Vor 80 Jahren endet das jüdische Leben in Gernsbach. Mit dem Abtransport der letzten verbliebenen jüdischen Bürger nach Gurs findet die Ausgrenzung und Auslöschung des jüdischen Lebens durch die Nationalsozialisten in Gernsbach ihren Schlusspunkt. Neun Gernsbacher werden ultimativ von der Gestapo an dem Morgen des 22. Oktober 1940 aufgefordert, ihre Koffer zu packen und sich zum Abtransport an der Stadtbrücke einzufinden.
Die Gestapo klopft an die Tür in der Bleichstraße 2 bei Hermann Nachmann, in der Bleichstraße 4 müssen sich Arthur und Erna Kahn sowie deren Schwester Hilda Dreyfuß und die beiden Töchter Lieselotte und Margarethe fertigmachen, und in der Bleichstraße 14 haben Eugen Lorsch und seinem Sohn Heinz sowie die Hausgehilfin Bertha Marx keine Wahl, dieser Anordnung zu folgen. Die Aktion findet am Morgen des letzten Tages des Laubhüttenfestes, Sukkoth, statt, einer der traditionellen Festtage der Juden, die im Kreis der Familien gefeiert werden. Die Einsatzkommandos können also davon ausgehen, dass sie in allen jüdischen Haushalten die Familienmitglieder antreffen. Innerhalb einer Stunde sollen sie sich reisefertig machen, ins Handgepäck dürfen lediglich Verpflegung für ein paar Tage, eine Wolldecke, Ess- und Trinkgeschirr und pro Person 100 Reichsmark mitgenommen werden. Von Gernsbach werden die sie mit einem Lastwagen nach Rastatt abtransportiert, dort geht es mit dem Zug in das südwestliche Frankreich, nach Gurs, einem Lager am Fuße der Pyrenäen, weiter. Über 6.000 jüdische Bürger aus Baden, Rheinland-Pfalz und dem Saarland werden im Oktober 1940 von den Nationalsozialisten in das Lager Gurs deportiert.
Unvorstellbare Lagerbedingungen
Viele der Deportierten sterben dort oder in weiteren Lagern. Die Baracken verfügen weder über sanitäre Einrichtungen noch Trennwände oder verglaste Fenster. Kälte und Hunger bestimmen den Tagesablauf. Erschütternde Zeugnisse über die Situation in dem Lager sind durch einen Brief des Gernsbachers Arthur Kahn überliefert. Er schreibt an das Bürgermeisteramt und bittet um die Übersendung von Kleidern, Schlafdecken und Handtücher: „Für alles wollen wir gerne aufkommen, wir befinden uns hier mit meinen kleinen Kindern wirklich in der größten Not, so möchte ich nochmals bitten, die Zusendung auf dem bestmöglichsten, schnellsten Wege erfolgen zu lassen, ohne Rücksicht nehmen zu wollen auf die Höhe der Unkosten. Für ihre Mühe danke ich im voraus, auch im Namen meiner Frau, Schwägerin und Kinder.“ Unterschrieben mit „Arthur Kahn, einst: Gernsbach, Bleichstraße 4“.
Arthur Kahn stirbt bald darauf, noch im Jahr 1941, 54 Jahre alt, in Rivesaltes, seine Frau Erna Kahn und ihre Schwester Hilde sowie Bertha Marx werden aus Gurs in ein Vernichtungslager, wahrscheinlich Auschwitz, transportiert und 1942 umgebracht. Die Kinder Margarethe und Lieselotte Kahn werden von der Hilfsorganisation OSE (Oeuvre de Secours aux Enfants) gerettet. Die OSE betreibt selbst einige Kinderheime in der unbesetzten Zone, sucht Angehörige der Kinder im Ausland und verhilft ihnen zur Ausreise. So gelangen die beiden Kahn-Töchter zu Verwandten in den USA. Der Jugendliche Heinz Lorsch, im Jahr der Deportation 15 Jahre alt, flieht und schließt sich der französischen Resistance an. Sein Vater Eugen Lorsch stirbt 1941 in Gurs.
Heute ist vom ehemaligen Lager Gurs nicht mehr viel übrig. Man betritt das Gelände über ein Mahnmal, das genau an der gegenüberliegenden Seite des damaligen Eingangs liegt und mit der zwei Kilometer langen Lagerstraße verbunden ist. 1963 wurde der Friedhof restauriert. Die 1.073 identischen Gräber stehen um das Mahnmal die für die jüdischen Opfer aus Gurs. Eine Arbeitsgemeinschaft badischer Städte sich für die Pflege des Friedhofs ein.
Wie konnte es soweit kommen?
Mit dem Tag der Machtübernahme Hitlers verändert sich das Zusammenleben der jüdischen Mitbürger und ihren Nachbarn von Grund auf. Seit Generationen gewachsene Gemeinsamkeiten werden zerstört, und die Diskriminierung der jüdischen Bürger wird Schritt für Schritt umgesetzt. Die Juden werden aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt: 1935 wird eine Judenkartei angelegt, die sämtliche Mitbürger jüdischen Glaubens auflistet, verdächtige Personen werden überwacht. „Kauft nicht bei Juden“ ist auch in den Geschäften jüdischer Kaufleute in Bleich- und Igelbachstraße und auf dem Marktplatz zu lesen, die Gewerbe- und Führerscheine müssen abgegeben werden. Den Menschen wird die Existenzgrundlage entzogen.
Anfänglich vollzieht sich die Ausgrenzung der Juden fast schleichend für viele unsichtbar und unbemerkt. Doch immer mehr wird die Unmenschlichkeit offenbar: so müssen nach der Reichspogromnacht alle jüdischen Kinder Gernsbachs die Schule verlassen.
Wertvolle Erinnerungsarbeit
Zum Jahrestag der Deportation am 22. Oktober wird seit 20 Jahren wertvolle Erinnerungsarbeit an die letzten jüdischen Mitbürger in Gernsbach praktiziert. Den Anstoß dazu gab der Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach. Die damaligen Mitwirkenden gestalteten einen würdigen Rahmen für die Enthüllung des Gedenksteins zur Erinnerung an die jüdischen Bürger Gernsbachs an der Stadtbrücke im Jahr 2000.
Es folgte 2008 ein weiterer Gedenkstein in einem ökumenischen Projekt von den Konfirmanden und Firmanden. Sie gestalteten mit der Steinmetzin einen Stein, dessen Zwilling in Neckarzimmern steht. Er zeigt ein Floß aus Baumstämmen, mit Flößerhaken zusammengehalten, doch links greifen die Haken ins Leere, dort ist der Stamm der jüdischen Mitbürger weggerissen, ein Verlust, der unwiederbringlich ist.
In den vergangenen Jahren gestalten jeweils verschiedene Gruppen die jeweilige Gedenkfeier unter Leitung des Arbeitskreises Stadtgeschichte mit. Regelmäßige Teilnehmer sind Vertreter der christlichen Kirchen, der politischen Gemeinde und verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Auch von Seiten der Schulen ist jeweils eine Schülergruppe eingebunden, die sich mit Textbeiträgen, aber auch Malereien, verzierten Kerzen oder Szenenspiel einbringt. Besonderes Gewicht erhält diese Gedenkfeier, da seit einigen Jahren Nachfahren der einstigen Deportierten die Feier besuchen. Der Teilnahme von zahlreichen Gernsbachern an der Gedenkfeier zeigt, wie wichtig den Bürgern die Erinnerung an die Opfer der einstigen Verfolgung und Diskriminierung durch die Nationalsozialisten ist.
Auch in diesem Jahr wird wieder zur 80. Wiederkehr der Deportation eine Gedenkfeier am 22. Oktober stattfinden. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation wird der Ablauf kurz zuvor in der Tagespresse und den sozialen Netzwerken bekannt gegeben.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2020 im Casimir Katz Verlag am 15. September 2020
Wenn in diesen Tagen die Kinder in die Kinderkrippe in die Jahnstraße 7 einziehen, beginnt ein neuer Abschnitt in der über 80-jährigen Geschichte des Hauses.
Auf den ersten Blick sieht man diesem adretten Haus nicht an, dass es ein Stück Gernsbacher Wirtschaftsgeschichte verkörpert. Errichtet wurde es 1936 – und zwar als Musterhaus der Firma Katz & Klumpp. Dieses Haus ist eines der Musterhäuser der Fertighausabteilung des einstigen Unternehmens in der Bleichstraße.
Bereits nach dem Ersten Weltkrieg fertigte Katz & Klumpp Gewächshäuser auf dem Areal in der Bleichstraße. Daraus entstand eine eigene Abteilung: die Holzbauabteilung, kurz Hoba genannt. Der damalige Unternehmensleiter Helmuth Katz (1891-1969) hat nach dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise die Holzverarbeitung um ein neues Geschäftsfeld erweitert.
Er hatte auf seinen Reisen durch Schweden die Fertigung von Fertighäusern gesehen. Zuerst lief das Geschäft langsam an, zuerst wurden Holzbaracken hergestellt. Nachdem die anfänglichen Probleme überwunden waren – denn in Deutschland war diese Art zu bauen, noch unbekannt: die Versicherungen machten Schwierigkeiten, die Banken waren nicht bereit, diese Häuser mit Hypotheken zu beleihen – lief die Produktion auf vollen Touren.
Anfangs der dreißiger Jahre waren es 20 bis 30 Häuser pro Monat. Die Herstellung der Häuser war sehr lohnintensiv. Das bedeutete, dass in Gernsbach bis zu 450 Arbeitskräfte damit beschäftigt waren.
Das Schnittholz dazu wurde in den Sägewerken von Katz & Klumpp in Weisenbach und Gernsbach geschnitten, es wurde aber auch Holz aus benachbarten Sägewerken zugekauft. Im Gernsbacher Hobelwerk – die Holzhalle, die in diesem Frühjahr auf dem Pfleiderer Areal abgerissen wurde – standen große Hobelmaschinen und eine Schreinerei. In der Montagehalle wurden die einzelnen Elemente im Akkord zusammengefügt. Schon damals erkannte man, dass eine konsequente Normierung eine wesentliche Bedingung für die kostengünstige Fertigung darstellt.
Nach Kriegsende beschlagnahmten die Franzosen erst mal die Produktion in Gernsbach. Die Holzbauabteilung wurde von Nona Mayer-Katz übernommen. Ihre guten Französisch-Kenntnisse und die guten Beziehungen zur Besatzungsmacht machte die Abwicklung dieser Reparationspflichten um vieles einfacher. Es wurden Holzhäuser für den Wiederaufbau in Frankreich gefertigt. Dies hatte oberste Priorität. Und die Zahl der Beschäftigten wuchs auf 600. Etwa 50 Häuser wurden monatlich nach Frankreich geliefert.
Allerdings erfuhr diese Ausfuhr von Fertighäusern nach der Währungsreform 1948 einen radikalen Einschnitt. „Von heute auf morgen gab es kein Geschäft mit Holzhäusern mehr“, hielt Dr. Casimir Katz in seinen Erinnerungen „Der Kampf um die Firma“ fest. Die plötzliche Auftragseinbruch brachte auch eine kuriose Situation mit sich. Die letzte Bestellung der Franzosen lautete über 150 Häuser, von denen man bereits einige Teile gefertigt hatte. „Nun saß man mit 137 fertigen rechten Giebeln, aber keinem linken Giebel da“, geht es in den Erinnerungen weiter. In den nächsten Jahren konnten diese auch nicht mehr verarbeitet werden, weil in Deutschland niemand Geld hatte, sich ein solches Haus zu leisten. Zwei der Häuser wurden noch errichtet: beide stehen heute noch in Gernsbach, eines davon steht in der Austraße, das Modell Typ Gernsbach I steht in der Friedrichstraße.
Ein rares Dokument der letzten Phase der Hoba-Abteilung findet sich im Hauptstaatsarchiv in Freiburg. Dort ist festgehalten, dass sich im Jahr 1950 die Fa. Katz & Klumpp darum beworben hatte, Holzhäuser für den Vatikan zu liefern. Doch dieser Auftrag kam nicht mehr zustande.
1954 erfolgte die Auflösung der Hoba-Abteilung. Das bedeutete das Aus nicht nur für einen zukunftsträchtigen Fertigungsbereich, sondern auch für viele Beschäftigte. Die Arbeitskräfte wechselten zur Bierglasuntersetzerfabrik nach Weisenbach oder zu Daimler-Benz. Die Pläne, die Holzbau-Abteilung in eine Wohnbau-Abteilung großen Stils umzurüsten, wurden nicht weiter verfolgt. Der Plan hatte vorgesehen, der Holzabteilung ein Betonwerk und eine Abrichterei von Metallbestandteilen anzugliedern. Doch diese Pläne wurden nicht umgesetzt: 1954 wurde die Fertigungsstätte der Hoba zum Betonschwellenwerk umgebaut.
Lange Tradition als Wohnhaus
Das Haus in der Jahnstraße 7 wurde von Katz & Klumpp als Wohnhaus gebaut. Ende der dreißiger Jahre wohnte darin der Sohn des Prokuristen und Oberbuchhalter Gustav Abel sen. mit seiner Frau Gogi. Damals hieß die Adresse noch Gartenstraße 7. Erst 1952 wurde auf Antrag des Turnvereins Gernsbach die Umbenennung in Jahnstraße vollzogen. Gleichzeitig wurde die Genehmigung erteilt, ein Jahn-Denkmal an dem damaligen Progymnasium zu errichten.
Die Kriegsereignisse schrieben die Geschichte des Hauses weiter: Gustav Abel jun. war als Dolmetscher in der Wehrmacht eingesetzt und konnte die Familie seiner Frau, die aus Düren stammte, vor den Bombardements des Ruhrgebiets retten. Sie fanden Zuflucht in dem Haus am Bachgarten. Nach Kriegsende beschlagnahmten die Franzosen das schmucke Haus, erst 1957 wurde es wieder freigegeben.
Die Stadt Gernsbach, die seit 1963 Eigentümer des Hauses ist, hat dieses Haus zu Wohnzwecken vermietet. In den letzten Jahren wurde es als Anschlussunterkunft für Flüchtlingsfamilien genutzt. Einen prominenten Mieter hatte das Haus gleich zu Beginn der städtischen Ära in dem Haus: der katholische Pfarrer Heinz Marbach, der als junger Pfarrer 1964 nach Gernsbach kam, war kurz danach obdachlos, da ein Brand das Pfarrhaus vernichtet hatte und er erst mal eine Bleibe suchen musste. So zog er zum 1. Februar 1965 in das Haus ein, das nicht weit zu der Liebfrauenkirche liegt, und fand dort bis zur Fertigstellung des neuen Pfarrhauses sein Zuhause.
Nach der Sanierung des Hauses 2020 erstrahlt das Gebäude in neuer Pracht und sieht einer lebendigen Zukunft entgegen. Dank der umfassenden Renovierung der Innenräume, den Einbau einer Fluchttreppe, einer energetischen Sanierung und eines neuen Daches wurde ein modernes Heim für die neue Kinderkrippe geschaffen. Träger der Einrichtung ist die Spielwiese gGmbH. Die Gesellschaft, mit Sitz in Baden-Baden, unterhält weitere Einrichtungen in Gaggenau, Muggensturm und Rastatt. Dazu gehört auch der Waldkindergarten Gernsbach im ehemaligen Naturfreundehaus unter Leitung von Florian Kreuzer. Mit der Einrichtung kommt die Stadt Gernsbach dem Ziel, ausreichend Kinderkrippenplätze anzubieten, einen Schritt näher.
Gleichzeitig wird auch ein Relikt Gernsbacher Industriegeschichte vor dem Verschwinden bewahrt.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2020 im Casimir Katz Verlag am 15. September 2020
Die Stadtführung „Auf dem Sabbatweg“ am Sonntag, 06. September 2020, führt zu den Orten des einstigen jüdischen Lebens in Gernsbach.
Der Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach hat mit Unterstützung des Kulturamtes und des Stadtarchivs der Stadt Gernsbach diesen „Sabbatweg“ vorbereitet. Damit soll der einstige Gang der Familien jüdischen Glaubens aus ihren Wohnungen zur Synagoge in der Austraße nachempfunden werden. So soll die Geschichte der Gernsbacher jüdischen Glaubens, die einst in Gernsbach ihre Lebensmitte hatten, erfahrbar gemacht und vor dem Vergessen bewahrt werden.
Die Führung wird jährlich am europäischen Tag der jüdischen Kultur durchgeführt. In diesem Jahr kann der Arbeitskreis Stadtgeschichte wieder ein weiteres Detail der jüdischen Vergangenheit Gernsbachs präsentieren. Mit einem bisher unveröffentlichten Foto aus dem Jahr 1914 von Hermann Nachmann, dem letzten Synagogenvorsteher Gernsbachs, in seinem Verkaufsraum in der Bleichstraße wird ein rares Zeugnis der reichen Vergangenheit jüdischer Geschäfte präsentiert.
Treffpunkt: Kornhaus Gernsbach, Hauptstraße 32.
Dauer: ca. 1,5 Stunden. Teilnahme kostenlos.
Passend gibt es eine Broschüre zu dem Rundgang „Der Sabbatweg von Gernsbach“, erhältlich in der Tourist-Info Gernsbach. Preis: 5,- Euro
Die Broschüre kann auch bestellt werden per E-Mail an service@verlag-am-mauergarten.de
Einen neuen Anfang wagen
Wie reagiert man, wenn plötzlich alles weg ist: Haus, Hof, Erinnerungen in Räumen, Bilder, Möbel. Die Vorstellung ist schmerzhaft.
Das Großfeuer, von dem Mitte August 2020 Teile Kaliforniens heimgesucht wurden, betrifft auch die Region Santa Cruz. Ausgelöst durch Blitzeinschläge breitete es sich aufgrund der großen Trockenheit rasant aus. In dem Landstrich, in dem auch unsere Freunde wohnen, standen fast 200 Quadratkilometer unter Feuer, auch die Ansiedlungen im Bereich Pescadero mussten evakuiert werden. Darunter der White House Canyon. Die CZU Lightning Complex Fires (benannt nach der Region San Mateo-Santa Cruz Unit) konnten tagelang nicht unter Kontrolle gebracht werden – trotz immensen Einsatzes der Feuerwehr. Vier Tage später waren in der Region 163 Wohnhäuser und andere Gebäude abgebrannt. Und dann die traurige Nachricht, als unsere Freunde wieder zu ihren Häusern in White House Canyon fahren konnten: alles zerstört!
Der Schock sitzt tief.
Man ist man erst mal froh, dass Leib und Leben, Hund, Pferd, Ziegen, Kühe, Katzen, alles, was auf der Farm lebendig war, sich retten konnte. Doch alle Besitztümer sind zerstört: dort, wo einst das Haus stand, mit allem was dazugehört, von der Küche bis zur Wohncouch, vom Schlafzimmer bis zum Bücherregal – ist eine undefinierbare Masse von Metall, Asche und bizarren Formen. Alles wurde ein Opfer der Flammen. Unwiederbringlich: die große Kiste mit den alten Fotos, die nun nie in ein Fotoalbum eingeklebt werden können. So viele Erinnerungen. Der Küchentisch, an dem so viele Gäste saßen, die Terrasse, auf der so viele Feste gefeiert wurden. Die Gedanken gehen wirr durcheinander. Was tun? Wie weiterleben?
Da ist es verständlich, dass eine der ersten Reaktionen von Christine war: „I never want to have belongings again. Let’s stay in a yurt.“
Es drückt allerdings auch aus, dass ein Neu-Anfang gewagt wird. Wann, das ist nicht klar. Wie, weiß keiner. Aber dass er unternommen wird, schwingt schon in der kurzen Aussage mit. Nur Mut! Es werden viele dabei helfen. Freunde, Nachbarn, Familie. Und bis es soweit ist, werden sie in Zelten und Mobile Homes nächtigen – und zusammensitzen: wie in einer Jurte.
Die Feuerwehr dort hat eine unglaubliche Leistung vollbracht. Nur dadurch war es möglich, dass dem Feuer Einhalt geboten werden konnte.
Clean slate
Es gibt Wörter, deren Bedeutung ich nie lernen wollte. Bis vor kurzen kannte ich die Übersetzung von „clean slate“ auch nicht. Doch als Christine uns in einer der kurzen Nachrichten nach dem verheerenden Brand in White House Canyon, dem ihr gesamtes Haus zum Opfer fiel, mitteilte: „Clean slate!“, musste ich mich damit beschäftigen.
So schrecklich die Nachrichten über die Verwüstungen durch den Flächenbrand waren, so hoffnungsvoll stimmten diese zwei Worte. Denn ich will diese Übersetzung nicht so verstehen, einen reinen Tisch zu machen, einen Schlussstrich zu ziehen. Sondern vielmehr: einen Neuanfang machen. Und so kommen die Meldungen aus dem fernen Kalifornien auch über den großen Teich. Neu beginnen: „Farmaggedon will rise again“.
Aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Krise wagen Künstler neue Präsentationen
Gernsbacher Künstler zeigen ihre Werke in den Fenstern der Stadt
Im August 2020 stellen sie ihre Werke in den Schaufenstern von Handel, Handwerk und Freiberufler Gernsbachs aus. Insgesamt an 19 Plätzen kann man die Kunst entdecken. Einfallsreich wurden die Kunstwerke in den jeweiligen Schaufenstern präsentiert. So wurde beim Sport Fischer das Gemälde eines Schwimmers über Taucherbrillen und Schnorchel präsentiert oder beim Friseur Löwenthal die Büste „Geborgenheit“, ein Frauenkopf mit einer auffälligen Frisur, platziert. Bei der Schatzinsel findet man ein Gemälde mit Schmuckmotiven, beim Café Felix Aquarelle zu Teesorten und in den Fenstern der Eisdiele Rizzardini Ölgemälde von Gletschern. Die Werke können anhand eines Plans in dem Flyer „Open Air Kunstausstellung“ erwandert werden.
Die Corona-Krise machte so manchen Plan einer Ausstellung zunichte, Vernissagen in herkömmlichen Weise können nicht mehr durchgeführt werden. Da ist die Idee, öffentlich zugängliche Schaufenster als Ausstellungsraum zu nutzen, eine einfallsreiche Alternative.
Die Aktion ist eine Gemeinschaftsaktion der Künstler und des Gewerbevereins. So eröffneten Arturo Laime, der die Künstler um sich versammelt hat, und Sabine Katz in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Gewerbevereins die Ausstellung. Der Eröffnungs-Rundgang der Kunstausstellung, der bei den heißen Sommertemperaturen stattfand, wurde durch das Erzählen der Geschichten durch die Künstler zum kurzweiligen Erlebnis und ließ die Schweißperlen beim Erklimmen des Stadtbuckels vergessen. „Auch zu diesem Bild gibt es eine Geschichte“, konnte man bei dem Rundgang mit den Künstlern so manches Mal hören. Und es folgte eine persönliche Episode der Künstlerin oder des Künstlers, manchmal darüber, wo die Fotografie entstanden oder an welchem ungewöhnlichen Ort das Gemälde schon ausgestellt war, bis hin wie das Objekt zu seinem Titel kam.
Wenn man nun mit Hilfe des Flyers die Ausstellungstätten erkundet, hilft, dass die Eisdiele, andere Einkehrmöglichkeiten und das Schwimmbad am Weg liegen. So kann man in seinem eigenen Rhythmus auf Entdeckungsreise gehen. Für die nächsten drei Wochenenden haben sich die Künstler noch ein Rahmenprogramm ausgedacht und begleiten die Open Air Ausstellung.
Mit einem inspirierenden Vortrag über Zukunftschancen für Zukunftsgestalter beteiligte sich Univ.Prof. Marion Weissenberger-Eibl an den Baden-Badener Sommerdialogen 2020.
Dabei ging sie auf die wesentlichen Fragen der Zukunftsgestalter ein, wie wollen wir zukünftig leben?
Mit Mut in die Zukunft
In der Vorstellung der Referentin durch Petra Heuber-Sänger, Kulturbüro Stadt Baden-Baden, wurde deutlich, mit welchem Hintergrund Marion Weissenberger-Eibl sich zu dem Thema Zukunft zu Wort meldet. Sie hat seit 2007 die Leitung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI inne und seit 1/2013 den Lehrstuhl für Innovations- und TechnologieManagement am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Die Liste ihrer Tätigkeit in Gremien, u.a. Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und Mitglied des Wirtschaftsausschusses sowie des Expertenkreises „Wirtschaft und Innovation“ des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, haben sie zu einer der Top-100-Frauen der deutschen Wirtschaft gemacht.
Das Thema Zukunft beherrscht die Wissenschaftlerin schon seit langem. Bei ihrem Überblick über Zukunftsbilder führte sie Beispiele aus der Vergangenheit an und ging auf das Risiko ein, aus Wissenschafts-Sicht einen Blick in die Zukunft wagen zu wollen.
So ist von dem Wissenschaftler Albert Einstein der Satz überliefert: „Es gibt nicht den geringsten Hinweis, dass Atomenergie jemals nutzbar sein wird.“ Aber auch die Erkenntnisse des Orakels von Delphi, die aus antiken Zeiten zur Vorhersage von zukünftigen Ereignissen diente, taugen nicht für die Gegenwart. Ein anderes Beispiel bietet Leonardo da Vinci: er hat bereits zu Ende des 15. Jahrhunderts Zeichnungen von Maschinen gefertigt, die erst in unserem Zeitalter realisiert wurden, wie seine Flugapparate oder seine Addiermaschine. Doch die rasante technische Entwicklung wurde von keinem Wissenschaftler in der Vergangenheit vorhergesagt. Unsere derzeitigen Rahmenbedingung machen Vorhersagen für die Zukunft noch schwerer.
Die Referentin führt in ihrem Vortrag aus, wie die Corona-Krise trotz aller negativen Auswirkungen einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt und langfristige Chancen mit sich bringt. Die Digitalisierung hat in der Corona-Krise einen weiteren Schub erlebt. Auch wurden innerhalb kürzester Zeit beispielsweise innovative Lösungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen entwickelt, beispielsweise in Bezug auf Nachbarschaftshilfen. Dies ergänzt Marion Weissenberger-Eibl um praktische Ausführungen: “Das Fahrrad ist der große Gewinner der Corona-Krise.”
Sie setzt darauf, dass Wirtschaft und Gesellschaft kraftvolle Zukunftsbilder entwerfen. Zukunftsbilder gehören nicht ins Museum, sondern auf die Straße, unter die Leute. Sie fordert mehr Experimentierräume: Reallabors, in denen die Erfahrungen kreativer Menschen weitergegeben werden können und untermauert dies mit einem Beispiel aus der Praxis, wie dem „Quartier Zukunft“ in Karlsruhe.
Vielleicht lässt sich daraus analog zum Orakel von Delphi eine Perspektive für die Zukunft ableiten: „Erkenne dich selbst.“, Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen und an einem positiven Zukunftsbild weiterzuarbeiten.
Margret Mergen, Oberbürgermeisterin Baden-Baden, dankte in den Schlussworten der Universitätsprofessorin für ihre aufrüttelnden Worte.
Gemeinsam mit den beiden Baden-Badener Theaterschauspielern Constanze Weinig und Max Ruhbaum erlebten wir die Lichtentaler Allee einmal “literarisch”. Sie trugen an einzelnen Stellen der bekannten Straße verschiedene Texte von Schriftstellern, Theaterschaffenden und Musiker aus dem 19. Jahrhundert vor. Immer mit Bezug auf Baden-Baden und die Zeit der Belle Epoque.
So ganz nebenbei wurde auch eine kurze Stadtgeschichte Baden-Badens vermittelt, die Anfänge des Spielcasinos inbegriffen. Eine gelungene Inszenierung von Texten von Hector Berlioz schafften die beiden Schauspieler vor dem Theater: Zitate von Berlioz stiegen jeweils mit Luftballonen in den Himmel.
Die Autoren der Zitate lesen sich wie das “Who-is-who” der Künstlerszene des 19. Jahrhunderts: von Felix Mendelssohn-Bartholdy über Carl Maria von Weber, Fanz Liszt, Hector Berlioz, Iwan Turgenjew, Leo Tolstoi, Clara Schumann, Johannes Brahms und Fjodor Dostojewski. Auch von Pauline Viardot-Garcia war die Rede, deren Haus in der Kurstadt Baden-Baden ein Treffpunkt der Kunstszene war und auch Augusta und Wilhelm I. von Preußen wie Otto von Bismarck zu Gast waren. Selbstverständlich wurde das Zitat von Clara Schumann über Baden-Baden bei dem Rundgang vorgetragen: “Denn alles kommt ja hierher.” Aber auch kritische Stimmen wie Mark Twain wurden rezitiert: “Es ist eine geistlose Stadt, voll von Schein und Schwindel und mickerigem Betrug und Aufgeblasenheit, aber die Bäder sind gut.”
Kurzweilig führten die beiden Schauspieler die Gruppe vom Stadtmuseum beginnend vorbei an den verschiedenen Büsten in der Lichtentaler Allee bis vor das Kurhaus, wo der literarische Spaziergang mit einer eine Szene aus Dostojewskis Werken abgeschlossen wurde.
Bei einem Spaziergang um den Baggersee Untergrombach begegnet man wahren Naturschätzen. Nicht nur die zahlreichen Enten, Gänse und Vögel sind eine Entdeckung wert. Das Wasser selbst schillert in den spannendsten Farben. Am Wochenende suchten viele Erholungssuchende, Badende und Taucher wieder den See auf. Die Corona-Regeln wurden eingehalten, die eingesetzte Security konnte sich auf das Beobachten beschränken. Die Besucher und Badegäste verhielten sich corona-konform.
So wars für alle ein entspannter Sonntag am See!
Im Sommer ist der Sankenbachsee in Baiersbronn ein Ziel für viele Ausflügler – bei schönem Wetter lässt sichs dort gut verweilen. Wir haben den See allerdings auch schon im Winter umrundet. Auch bei tiefsten Temperaturen ist das ein Erlebnis. Und die anschließende Einkehr bei Josef gehört dazu!
Noch sitzen die jungen Falken im Turm der Liebfrauenkirche brav nebeneinander und warten, bis das Futter gebracht wird. Alle können inzwischen fliegen, erkunden ihr Revier um den Kirchturm.
Manchmal klappt das Einfliegen ins Falkennest, manchmal ist es nicht ganz so perfekt.
Die jungen Turmfalken lassen sich den Flaum vom Wind wegtragen und versuchen neue Anflugtechniken an ihr Nest.
50 Jahre nach der umwälzenden Renovierung der Liebfrauenkirche steht in diesem Jahr eine Sanierung im Kircheninnern und des Dachtragewerks an. Zu Beginn dieses Jahres entwickelte sich das Innere des Gernsbacher Gotteshauses zu einer Großbaustelle. Die Maßnahmen sehen nicht nur einen kompletten Anstrich der Wände und des Gewölbes vor. Vielmehr sind wesentliche Reparaturen im Dachtragwerk notwendig: Zimmerleute und Steinmetze sind seit Wochen mit den Ausbesserungen in der Dachkonstruktion beschäftigt.
Seit Mitte Januar 2020 die Kirche für Gottesdienste und Besucher gesperrt. Abgesehen von den Unregelmäßigkeiten durch die Corona-Krise weichen die Gemeindemitglieder seit Jahresbeginn auf die umliegenden Kirchen der Seelsorgeeinheit aus. Außerdem finden in Abstimmung mit der evangelischen St. Jakobsgemeinde katholische Gottesdienste in der St. Jakobskirche statt.
Insgesamt sind 18 Firmen in der Renovierung eingebunden, dabei handelt es sich um Handwerker vor Ort, aber auch Spezialfirmen von Heidelberg über Karlsruhe bis Triberg. Bauherr Dekan Josef Rösch hat mit die überwachenden und koordinierenden Arbeiten an Architekt Bernd Wörner, Langenbrand, übertragen. Sie können auf ein erfahrenes Team zurückgreifen, da erst vor wenigen Jahren eine umfassende Innenrenovierung der Obertsroter Kirche Herz Jesu erfolgte. Die Entscheidungen erfolgen In enger Zusammenarbeit mit Architekt Hartmut Herold vom erzbischöflichen Bauamt.
Die geplante Renovierung sollte zum Ende des Sommers abgeschlossen werden. Bisher verlaufen die Arbeiten nach Plan. Die Bauhandwerker waren durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie wenig beeinträchtigt. Sie konnten im dem weitläufigen Dach und Kreuzgewölben ungehindert arbeiten. Schwieriger waren allerdings die Absprachen mit Architekt und Behörden. Denn da waren Reisebeschränkungen für eine unkomplizierte Kommunikation hinderlich.
Gigantisches Gerüst
Den Auftakt für die Renovierungsarbeiten gestalteten die Gerüstbauer. Bevor das mehrere hundert Meter lange und 14 Meter hohe Gerüst montiert wurden, wurden Orgel, Altar und die Glasfenster sorgfältig geschützt. In knapp vier Wochen wurde das gesamte Kircheninnere mit einem imposanten Arbeitsgerüst gefüllt. Auf sechs Gerüst-Etagen sind nun alle Bereiche des Kircheninneren zugänglich. Die Gemeindemitglieder konnten sich in einer Baustellen-Besichtigung Mitte Juni ein Bild von dem gigantischen Gerüst machen. Letztlich musste noch ein zusätzliches Außengerüst angebracht werden, damit die Holzlieferungen über das Dach erfolgen konnten.
Risse im Wandmauerwerk
Seit langem laufen die Planungen der Dachtragwerkssanierung. Über Monate hinweg wurden die Rissbildungen im Wandmauerwerk beobachtet. Die Kirchenbesucher konnten die Messpunkte im Kircheninnern deutlich erkennen. Das Büro für Baukonstruktion, Karlsruhe, legte danach ein detailliertes Gutachten über den statisch-konstruktiven Zustand des Dachtragwerks der Liebfrauenkirche vor und listete nicht nur die Befunde auf, sondern formulierte auch die Instandsetzungsempfehlungen. Ziel ist es nach Abschluss der Arbeiten, die ungünstige Lastabtragung des Dachtragwerks auf die Außenmauern zu beseitigen und neue Sicherheiten im Traggefüge zu schaffen.
Zimmerleute sind gefragt
Nach den Gerüstbauern folgten sogleich die Zimmerleute, die seit März mit dem Austausch der morschen Balken und Kanthölzer, beschäftigt sind. Erst im Verlauf der Arbeiten stellten die Zimmerer die tatsächlichen Schäden im Gebälk fest. Dabei stellten sie Unterschiede zwischen dem alten Teil der Kirche aus dem 14. Jahrhundert und der Erweiterung des Kirchenschiffes aus dem 19. Jahrhundert fest. Doch bevor sie das Auswechseln der schadhaften Balken vornehmen konnten, mussten sie zuerst Stege bauen, um die außenliegenden Stellen zu erreichen.
Zimmerermeister Dominik Schneider mit den beiden Mitarbeiter von Zimmerei Markus Fetzer, Gaggenau, mussten alle Register der Zimmermannskunst ziehen, um die diffizilen Arbeiten im Gebälk durchzuführen. Blattverbindungen mussten repariert und Mängel an den Sparrenfußpunkten beseitigt werden. Mauerschwellen, die zur Verteilung der Lasten entlang der Mauerkrone dienen, wurden zum Teil erneuert. Balkenköpfe mussten neu eingebaut und mittels Schrägverschraubung gesichert werden. Dabei mussten die Handwerker hoch oben in dem dreistöckigen Dachgeschoss so manche knifflige Situation lösen.
Unvorhergesehenes für Steinmetze
Die geplanten Steinmetzarbeiten konnten bereits Mitte Mai abgeschlossen werden. Sie umfassten die Aufbereitung der Risse im Mauerwerk, damit diese denkmalgerecht geschlossen werden können. Dies war eine staubintensive Arbeit, die von Steinmetzbetrieb Bernhard Binder, Gaggenau, ausgeführt wurden. Die statischen und baulich bedingten Risse wurden bis auf das Mauerwerk geöffnet. Dabei drangen die Steinmetze in den Unterbau des Mauerwerks vor und konnten gut den Unterschied der alten Kirche aus dem 14. Jahrhundert zu dem im 19. Jahrhundert erfolgten Erweiterungsbau ablesen. Wurden im alten Teil unterschiedliche Bruchsteine verwandt, so finden sich im Anbau viele Ziegelstücke und Backsteine.
Unvorhergesehene Arbeiten fielen im Gewölbe des Kircheninneren an. Der erste Schrecken, nachdem die Gefahr des Absenkens des Gewölbes festgestellt wurde, legte sich nach der genauen Schadensanalyse. Allerdings musste das Steinmetzunternehmen in die Schatzkiste ihres Fachwissens greifen. Die sandsteinernen Gewölberippen wurden durch Metallgewindestangen nach oben hin gesichert. Dazu wurden die Gewölberippen aufgebohrt, die Gewindestangen eingefügt und mit einer Mutter gegen eine Metallplatte auf dem gemauerten Gewölbe verschraubt.
Auf dem Gewölbe wurden Platten einbetoniert, um die Last gleichmäßig zu verteilen. Somit wurden sie gegeneinander verbunden und die Festigkeit wieder hergestellt. Besondere Aufmerksamkeit ließen die Steinmetze beim Kürzen der überstehenden Gewindestangen walten: sie wurden mit Hydraulikdruck abgequetscht, ein Flexen wäre wegen des Funkenflugs zu gefährlich gewesen.
Gewerke im Kostenrahmen
Die Sanierung ist mit einem Kostenrahmen von 910.000 Euro angesetzt. Die Erzdiözese trägt 230.000 Euro der Kosten, eine Kreditaufnahme von 300.000 Euro ist genehmigt. Den Rest muss die Kirchengemeinde aufbringen. Dabei ist man auch auf Spenden angewiesen. Nur die dafür angedachten Aktionen wurden durch die Corona-Krise gebremst. Geplante Baustellenführungen mussten ebenso ad acta gelegt werden. Bislang gab es nur wenige unvorhergesehene Verzögerungen oder Kostenveränderungen.
Eigenleistungen der Gemeinde sind nur in geringem Maße möglich. Lediglich bei den vorbereitenden Arbeiten wurden die Gemeindemitglieder aktiv. Das Ausräumen der Kirche gehörte dazu. Dank der Gerüsttechnik mussten die Bänke nicht entfernt werden, es genügte ein Abdecken der Bänke, um sie vor Baustaub und Malerarbeiten zu schützen.
Neue Lichtgestaltung
Eine wesentliche Veränderung, die nach der Renovierung den Kirchenbesuchern auffallen wird, betrifft die Lichtgestaltung in der Kirche. Der Altarbereich, aber auch die Eingangsbereiche wie die markanten Punkte der Kirche werden mit neuen Leuchten besser ausgeleuchtet. Dabei werden die bisher bestehenden Elemente beibehalten, allerdings durch moderne Leuchtkörper und energiesparendere Varianten ersetzt. Die Umstellung ist auf LED-Leuchten und Programmierung von Licht-Szenarien geplant.
Außerdem wird die gesamte Verkabelung erneuert. Allein im Kirchenschiff wurden dazu über 800 Meter neue Kabel verlegt. Die alten Kabel wurden aus Sicherheitsgründen weitestgehend entfernt und zusätzliche Brandschutzeinrichtungen installiert. Gleich zu Beginn der Renovierung wurden die Schlitze für Kabel gefräst und werden nach dem Verputzen nicht mehr erkannt werden.
Malerarbeiten zum Schluss
Die letzten Arbeiten werden durch die Maler ausgeführt. Insgesamt 1940 Quadratmeter Wandfläche müssen gereinigt und die neue Farbe aufgetragen werden. Feine Risse haben sich im Laufe der vergangenen 50 Jahren im Gewölbe gebildet. In diesem feinen Rissnetz hat sich Schmutz einlagert, was die Risse optisch stärker hervortreten lässt. Mit Unterstützung von Restauratoren wird nun in einem Trocken-Reinigungsverfahren diese optische Beeinträchtigung behoben. Dank des sechs-stöckigen Gerüstes werden die Maler selbst die entlegensten Winkel der Gewölbedecke erreichen.
Arbeitskreis Renovation gebildet
Im Zuge der Sanierungsarbeiten hat sich ein Arbeitskreis Renovation in der Gernsbacher Seelsorgeeinheit gebildet. 15 Mitglieder aus der Liebfrauengemeinde trafen sich seit Beginn des Jahres, um zu einzelnen Themen Anregungen und Wünsche der Gemeinde an Architekt und Bauträger einzubringen. So wurden beispielhafte Lichtkonzepte anderer Gotteshäuser vor Ort begutachtet, wie auch Ideen für eine Umgestaltung des Seitenschiffes diskutiert. Vorschläge für eine Veränderung des Taufbereichs und eines Andachtsraums sowie einen barrierefreien Zugang zu dem Kerzenständer legte bereits im vergangenen Jahr das Gemeindeteam der Liebfrauengemeinde vor.
Waren zu Beginn des Jahres noch Treffen des Arbeitskreises möglich, so verständigte man sich seit März 2020 im E-Mail-Verkehr. Zur Präsentation des Lichtkonzepts traf sich das Gremium im Mai in der Kirche, allerdings mit den gebotenen Abstandsregeln.
Aufmerksamkeit für Fledermäuse
Der Terminplan der Bauarbeiten ist mit Rücksicht auf die Fledermäuse ausgerichtet. In Dachstuhl und Kirchturm findet sich seit vielen Jahren die heimische Fledermausart Graues Langohr, die als streng geschützt vom Bundesnaturschutzgesetz eingestuft wird. Für diese gelten besondere Schutzrichtlinien, die in dem Bauzeitenplan berücksichtigt wurden. Die Pfarrgemeinde hatte damit ja bereits bei der Sanierung der Klingelkapelle Erfahrung und konnte auf die gute Zusammenarbeit mit den Fledermausexperten zurückgreifen. In der Klingelkapelle wurde zwischenzeitlich dank der Vorkehrungen sogar ein Wachstum der Fledermaus-Kolonie festgestellt. In der Liebfrauenkirche betreten die Zimmerleute und Steinmetze seit April nicht mehr den Turm, der Zugang zum Dachstuhl ist nur über ein Außengerüst möglich. Zwischen Dachstuhl und Turm wurden verbesserte Durchflug- und neue Quartiermöglichkeiten für die nachtaktiven Tiere geschaffen.
Die nistenden Falken im Kirchturm ließen sich von dem umtriebigen Arbeiten der Zimmerleute und Steinmetze nicht beirren. Sie bezogen wie gewohnt zu Jahresbeginn ihren Nistkasten und ziehen ihre Jungen auf. Eine der Maßnahmen im Dachbereich der Kirche betraf auch das Entfernen der Kotspuren der Tauben. Die Verschmutzungen, die auch Holzschädlinge mit transportieren können, wurden entfernt.
Denkmalschutz großgeschrieben
In enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde wurden die einzelnen Maßnahmen durchgeführt. Dabei geht es nicht nur um die adäquate Sicherung der Gewölberippen, sondern auch um die denkmalgerechte Behandlung der Gewölbe- und Sandsteinflächen wie auch der Kunstwerke.
Die historischen Heiligenfiguren und die zentrale Pieta befinden sich bereits seit Jahresanfang bereits in der Restauratorenwerkstatt. Dort werden sie gereinigt und konservatorisch behandelt.
Die früheren Renovierungen
Die letzte umfangreiche Renovierung der Liebfrauenkirche liegt bereits 50 Jahre zurück. Damals wurde das komplette Kircheninnere verändert. Der hölzerne Hochaltar wurde entfernt und die alte Bemalung in dem alten Teil der Kirche wieder freigelegt, außerdem auf den „neuen“ Teil übertragen. Dabei verschwanden die im 19. Jahrhundert angebrachten Gemälde komplett. Die Bänke wurden erneuert, Kanzel und Seitenaltäre wurden abgebaut. An das völlig andere Aussehen des Kircheninnern musste sich die Gemeinde damals erst gewöhnen. Eine weitere Renovierung erfolgte 1996. Damals wurde das Dach der Kirche neu gedeckt, der Wetterhahn neu ausgerichtet und das Turmkreuz repariert.
Für die Liebfrauengemeinde geht nach den letzten Arbeiten eine lange Phase zu Ende, in denen sie nicht in ihrer gewohnten Umgebung ihren Gottesdienst feiern konnten. Noch steht ein Termin der feierlichen Eröffnung der neu renovierten Kirche nicht fest, doch sind die Verantwortlichen zuversichtlich – wenn keine unvorhergesehene Überraschungen mehr auftauchen – dass das Patrozinium am 4. Oktober 2020 schon in renovierten Liebfrauenkirche stattfinden kann.
Regina Meier
Die Fotos wurden von Werner Meier im Zeitraum zwischen Januar und Juni 2020 gemacht.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Gernsbach – Teil 2
Das Ende des Zweiten Weltkriegs bahnte sich in Gernsbach in den ersten April-Tagen an. Bereits im vergangenen Gernsbacher Boten 1/2020 vom 31. März 2020 wurden die Monate vor dem Einmarsch der Franzosen 1945 beschrieben. Aufbauend auf den Veröffentlichungen von 1995 anlässlich der 50. Wiederkehr des Kriegsende wurde dieser Rückblick ergänzt durch weitere Zeitzeugenberichte. Diese finden sich in Tagebüchern, die von Gernsbachern in jenen Tagen geschrieben wurden und an die Nachfahren weitergegeben wurden. Auszüge daraus werden hiermit erstmals für eine Veröffentlichung freigegeben. Auch der „Kriegsbericht“, den der katholische Pfarrer Ernst Bernauer zur Berichterstattung an die Erzdiözese in Freiburg verfasste, gibt Aufschluss über die Situation vor Ort im April 1945.
Die Front rückte immer näher, die Fliegerangriffe verbreiteten Angst und Schrecken. Ständig fanden Luftangriffe statt, die Bevölkerung musste immer häufiger die Keller und Luftschutz-Einrichtungen aufsuchen. Als die Nachricht von der Einnahme Karlsruhes bekannt wurde, war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Franzosen auch in Gernsbach ankamen.
„Die Besetzung war noch in der Nacht vom 11./12. April 1945 zu erwarten, da die französischen Truppen bereits in Loffenau waren, wo selbst einige Häuser brannten. Auch aus Michelbach war ihr Anrücken gemeldet“, veröffentlicht Wilhelm von Müller im „Murgtäler Boten“.
Detaillierte Kriegstagebücher
In der Darstellung des französischen Militärs nimmt Gernsbach eine untergeordnete Rolle ein. Nach den vielen Orten, die sie nach der Rheinüberquerung und der Einnahme Karlsruhes auf ihrem Marsch nach Freudenstadt einnehmen mussten, spielte Gernsbach keine zentrale Rolle.
Auf dem Kaltenbronn hatten sich deutsche Soldaten bei der Kreuzlehütte postiert und leisteten den anrückenden französischen Truppen Widerstand. Dabei kamen zwölf deutsche Soldaten ums Leben. Der Zug der französischen Armee konnte nicht aufgehalten werden, wie Hubert Intlekofer in seinem Buch „Geschichte des Kaltenbronn“ festhält. „Gegen Euyachmühle und Dürreychof wird die Front von den Einheiten der 257. VGD (Volksgrenadier-Division – Anm.) gehalten“, findet sich im Kriegstagebuch der 19. deutschen Armee, März-April 1945, das den Kriegsverlauf im Oberrheingebiet detailliert beschreibt.
Vier Jahre später veröffentlichte der General Jean de Lattre de Tassigny, der als Oberkommandierender der 1. französischen Armee den Angriff in Südwestdeutschland befehligte, eine ausführliche Darstellung der Angriffe aus französischer Sicht. Darin werden auch die Bewegungen im Murgtal festgehalten. Darin beschreibt er auch, wie marokkanischen Einheiten über den Kaltenbronn nach Loffenau marschieren. „Die gegnerischen Truppen kämpfen weiter… Doch ihr Mut kann nichts mehr ausrichten“, hält er fest.
Beim Kampf um Rastatt führt er aus: „Dem Befehl des Führers wird gehorcht und jede Häuserzeile erfordert von uns eine Belagerung“. Die Kämpfe müssen sehr erbittert gewesen sein, denn der General fügt in seinen Bericht die Formulierung in deutscher Sprache ein, dass die Kämpfe „bis zum letzten Mann“ stattfanden. Ähnlich lauten die Eintragungen im deutschen Kriegstagebuch: „Die Besatzung von Rastatt leistet den konzentrischen Feindangriffen in erbitterten Häuserkämpfen hartnäckigen Widerstand.“
Im Kriegstagebuch der 19. deutschen Armee finden sich zu diesen Tagen aufschlussreiche Eintragungen für unsere Region. So ist für den 11. April 1945 vermerkt: „Die 106. J.D. (Jägerdivision Anmerkung), die in der Masse aus Luftwaffen-, Zoll und Volkssturmeinheiten besteht, hat in den letzten Tagen in harten Abwehrkämpfen alle feindlichen Durchbruchsversuche verhindert und dem Feind nur schrittweise Boden überlassen.“ An anderer Stelle ist allerdings auch von den hohen eigenen Ausfällen die Rede und die nüchterne Beurteilung des Ausbildungsstandes der Volkssturmabteilungen, der mit „völlig unzureichend“ beschrieben werden. Die Eintragungen belegen weiter: „Im Laufe der Nacht vom 11./12.4.1945 dringt der Gegner in Btl.stärke mit mindestens 10 Panzern von Osten und Norden in Gernsbach und Scheuern ein und hat damit in diesem Abschnitt das Murgtal erreicht.“
Letzte Zuflucht in den Kellern
In Gernsbach rückten die Franzosen fast ohne Gegenwehr ein. „Am Abend des 11. April begannen drei Batterien kleineren Kalibers, die im Westen des Städtchens aufgestellt waren, in Richtung Loffenau zu schießen. Der Franzose reagierte nicht darauf. Seine Panzer standen schon seit Beginn der Nacht, wie es sich nachher herausstellte, im Osten unmittelbar vor dem Städtchen, aus der Richtung Loffenau kommend“, schreibt Pfarrer Ernst Bernauer in seinem „Kriegsbericht“. „Abends 9.30 Uhr wurden die beiden Brücken über die Murg gesprengt, nachdem der erste französische Panzer schon in Ottenau über die Murg gegangen und bis an das Haus Betesda vorgedrungen war“, schildert Pfarrer Bernauer weiter.
Nach Mitternacht durchkämmten die französischen Einheiten jedes Haus in Gernsbach und öffneten die Keller, in denen die Menschen angsterfüllt saßen.
In dem großen Keller in der Bleichstraße 22, in dem sich nicht nur die Hausbewohner, sondern auch zahlreiche Nachbarn geflüchtet hatten, hielten die Nachtstunden des 11. April 1945 noch eine besondere Dramatik bereit: Dort kam in jener Nacht ein Baby zur Welt.
„Wir waren vor Angst ganz starr, doch als die Soldaten an uns Schokolade verteilten, waren wir wie erlöst, dass diese Angst jetzt ein Ende haben sollte“, erinnern sich Hildegard und Ortrud Walter vom Gasthaus Kreuz in der Bleichstraße.
Leonore Mayer-Katz berichtet: „Auch wir warteten im Keller, bis sich ein französischer Soldat zeigte. Der Krieg hatte uns verschont. Ein gewisses Aufatmen ging durch unsere Reihen, trotz aller Ungewissheit vor der Zukunft. Für mich persönlich bedeutete dieser Augenblick die Hoffnung auf Freiheit und auf ein Wiedersehen mit meinen verschleppten Angehörigen.“ Noch im Mai wird Leonore Mayer-Katz selbst in das Konzentrationslager Theresienstadt fahren und ihre dort inhaftierte Mutter und weitere Baden-Badener heimholen.
Frida Bohnert in der Weinbergstraße hält diese Nacht in einem Tagebuch stichwortartig fest: „Habe Proviant für den Bunker gerichtet, man konnte ja doch nicht schlafen.“
Als die Franzosen von Loffenau her nach Gernsbach einmarschierten, öffneten sie auch den Luftschutzbunker an der Loffenauer Straße. Dort hatten bei dem Alarm vor allem die holländischen Fremdarbeiter Zuflucht gesucht. Die Franzosen schossen mit Maschinenpistolen in den Luftschutzstollen und trafen dabei einen Holländer tödlich, ein anderer wurde verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Noch zwei weitere Todesopfer forderte der Einmarsch der Franzosen: Als längere Zeit kein Schusswechsel mehr zu hören war, machte sich der Gernsbacher Friedrich Lemmermeier auf den Weg vom Badhaus zur Murginsel. Er wollte sehen, was sich beim Murgübergang abspielte. Ganz nahe bei der dortigen Brücke wurde er von den Franzosen erschossen, die in der Dunkelheit der Nacht nicht ausmachen konnten, wer sich ihren Stellungen nähert. Aus den Protokollen jener Tage geht ebenso hervor, dass Margarete Töllich, die aus Köln nach Gernsbach evakuiert worden war, erschossen wurde.
Alle drei Opfer wurden auf dem Katholischen Friedhof beigesetzt, ihre Gräber liegen nebeneinander. Noch heute kann man ihre letzte Ruhestätten besuchen, die regelmäßig gepflegt werden. Auch weitere Gernsbacher Todesopfer des Weltkriegs wurden hier beigesetzt. Gleich daneben findet man auch das Grab des Fremdarbeiters, der beim Forstamt Gernsbach eingesetzt war und im Mai 1944 gestorben war. Der Holzhauer Anastasius Jaskzkowski gehörte zu den insgesamt zehn Waldarbeitern, die im November 1943 für den Winterholzeinschlag dem Forstamt Gernsbach zugewiesen waren. Sie verrichteten Holzfällerarbeiten im Wald von Sulzbach. Zu der Beerdigung ihres Kollegen nahmen die anderen ausländischen Arbeitskräfte teil, wobei es sich zum größten Teil um russische Kriegsgefangene handelte.
Zerstörte Häuser in Gernsbach
Die Situation in Gernsbach am Morgen des 12. April war ernüchternd. Die Häuser in dem Dreieck der oberen Igelbachstraße, der Loffenauer Straße und der Zunftgasse waren weitgehend durch den Artilleriebeschuss und den folgenden Bränden zerstört. Die Einwohner hatten ihr Hab und Gut und ihr Zuhause verloren. Als die Häuser wieder errichtet wurden, wurden sie etwas zurückgesetzt, aufgebaut. Diese versetzte Häuserfront ist heute noch gut zu erkennen.
Auch in der Schlossstraße waren zwei Häuser den Flammen zum Opfer gefallen: die Gebäude der Kupferschmiede Rothengatter waren zerstört. Hubert Schleicher, der 1945 in der Schlossstraße wohnte, musste in den folgenden Tagen helfen, die Schäden zu beseitigen. Er hielt am 2. Mai in seinem Tagebuch fest: „1 Wagen Schutt von Rothengatter abgeführt.“ Auch am 5. und 7. Mai musste er nochmals Trümmer von dem zerstörten Haus Rothengatter entsorgen.
Der Dachstuhl des Restaurants „Laub“ an der Hofstätte war ebenfalls in Brand geraten. Dieses Feuer durfte jedoch durch die Bewohner gelöscht werden, die einmarschierten Franzosen erlaubten die Löscharbeiten.
Von verschiedener Seiten wird berichtet, dass die ersten Soldaten, die die Gemeinden besetzten, freundlich und zuvorkommend waren. Frida Bohnert, die in der Weinbergstraße wohnte, hält für Freitag, den 13. April, fest: „Heute früh 1/2 9 kamen 2 Franzosen mit vorgehalt. Revolver zur Hausdurchsuchung, waren sehr anständig.“ Pfarrer Bernauer schreibt: „Pfarrer und Pfarrhaus wurden in keiner Weise belästigt, am des 12. April kam ein französischer Leutnant ins Pfarrhaus, begrüßte den Pfarrer und alle Pfarrhausbewohner (damals 9 Personen) und fragte: ‚Na, wie geht’s, Herr Pfarrer?‘ Ebenso waren die Schwestern und das Schwesternhaus in keiner Weise Belästigungen ausgesetzt.“
Erst beim Durchmarsch der nachfolgenden Truppen begann eine harte Zeit für die Bevölkerung. Aus jenen Tagen sind auch Misshandlungen und Vergewaltigungen überliefert. Auch Plünderungen waren an der Tagesordnung. Im Archiv der Stadt Gernsbach ist eine lange Liste von Beschädigungen und Verwüstungen dokumentiert.
So gibt es u.a. eine Meldung von Schuh-Bleier in der Hauptstraße am Marktplatz, dass „ein Schaufenster und ein Ladentürfenster bei der Plünderung am 12. April 1945“ zerstört wurden. Dabei wurden „ 45 Paar braune und schwarze neue Herrenhalbschuhe geplündert à 18,50 Mark 25 Paar, à 14,50 Mark 20 Paar“.
Doch in der Bevölkerung machte sich erst einmal ein Aufatmen durch das Ende der Kriegshandlungen breit. Eine Zeitzeugin erinnert sich noch sehr gut: „Die Erleichterung war unbeschreiblich, dass endlich die Fliegerangriffe aufhörten. Neben aller Not war endlich Ruhe zu haben vor den Jagdbombern wie eine Erlösung.“ Auch Frida Bohnert schreibt in ihr Notizbuch froh über das Ende der Fliegerangriffe, allerdings verschweigt sie auch nicht die Schattenseiten: „Das schlimmste waren die Plünderer. Sonst wieder ruhig, kein Beschuss, kein Alarm mehr.“
Die Franzosen verhängen Ausgangssperren und Versammlungsverbote. So vertraut Frida Bohnert ihrem Tagebuch an: „Gutleber gibt als Stadtbüttel die täglichen Maßnahmen bekannt. Ausgehverbot, abends von 8 Uhr ab darf niemand mehr die Straße betreten.“ Doch bald, ab Ende Mai wurde mit Rücksicht auf die Feldarbeit, die Sperrzeit von 21 Uhr bis 6.30 Uhr verkürzt. Weitere Lockerungen wurden eingeführt, bis ab Sommer 1946 die Sperrzeit ganz aufgehoben war.
„Durch die Verwüstung bei der Sprengung der Stadtbrücke war das gesamte oberste Stockwerk unseres Hauses nicht mehr benutzbar. Die Franzosen ließen uns zwei Räume, in denen wir mit unseren Eltern wohnten. Das ganze Zimmer war mit Zubern und Eimern vollgestellt, um bei Regen das Wasser bei den undichten Stellen aufzufangen. Und doch waren wir froh, dass wir in unserem Haus bleiben durften. Anderen erging es noch viel schlimmer“, erinnert sich Ortrud Walter, die mit ihren Eltern und ihrer Schwester das Gasthaus Kreuz in der Bleichstraße bewirtschaftete. Von ihr wurden bereits im ersten Teil dieses Beitrags im „Gernsbacher Boten“ 1/2020 einige Erinnerungen aufgeführt.
Zweisprachig Bekanntmachungen
Die Franzosen beschlagnahmten für ihre Soldaten und Verwaltung mehrere Gebäude. Der General wohnte in der Villa Felix Hoesch. Vom 1. August 1945 residierte dort General Bouquae. Die Gendamerie Française war im „Wilden Mann“ in der Bleichstraße. „Der Platzkommandant bezog das Kornhaus als Kommandantur. Im Alten Rathaus lagen französische Mannschaften, das Bankhaus beim Scheuerner Übergang war für zwölf französische Stabhelferinnen beschlagnahmt. Ebenso wurden das obere Forstamtsgebäude … und das gegenüberliegende Amtsgerichts- und Notariatsgebäude für die französischen Besatzungstruppen beschlagnahmt“, berichtet ein Chronist später in der Tageszeitung.
Unter Androhung von Militärtribunal und Todesstrafe wurden Ausgehverbote verhängt, und jede Reise musste genehmigt werden. Die ersten Bekanntmachungen der französischen Besatzung betrafen nicht nur Beschlagnahmungen von Fahrrädern, Radiogeräten und anderen Gegenständen, sondern betrafen auch die Ausgabe von Lebensmittelmarken und das Anstehen vor den Geschäften, bis hin zum Benutzen des Freibads. Ende April wurde per Rundschreiben an alle Bürgermeister und Verwaltungen die Anordnung erteilt, eine Liste von allen Mitarbeitern der Verwaltungen sowie allen Beamten bis hin zu Revierförstern zu erstellen. Dabei mussten nicht nur die persönlichen Daten erfasst werden, sondern auch die Mitgliedschaft in der NSDAP, die Dauer
und der Rang in der Partei.
Einsetzen der kommissarischen Bürgermeister
Gleich nach dem Einmarsch der Franzosen in Gernsbach wurde der bisherige Ratsschreiber Karl Bibbes zum kommissarischen Bürgermeister bestimmt, als Stellvertreter wurde Dr. Klaus Hoesch ernannt. Dies wurde bereits am 13. April 1945 vom französischen Kommandanten vollzogen. Als Stadtrat wurde Karl (Charly) Kappler aus Scheuern bestimmt. Dem Rücktrittsersuchen von Karl Bippes im August 1945 aus gesundheitlichen Gründen folgte Rudolf Schira, der am 13. August 1945 in das Amt des kommissarischen Bürgermeister berufen wurde.
Die französische Besatzung wollte in den verantwortungsvolle Positionen keinesfalls Vertreter der NSDAP. Daher hatten sie Rudolf Schira ausgesucht, da er nicht nur gute französische Sprachkenntnisse hatte, sondern vor 1933 der Sozialdemokratischen Partei angehört hatte und von den Nazis verfolgt worden war. „Als politisch Unbelasteten und in den letzten 12 Jahren schwerstens Verfolgter“ hatte der 41-Jährige ehemaliger Bauingenieur der Firma Laule die Voraussetzungen, die damals an eine Verwaltungsspitze gestellt waren.
Zu seinen Aufgaben gehörte die Schäden an Mensch und Gebäuden festzustellen, sowie die Anordnungen der französischen Besatzung an die Bevölkerung weiterzugeben. So musste er eine Aufstellung machen, wieviel Menschen zu Schaden gekommen sind: „insgesamt sind 13 Personen durch Kriegsereignisse in Gernsbach ums Leben gekommen“, hält er am 18. September 1945 fest. Doch der Druck der Besatzungskräfte auf die Verwaltung verstärkte sich, die Requisitionen nahmen immer mehr zu. Letztlich legte Rudolf Schira sein Amt nieder. Die Franzosen entschieden sich danach für August Müller, der das Amt des Bürgermeisters am 7. Januar 1946 antrat. Auch er war zuvor weder politisch aktiv, noch hatte er der NSDAP angehört.
Wohnungsnot und Zukunftsangst
Nach Kriegsende beherrschte Hunger und Wohnungsnot den Alltag der Menschen. Vertriebene aus den Ostgebieten wurden den Gemeinden zugewiesen und suchten ein neues Zuhause. In der Bevölkerung gab es viel Hilfsbereitschaft, man rückte zusammen, stellte Wohnraum zur Verfügung, aber es gab auch Unverständnis gegenüber den Flüchtlingen. Nicht immer verliefen die Einquartierungen reibungslos. Die einheimische Bevölkerung war selbst in Bedrängnis. Dazu kam die Trauer um verlorene oder vermisste Angehörige, die die Menschen bewegte.
„Die Verpflegung während des Krieges war mäßig, ging aber immer noch im Vergleich zu dem, was uns von 1945 bis 1948 in der französischen Zone erwartete“, erinnert sich die Gernsbacher Zeitzeugin Brigitte Rein im Rückblick auf die Nachkriegszeit.
Doch im April herrschte erstmal Ungewissheit, wie es weitergehen würde. Der Eintrag im Tagebuch von Frida Bohnert vom 14. April 1945 drückt die Angst vor der Zukunft ganz klar aus: „Heute Lebensmittelausgabe mit Marken… Aber was steht uns noch bevor?“
Das war selbst Ende 1945 noch nicht sicher. In den Wünschen des Bürgermeisters Rudolf Schira an die Bevölkerung zum Jahreswechsel 1945 wird aber auch die Hoffnung auf eine sichere Zukunft deutlich: „Schicksalshaft ist, was draußen geschieht. Hoffnungsvoll und zuversichtlich erwarten wir trotz allem das kommende Jahr und wünschen uns gegenseitig Erfolg im tätigen Leben und eine glücklichere Zukunft.“
… und im weiten Bogen zurück. Unterwegs kommt man an diesem bizarren Stein vorbei. Fast hätte ich ihn übersehen – obwohl er nicht klein ist -, aber die Aussicht auf der anderen Seite des Weges war eben zu spannend.