Kirchenrenovation verläuft planmäßig
50 Jahre nach der umwälzenden Renovierung der Liebfrauenkirche steht in diesem Jahr eine Sanierung im Kircheninnern und des Dachtragewerks an. Zu Beginn dieses Jahres entwickelte sich das Innere des Gernsbacher Gotteshauses zu einer Großbaustelle. Die Maßnahmen sehen nicht nur einen kompletten Anstrich der Wände und des Gewölbes vor. Vielmehr sind wesentliche Reparaturen im Dachtragwerk notwendig: Zimmerleute und Steinmetze sind seit Wochen mit den Ausbesserungen in der Dachkonstruktion beschäftigt.
Seit Mitte Januar 2020 die Kirche für Gottesdienste und Besucher gesperrt. Abgesehen von den Unregelmäßigkeiten durch die Corona-Krise weichen die Gemeindemitglieder seit Jahresbeginn auf die umliegenden Kirchen der Seelsorgeeinheit aus. Außerdem finden in Abstimmung mit der evangelischen St. Jakobsgemeinde katholische Gottesdienste in der St. Jakobskirche statt.
Insgesamt sind 18 Firmen in der Renovierung eingebunden, dabei handelt es sich um Handwerker vor Ort, aber auch Spezialfirmen von Heidelberg über Karlsruhe bis Triberg. Bauherr Dekan Josef Rösch hat mit die überwachenden und koordinierenden Arbeiten an Architekt Bernd Wörner, Langenbrand, übertragen. Sie können auf ein erfahrenes Team zurückgreifen, da erst vor wenigen Jahren eine umfassende Innenrenovierung der Obertsroter Kirche Herz Jesu erfolgte. Die Entscheidungen erfolgen In enger Zusammenarbeit mit Architekt Hartmut Herold vom erzbischöflichen Bauamt.
Die geplante Renovierung sollte zum Ende des Sommers abgeschlossen werden. Bisher verlaufen die Arbeiten nach Plan. Die Bauhandwerker waren durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie wenig beeinträchtigt. Sie konnten im dem weitläufigen Dach und Kreuzgewölben ungehindert arbeiten. Schwieriger waren allerdings die Absprachen mit Architekt und Behörden. Denn da waren Reisebeschränkungen für eine unkomplizierte Kommunikation hinderlich.
Gigantisches Gerüst
Den Auftakt für die Renovierungsarbeiten gestalteten die Gerüstbauer. Bevor das mehrere hundert Meter lange und 14 Meter hohe Gerüst montiert wurden, wurden Orgel, Altar und die Glasfenster sorgfältig geschützt. In knapp vier Wochen wurde das gesamte Kircheninnere mit einem imposanten Arbeitsgerüst gefüllt. Auf sechs Gerüst-Etagen sind nun alle Bereiche des Kircheninneren zugänglich. Die Gemeindemitglieder konnten sich in einer Baustellen-Besichtigung Mitte Juni ein Bild von dem gigantischen Gerüst machen. Letztlich musste noch ein zusätzliches Außengerüst angebracht werden, damit die Holzlieferungen über das Dach erfolgen konnten.
Risse im Wandmauerwerk
Seit langem laufen die Planungen der Dachtragwerkssanierung. Über Monate hinweg wurden die Rissbildungen im Wandmauerwerk beobachtet. Die Kirchenbesucher konnten die Messpunkte im Kircheninnern deutlich erkennen. Das Büro für Baukonstruktion, Karlsruhe, legte danach ein detailliertes Gutachten über den statisch-konstruktiven Zustand des Dachtragwerks der Liebfrauenkirche vor und listete nicht nur die Befunde auf, sondern formulierte auch die Instandsetzungsempfehlungen. Ziel ist es nach Abschluss der Arbeiten, die ungünstige Lastabtragung des Dachtragwerks auf die Außenmauern zu beseitigen und neue Sicherheiten im Traggefüge zu schaffen.
Zimmerleute sind gefragt
Nach den Gerüstbauern folgten sogleich die Zimmerleute, die seit März mit dem Austausch der morschen Balken und Kanthölzer, beschäftigt sind. Erst im Verlauf der Arbeiten stellten die Zimmerer die tatsächlichen Schäden im Gebälk fest. Dabei stellten sie Unterschiede zwischen dem alten Teil der Kirche aus dem 14. Jahrhundert und der Erweiterung des Kirchenschiffes aus dem 19. Jahrhundert fest. Doch bevor sie das Auswechseln der schadhaften Balken vornehmen konnten, mussten sie zuerst Stege bauen, um die außenliegenden Stellen zu erreichen.
Zimmerermeister Dominik Schneider mit den beiden Mitarbeiter von Zimmerei Markus Fetzer, Gaggenau, mussten alle Register der Zimmermannskunst ziehen, um die diffizilen Arbeiten im Gebälk durchzuführen. Blattverbindungen mussten repariert und Mängel an den Sparrenfußpunkten beseitigt werden. Mauerschwellen, die zur Verteilung der Lasten entlang der Mauerkrone dienen, wurden zum Teil erneuert. Balkenköpfe mussten neu eingebaut und mittels Schrägverschraubung gesichert werden. Dabei mussten die Handwerker hoch oben in dem dreistöckigen Dachgeschoss so manche knifflige Situation lösen.
Unvorhergesehenes für Steinmetze
Die geplanten Steinmetzarbeiten konnten bereits Mitte Mai abgeschlossen werden. Sie umfassten die Aufbereitung der Risse im Mauerwerk, damit diese denkmalgerecht geschlossen werden können. Dies war eine staubintensive Arbeit, die von Steinmetzbetrieb Bernhard Binder, Gaggenau, ausgeführt wurden. Die statischen und baulich bedingten Risse wurden bis auf das Mauerwerk geöffnet. Dabei drangen die Steinmetze in den Unterbau des Mauerwerks vor und konnten gut den Unterschied der alten Kirche aus dem 14. Jahrhundert zu dem im 19. Jahrhundert erfolgten Erweiterungsbau ablesen. Wurden im alten Teil unterschiedliche Bruchsteine verwandt, so finden sich im Anbau viele Ziegelstücke und Backsteine.
Unvorhergesehene Arbeiten fielen im Gewölbe des Kircheninneren an. Der erste Schrecken, nachdem die Gefahr des Absenkens des Gewölbes festgestellt wurde, legte sich nach der genauen Schadensanalyse. Allerdings musste das Steinmetzunternehmen in die Schatzkiste ihres Fachwissens greifen. Die sandsteinernen Gewölberippen wurden durch Metallgewindestangen nach oben hin gesichert. Dazu wurden die Gewölberippen aufgebohrt, die Gewindestangen eingefügt und mit einer Mutter gegen eine Metallplatte auf dem gemauerten Gewölbe verschraubt.
Auf dem Gewölbe wurden Platten einbetoniert, um die Last gleichmäßig zu verteilen. Somit wurden sie gegeneinander verbunden und die Festigkeit wieder hergestellt. Besondere Aufmerksamkeit ließen die Steinmetze beim Kürzen der überstehenden Gewindestangen walten: sie wurden mit Hydraulikdruck abgequetscht, ein Flexen wäre wegen des Funkenflugs zu gefährlich gewesen.
Gewerke im Kostenrahmen
Die Sanierung ist mit einem Kostenrahmen von 910.000 Euro angesetzt. Die Erzdiözese trägt 230.000 Euro der Kosten, eine Kreditaufnahme von 300.000 Euro ist genehmigt. Den Rest muss die Kirchengemeinde aufbringen. Dabei ist man auch auf Spenden angewiesen. Nur die dafür angedachten Aktionen wurden durch die Corona-Krise gebremst. Geplante Baustellenführungen mussten ebenso ad acta gelegt werden. Bislang gab es nur wenige unvorhergesehene Verzögerungen oder Kostenveränderungen.
Eigenleistungen der Gemeinde sind nur in geringem Maße möglich. Lediglich bei den vorbereitenden Arbeiten wurden die Gemeindemitglieder aktiv. Das Ausräumen der Kirche gehörte dazu. Dank der Gerüsttechnik mussten die Bänke nicht entfernt werden, es genügte ein Abdecken der Bänke, um sie vor Baustaub und Malerarbeiten zu schützen.
Neue Lichtgestaltung
Eine wesentliche Veränderung, die nach der Renovierung den Kirchenbesuchern auffallen wird, betrifft die Lichtgestaltung in der Kirche. Der Altarbereich, aber auch die Eingangsbereiche wie die markanten Punkte der Kirche werden mit neuen Leuchten besser ausgeleuchtet. Dabei werden die bisher bestehenden Elemente beibehalten, allerdings durch moderne Leuchtkörper und energiesparendere Varianten ersetzt. Die Umstellung ist auf LED-Leuchten und Programmierung von Licht-Szenarien geplant.
Außerdem wird die gesamte Verkabelung erneuert. Allein im Kirchenschiff wurden dazu über 800 Meter neue Kabel verlegt. Die alten Kabel wurden aus Sicherheitsgründen weitestgehend entfernt und zusätzliche Brandschutzeinrichtungen installiert. Gleich zu Beginn der Renovierung wurden die Schlitze für Kabel gefräst und werden nach dem Verputzen nicht mehr erkannt werden.
Malerarbeiten zum Schluss
Die letzten Arbeiten werden durch die Maler ausgeführt. Insgesamt 1940 Quadratmeter Wandfläche müssen gereinigt und die neue Farbe aufgetragen werden. Feine Risse haben sich im Laufe der vergangenen 50 Jahren im Gewölbe gebildet. In diesem feinen Rissnetz hat sich Schmutz einlagert, was die Risse optisch stärker hervortreten lässt. Mit Unterstützung von Restauratoren wird nun in einem Trocken-Reinigungsverfahren diese optische Beeinträchtigung behoben. Dank des sechs-stöckigen Gerüstes werden die Maler selbst die entlegensten Winkel der Gewölbedecke erreichen.
Arbeitskreis Renovation gebildet
Im Zuge der Sanierungsarbeiten hat sich ein Arbeitskreis Renovation in der Gernsbacher Seelsorgeeinheit gebildet. 15 Mitglieder aus der Liebfrauengemeinde trafen sich seit Beginn des Jahres, um zu einzelnen Themen Anregungen und Wünsche der Gemeinde an Architekt und Bauträger einzubringen. So wurden beispielhafte Lichtkonzepte anderer Gotteshäuser vor Ort begutachtet, wie auch Ideen für eine Umgestaltung des Seitenschiffes diskutiert. Vorschläge für eine Veränderung des Taufbereichs und eines Andachtsraums sowie einen barrierefreien Zugang zu dem Kerzenständer legte bereits im vergangenen Jahr das Gemeindeteam der Liebfrauengemeinde vor.
Waren zu Beginn des Jahres noch Treffen des Arbeitskreises möglich, so verständigte man sich seit März 2020 im E-Mail-Verkehr. Zur Präsentation des Lichtkonzepts traf sich das Gremium im Mai in der Kirche, allerdings mit den gebotenen Abstandsregeln.
Aufmerksamkeit für Fledermäuse
Der Terminplan der Bauarbeiten ist mit Rücksicht auf die Fledermäuse ausgerichtet. In Dachstuhl und Kirchturm findet sich seit vielen Jahren die heimische Fledermausart Graues Langohr, die als streng geschützt vom Bundesnaturschutzgesetz eingestuft wird. Für diese gelten besondere Schutzrichtlinien, die in dem Bauzeitenplan berücksichtigt wurden. Die Pfarrgemeinde hatte damit ja bereits bei der Sanierung der Klingelkapelle Erfahrung und konnte auf die gute Zusammenarbeit mit den Fledermausexperten zurückgreifen. In der Klingelkapelle wurde zwischenzeitlich dank der Vorkehrungen sogar ein Wachstum der Fledermaus-Kolonie festgestellt. In der Liebfrauenkirche betreten die Zimmerleute und Steinmetze seit April nicht mehr den Turm, der Zugang zum Dachstuhl ist nur über ein Außengerüst möglich. Zwischen Dachstuhl und Turm wurden verbesserte Durchflug- und neue Quartiermöglichkeiten für die nachtaktiven Tiere geschaffen.
Die nistenden Falken im Kirchturm ließen sich von dem umtriebigen Arbeiten der Zimmerleute und Steinmetze nicht beirren. Sie bezogen wie gewohnt zu Jahresbeginn ihren Nistkasten und ziehen ihre Jungen auf. Eine der Maßnahmen im Dachbereich der Kirche betraf auch das Entfernen der Kotspuren der Tauben. Die Verschmutzungen, die auch Holzschädlinge mit transportieren können, wurden entfernt.
Denkmalschutz großgeschrieben
In enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde wurden die einzelnen Maßnahmen durchgeführt. Dabei geht es nicht nur um die adäquate Sicherung der Gewölberippen, sondern auch um die denkmalgerechte Behandlung der Gewölbe- und Sandsteinflächen wie auch der Kunstwerke.
Die historischen Heiligenfiguren und die zentrale Pieta befinden sich bereits seit Jahresanfang bereits in der Restauratorenwerkstatt. Dort werden sie gereinigt und konservatorisch behandelt.
Die früheren Renovierungen
Die letzte umfangreiche Renovierung der Liebfrauenkirche liegt bereits 50 Jahre zurück. Damals wurde das komplette Kircheninnere verändert. Der hölzerne Hochaltar wurde entfernt und die alte Bemalung in dem alten Teil der Kirche wieder freigelegt, außerdem auf den „neuen“ Teil übertragen. Dabei verschwanden die im 19. Jahrhundert angebrachten Gemälde komplett. Die Bänke wurden erneuert, Kanzel und Seitenaltäre wurden abgebaut. An das völlig andere Aussehen des Kircheninnern musste sich die Gemeinde damals erst gewöhnen. Eine weitere Renovierung erfolgte 1996. Damals wurde das Dach der Kirche neu gedeckt, der Wetterhahn neu ausgerichtet und das Turmkreuz repariert.
Für die Liebfrauengemeinde geht nach den letzten Arbeiten eine lange Phase zu Ende, in denen sie nicht in ihrer gewohnten Umgebung ihren Gottesdienst feiern konnten. Noch steht ein Termin der feierlichen Eröffnung der neu renovierten Kirche nicht fest, doch sind die Verantwortlichen zuversichtlich – wenn keine unvorhergesehene Überraschungen mehr auftauchen – dass das Patrozinium am 4. Oktober 2020 schon in renovierten Liebfrauenkirche stattfinden kann.
Regina Meier
Die Fotos wurden von Werner Meier im Zeitraum zwischen Januar und Juni 2020 gemacht.
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 2/2020 im Casimir Katz Verlag am 30. Juni 2020