stammte, vor den Bombardements des Ruhrgebiets retten. Sie fanden Zuflucht in dem Haus am Bachgarten. Nach Kriegsende beschlagnahmten die Franzosen das schmucke Haus, erst 1957 wurde es wieder freigegeben.
Die Stadt Gernsbach, die seit 1963 Eigentümer des Hauses ist, hat dieses Haus zu Wohnzwecken vermietet. In den letzten Jahren wurde es als Anschlussunterkunft für Flüchtlingsfamilien genutzt. Einen prominenten Mieter hatte das Haus gleich zu Beginn der städtischen Ära in dem Haus: der katholische Pfarrer Heinz Marbach, der als junger Pfarrer 1964 nach Gernsbach kam, war kurz danach obdachlos, da ein Brand das Pfarrhaus vernichtet hatte und er erst mal eine Bleibe suchen musste. So zog er zum 1. Februar 1965 in das Haus ein, das nicht weit zu der Liebfrauenkirche liegt, und fand dort bis zur Fertigstellung des neuen Pfarrhauses sein Zuhause.
Nach der Renovierung 2020 erstrahlt das historische Bauwerk wieder in voller Pracht. Foto. SPIELWIESE GMBH
Nach der Sanierung des Hauses 2020 erstrahlt das Gebäude in neuer Pracht und sieht einer lebendigen Zukunft entgegen. Dank der umfassenden Renovierung der Innenräume, den Einbau einer Fluchttreppe, einer energetischen Sanierung und eines neuen Daches wurde ein modernes Heim für die neue Kinderkrippe geschaffen. Träger der Einrichtung ist die Spielwiese gGmbH. Die Gesellschaft, mit Sitz in Baden-Baden, unterhält weitere Einrichtungen in Gaggenau, Muggensturm und Rastatt. Dazu gehört auch der Waldkindergarten Gernsbach im ehemaligen Naturfreundehaus unter Leitung von Florian Kreuzer. Mit der Einrichtung kommt die Stadt Gernsbach dem Ziel, ausreichend Kinderkrippenplätze anzubieten, einen Schritt näher.
Gleichzeitig wird auch ein Relikt Gernsbacher Industriegeschichte vor dem Verschwinden bewahrt.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2020 im Casimir Katz Verlag am 15. September 2020
Die Stadtführung „Auf dem Sabbatweg“ am Sonntag, 06. September 2020, führt zu den Orten des einstigen jüdischen Lebens in Gernsbach.
Der Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach hat mit Unterstützung des Kulturamtes und des Stadtarchivs der Stadt Gernsbach diesen „Sabbatweg“ vorbereitet. Damit soll der einstige Gang der Familien jüdischen Glaubens aus ihren Wohnungen zur Synagoge in der Austraße nachempfunden werden. So soll die Geschichte der Gernsbacher jüdischen Glaubens, die einst in Gernsbach ihre Lebensmitte hatten, erfahrbar gemacht und vor dem Vergessen bewahrt werden.
Die Führung wird jährlich am europäischen Tag der jüdischen Kultur durchgeführt. In diesem Jahr kann der Arbeitskreis Stadtgeschichte wieder ein weiteres Detail der jüdischen Vergangenheit Gernsbachs präsentieren. Mit einem bisher unveröffentlichten Foto aus dem Jahr 1914 von Hermann Nachmann, dem letzten Synagogenvorsteher Gernsbachs, in seinem Verkaufsraum in der Bleichstraße wird ein rares Zeugnis der reichen Vergangenheit jüdischer Geschäfte präsentiert.
Treffpunkt: Kornhaus Gernsbach, Hauptstraße 32.
Dauer: ca. 1,5 Stunden. Teilnahme kostenlos.
Passend gibt es eine Broschüre zu dem Rundgang „Der Sabbatweg von Gernsbach“, erhältlich in der Tourist-Info Gernsbach. Preis: 5,- Euro
Die Broschüre kann auch bestellt werden per E-Mail an service@verlag-am-mauergarten.de
Aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Krise wagen Künstler neue Präsentationen
Gernsbacher Künstler zeigen ihre Werke in den Fenstern der Stadt
Im August 2020 stellen sie ihre Werke in den Schaufenstern von Handel, Handwerk und Freiberufler Gernsbachs aus. Insgesamt an 19 Plätzen kann man die Kunst entdecken. Einfallsreich wurden die Kunstwerke in den jeweiligen Schaufenstern präsentiert. So wurde beim Sport Fischer das Gemälde eines Schwimmers über Taucherbrillen und Schnorchel präsentiert oder beim Friseur Löwenthal die Büste „Geborgenheit“, ein Frauenkopf mit einer auffälligen Frisur, platziert. Bei der Schatzinsel findet man ein Gemälde mit Schmuckmotiven, beim Café Felix Aquarelle zu Teesorten und in den Fenstern der Eisdiele Rizzardini Ölgemälde von Gletschern. Die Werke können anhand eines Plans in dem Flyer „Open Air Kunstausstellung“ erwandert werden.
Die Corona-Krise machte so manchen Plan einer Ausstellung zunichte, Vernissagen in herkömmlichen Weise können nicht mehr durchgeführt werden. Da ist die Idee, öffentlich zugängliche Schaufenster als Ausstellungsraum zu nutzen, eine einfallsreiche Alternative.
Die Aktion ist eine Gemeinschaftsaktion der Künstler und des Gewerbevereins. So eröffneten Arturo Laime, der die Künstler um sich versammelt hat, und Sabine Katz in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Gewerbevereins die Ausstellung. Der Eröffnungs-Rundgang der Kunstausstellung, der bei den heißen Sommertemperaturen stattfand, wurde durch das Erzählen der Geschichten durch die Künstler zum kurzweiligen Erlebnis und ließ die Schweißperlen beim Erklimmen des Stadtbuckels vergessen. „Auch zu diesem Bild gibt es eine Geschichte“, konnte man bei dem Rundgang mit den Künstlern so manches Mal hören. Und es folgte eine persönliche Episode der Künstlerin oder des Künstlers, manchmal darüber, wo die Fotografie entstanden oder an welchem ungewöhnlichen Ort das Gemälde schon ausgestellt war, bis hin wie das Objekt zu seinem Titel kam.
Wenn man nun mit Hilfe des Flyers die Ausstellungstätten erkundet, hilft, dass die Eisdiele, andere Einkehrmöglichkeiten und das Schwimmbad am Weg liegen. So kann man in seinem eigenen Rhythmus auf Entdeckungsreise gehen. Für die nächsten drei Wochenenden haben sich die Künstler noch ein Rahmenprogramm ausgedacht und begleiten die Open Air Ausstellung.
Noch sitzen die jungen Falken im Turm der Liebfrauenkirche brav nebeneinander und warten, bis das Futter gebracht wird. Alle können inzwischen fliegen, erkunden ihr Revier um den Kirchturm.
Manchmal klappt das Einfliegen ins Falkennest, manchmal ist es nicht ganz so perfekt.
Die jungen Turmfalken lassen sich den Flaum vom Wind wegtragen und versuchen neue Anflugtechniken an ihr Nest.
50 Jahre nach der umwälzenden Renovierung der Liebfrauenkirche steht in diesem Jahr eine Sanierung im Kircheninnern und des Dachtragewerks an. Zu Beginn dieses Jahres entwickelte sich das Innere des Gernsbacher Gotteshauses zu einer Großbaustelle. Die Maßnahmen sehen nicht nur einen kompletten Anstrich der Wände und des Gewölbes vor. Vielmehr sind wesentliche Reparaturen im Dachtragwerk notwendig: Zimmerleute und Steinmetze sind seit Wochen mit den Ausbesserungen in der Dachkonstruktion beschäftigt.
Seit Mitte Januar 2020 die Kirche für Gottesdienste und Besucher gesperrt. Abgesehen von den Unregelmäßigkeiten durch die Corona-Krise weichen die Gemeindemitglieder seit Jahresbeginn auf die umliegenden Kirchen der Seelsorgeeinheit aus. Außerdem finden in Abstimmung mit der evangelischen St. Jakobsgemeinde katholische Gottesdienste in der St. Jakobskirche statt.
Insgesamt sind 18 Firmen in der Renovierung eingebunden, dabei handelt es sich um Handwerker vor Ort, aber auch Spezialfirmen von Heidelberg über Karlsruhe bis Triberg. Bauherr Dekan Josef Rösch hat mit die überwachenden und koordinierenden Arbeiten an Architekt Bernd Wörner, Langenbrand, übertragen. Sie können auf ein erfahrenes Team zurückgreifen, da erst vor wenigen Jahren eine umfassende Innenrenovierung der Obertsroter Kirche Herz Jesu erfolgte. Die Entscheidungen erfolgen In enger Zusammenarbeit mit Architekt Hartmut Herold vom erzbischöflichen Bauamt.
Die geplante Renovierung sollte zum Ende des Sommers abgeschlossen werden. Bisher verlaufen die Arbeiten nach Plan. Die Bauhandwerker waren durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie wenig beeinträchtigt. Sie konnten im dem weitläufigen Dach und Kreuzgewölben ungehindert arbeiten. Schwieriger waren allerdings die Absprachen mit Architekt und Behörden. Denn da waren Reisebeschränkungen für eine unkomplizierte Kommunikation hinderlich.
Gigantisches Gerüst
Den Auftakt für die Renovierungsarbeiten gestalteten die Gerüstbauer. Bevor das mehrere hundert Meter lange und 14 Meter hohe Gerüst montiert wurden, wurden Orgel, Altar und die Glasfenster sorgfältig geschützt. In knapp vier Wochen wurde das gesamte Kircheninnere mit einem imposanten Arbeitsgerüst gefüllt. Auf sechs Gerüst-Etagen sind nun alle Bereiche des Kircheninneren zugänglich. Die Gemeindemitglieder konnten sich in einer Baustellen-Besichtigung Mitte Juni ein Bild von dem gigantischen Gerüst machen. Letztlich musste noch ein zusätzliches Außengerüst angebracht werden, damit die Holzlieferungen über das Dach erfolgen konnten.
Risse im Wandmauerwerk Seit langem laufen die Planungen der Dachtragwerkssanierung. Über Monate hinweg wurden die Rissbildungen im Wandmauerwerk beobachtet. Die Kirchenbesucher konnten die Messpunkte im Kircheninnern deutlich erkennen. Das Büro für Baukonstruktion, Karlsruhe, legte danach ein detailliertes Gutachten über den statisch-konstruktiven Zustand des Dachtragwerks der Liebfrauenkirche vor und listete nicht nur die Befunde auf, sondern formulierte auch die Instandsetzungsempfehlungen. Ziel ist es nach Abschluss der Arbeiten, die ungünstige Lastabtragung des Dachtragwerks auf die Außenmauern zu beseitigen und neue Sicherheiten im Traggefüge zu schaffen.
Zimmerleute sind gefragt Nach den Gerüstbauern folgten sogleich die Zimmerleute, die seit März mit dem Austausch der morschen Balken und Kanthölzer, beschäftigt sind. Erst im Verlauf der Arbeiten stellten die Zimmerer die tatsächlichen Schäden im Gebälk fest. Dabei stellten sie Unterschiede zwischen dem alten Teil der Kirche aus dem 14. Jahrhundert und der Erweiterung des Kirchenschiffes aus dem 19. Jahrhundert fest. Doch bevor sie das Auswechseln der schadhaften Balken vornehmen konnten, mussten sie zuerst Stege bauen, um die außenliegenden Stellen zu erreichen.
Zimmerermeister Dominik Schneider mit den beiden Mitarbeiter von Zimmerei Markus Fetzer, Gaggenau, mussten alle Register der Zimmermannskunst ziehen, um die diffizilen Arbeiten im Gebälk durchzuführen. Blattverbindungen mussten repariert und Mängel an den Sparrenfußpunkten beseitigt werden. Mauerschwellen, die zur Verteilung der Lasten entlang der Mauerkrone dienen, wurden zum Teil erneuert. Balkenköpfe mussten neu eingebaut und mittels Schrägverschraubung gesichert werden. Dabei mussten die Handwerker hoch oben in dem dreistöckigen Dachgeschoss so manche knifflige Situation lösen.
Unvorhergesehenes für Steinmetze Die geplanten Steinmetzarbeiten konnten bereits Mitte Mai abgeschlossen werden. Sie umfassten die Aufbereitung der Risse im Mauerwerk, damit diese denkmalgerecht geschlossen werden können. Dies war eine staubintensive Arbeit, die von Steinmetzbetrieb Bernhard Binder, Gaggenau, ausgeführt wurden. Die statischen und baulich bedingten Risse wurden bis auf das Mauerwerk geöffnet. Dabei drangen die Steinmetze in den Unterbau des Mauerwerks vor und konnten gut den Unterschied der alten Kirche aus dem 14. Jahrhundert zu dem im 19. Jahrhundert erfolgten Erweiterungsbau ablesen. Wurden im alten Teil unterschiedliche Bruchsteine verwandt, so finden sich im Anbau viele Ziegelstücke und Backsteine.
Unvorhergesehene Arbeiten fielen im Gewölbe des Kircheninneren an. Der erste Schrecken, nachdem die Gefahr des Absenkens des Gewölbes festgestellt wurde, legte sich nach der genauen Schadensanalyse. Allerdings musste das Steinmetzunternehmen in die Schatzkiste ihres Fachwissens greifen. Die sandsteinernen Gewölberippen wurden durch Metallgewindestangen nach oben hin gesichert. Dazu wurden die Gewölberippen aufgebohrt, die Gewindestangen eingefügt und mit einer Mutter gegen eine Metallplatte auf dem gemauerten Gewölbe verschraubt. Auf dem Gewölbe wurden Platten einbetoniert, um die Last gleichmäßig zu verteilen. Somit wurden sie gegeneinander verbunden und die Festigkeit wieder hergestellt. Besondere Aufmerksamkeit ließen die Steinmetze beim Kürzen der überstehenden Gewindestangen walten: sie wurden mit Hydraulikdruck abgequetscht, ein Flexen wäre wegen des Funkenflugs zu gefährlich gewesen.
Gewerke im Kostenrahmen
Die Sanierung ist mit einem Kostenrahmen von 910.000 Euro angesetzt. Die Erzdiözese trägt 230.000 Euro der Kosten, eine Kreditaufnahme von 300.000 Euro ist genehmigt. Den Rest muss die Kirchengemeinde aufbringen. Dabei ist man auch auf Spenden angewiesen. Nur die dafür angedachten Aktionen wurden durch die Corona-Krise gebremst. Geplante Baustellenführungen mussten ebenso ad acta gelegt werden. Bislang gab es nur wenige unvorhergesehene Verzögerungen oder Kostenveränderungen.
Eigenleistungen der Gemeinde sind nur in geringem Maße möglich. Lediglich bei den vorbereitenden Arbeiten wurden die Gemeindemitglieder aktiv. Das Ausräumen der Kirche gehörte dazu. Dank der Gerüsttechnik mussten die Bänke nicht entfernt werden, es genügte ein Abdecken der Bänke, um sie vor Baustaub und Malerarbeiten zu schützen.
Neue Lichtgestaltung
Eine wesentliche Veränderung, die nach der Renovierung den Kirchenbesuchern auffallen wird, betrifft die Lichtgestaltung in der Kirche. Der Altarbereich, aber auch die Eingangsbereiche wie die markanten Punkte der Kirche werden mit neuen Leuchten besser ausgeleuchtet. Dabei werden die bisher bestehenden Elemente beibehalten, allerdings durch moderne Leuchtkörper und energiesparendere Varianten ersetzt. Die Umstellung ist auf LED-Leuchten und Programmierung von Licht-Szenarien geplant.
Außerdem wird die gesamte Verkabelung erneuert. Allein im Kirchenschiff wurden dazu über 800 Meter neue Kabel verlegt. Die alten Kabel wurden aus Sicherheitsgründen weitestgehend entfernt und zusätzliche Brandschutzeinrichtungen installiert. Gleich zu Beginn der Renovierung wurden die Schlitze für Kabel gefräst und werden nach dem Verputzen nicht mehr erkannt werden.
Malerarbeiten zum Schluss Die letzten Arbeiten werden durch die Maler ausgeführt. Insgesamt 1940 Quadratmeter Wandfläche müssen gereinigt und die neue Farbe aufgetragen werden. Feine Risse haben sich im Laufe der vergangenen 50 Jahren im Gewölbe gebildet. In diesem feinen Rissnetz hat sich Schmutz einlagert, was die Risse optisch stärker hervortreten lässt. Mit Unterstützung von Restauratoren wird nun in einem Trocken-Reinigungsverfahren diese optische Beeinträchtigung behoben. Dank des sechs-stöckigen Gerüstes werden die Maler selbst die entlegensten Winkel der Gewölbedecke erreichen.
Arbeitskreis Renovation gebildet
Der Arbeitskreis Renovation der Liebfrauenkirche musste sich in den Corona-Zeiten besonderen Herausforderungen stellen.
Im Zuge der Sanierungsarbeiten hat sich ein Arbeitskreis Renovation in der Gernsbacher Seelsorgeeinheit gebildet. 15 Mitglieder aus der Liebfrauengemeinde trafen sich seit Beginn des Jahres, um zu einzelnen Themen Anregungen und Wünsche der Gemeinde an Architekt und Bauträger einzubringen. So wurden beispielhafte Lichtkonzepte anderer Gotteshäuser vor Ort begutachtet, wie auch Ideen für eine Umgestaltung des Seitenschiffes diskutiert. Vorschläge für eine Veränderung des Taufbereichs und eines Andachtsraums sowie einen barrierefreien Zugang zu dem Kerzenständer legte bereits im vergangenen Jahr das Gemeindeteam der Liebfrauengemeinde vor.
Waren zu Beginn des Jahres noch Treffen des Arbeitskreises möglich, so verständigte man sich seit März 2020 im E-Mail-Verkehr. Zur Präsentation des Lichtkonzepts traf sich das Gremium im Mai in der Kirche, allerdings mit den gebotenen Abstandsregeln.
Aufmerksamkeit für Fledermäuse
Für die Fledermäuse wurden besondere Vorkehrungen getroffen.
Der Terminplan der Bauarbeiten ist mit Rücksicht auf die Fledermäuse ausgerichtet. In Dachstuhl und Kirchturm findet sich seit vielen Jahren die heimische Fledermausart Graues Langohr, die als streng geschützt vom Bundesnaturschutzgesetz eingestuft wird. Für diese gelten besondere Schutzrichtlinien, die in dem Bauzeitenplan berücksichtigt wurden. Die Pfarrgemeinde hatte damit ja bereits bei der Sanierung der Klingelkapelle Erfahrung und konnte auf die gute Zusammenarbeit mit den Fledermausexperten zurückgreifen. In der Klingelkapelle wurde zwischenzeitlich dank der Vorkehrungen sogar ein Wachstum der Fledermaus-Kolonie festgestellt. In der Liebfrauenkirche betreten die Zimmerleute und Steinmetze seit April nicht mehr den Turm, der Zugang zum Dachstuhl ist nur über ein Außengerüst möglich. Zwischen Dachstuhl und Turm wurden verbesserte Durchflug- und neue Quartiermöglichkeiten für die nachtaktiven Tiere geschaffen.
Die nistenden Falken im Kirchturm ließen sich von dem umtriebigen Arbeiten der Zimmerleute und Steinmetze nicht beirren. Sie bezogen wie gewohnt zu Jahresbeginn ihren Nistkasten und ziehen ihre Jungen auf. Eine der Maßnahmen im Dachbereich der Kirche betraf auch das Entfernen der Kotspuren der Tauben. Die Verschmutzungen, die auch Holzschädlinge mit transportieren können, wurden entfernt.
Denkmalschutz großgeschrieben In enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde wurden die einzelnen Maßnahmen durchgeführt. Dabei geht es nicht nur um die adäquate Sicherung der Gewölberippen, sondern auch um die denkmalgerechte Behandlung der Gewölbe- und Sandsteinflächen wie auch der Kunstwerke.
Die historischen Heiligenfiguren und die zentrale Pieta befinden sich bereits seit Jahresanfang bereits in der Restauratorenwerkstatt. Dort werden sie gereinigt und konservatorisch behandelt.
Die früheren Renovierungen Die letzte umfangreiche Renovierung der Liebfrauenkirche liegt bereits 50 Jahre zurück. Damals wurde das komplette Kircheninnere verändert. Der hölzerne Hochaltar wurde entfernt und die alte Bemalung in dem alten Teil der Kirche wieder freigelegt, außerdem auf den „neuen“ Teil übertragen. Dabei verschwanden die im 19. Jahrhundert angebrachten Gemälde komplett. Die Bänke wurden erneuert, Kanzel und Seitenaltäre wurden abgebaut. An das völlig andere Aussehen des Kircheninnern musste sich die Gemeinde damals erst gewöhnen. Eine weitere Renovierung erfolgte 1996. Damals wurde das Dach der Kirche neu gedeckt, der Wetterhahn neu ausgerichtet und das Turmkreuz repariert.
Für die Liebfrauengemeinde geht nach den letzten Arbeiten eine lange Phase zu Ende, in denen sie nicht in ihrer gewohnten Umgebung ihren Gottesdienst feiern konnten. Noch steht ein Termin der feierlichen Eröffnung der neu renovierten Kirche nicht fest, doch sind die Verantwortlichen zuversichtlich – wenn keine unvorhergesehene Überraschungen mehr auftauchen – dass das Patrozinium am 4. Oktober 2020 schon in renovierten Liebfrauenkirche stattfinden kann.
Regina Meier
Die Fotos wurden von Werner Meier im Zeitraum zwischen Januar und Juni 2020 gemacht.