Holzfertighaus mit Geschichte
Wenn in diesen Tagen die Kinder in die Kinderkrippe in die Jahnstraße 7 einziehen, beginnt ein neuer Abschnitt in der über 80-jährigen Geschichte des Hauses.
Auf den ersten Blick sieht man diesem adretten Haus nicht an, dass es ein Stück Gernsbacher Wirtschaftsgeschichte verkörpert. Errichtet wurde es 1936 – und zwar als Musterhaus der Firma Katz & Klumpp. Dieses Haus ist eines der Musterhäuser der Fertighausabteilung des einstigen Unternehmens in der Bleichstraße.
Bereits nach dem Ersten Weltkrieg fertigte Katz & Klumpp Gewächshäuser auf dem Areal in der Bleichstraße. Daraus entstand eine eigene Abteilung: die Holzbauabteilung, kurz Hoba genannt. Der damalige Unternehmensleiter Helmuth Katz (1891-1969) hat nach dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise die Holzverarbeitung um ein neues Geschäftsfeld erweitert.
Er hatte auf seinen Reisen durch Schweden die Fertigung von Fertighäusern gesehen. Zuerst lief das Geschäft langsam an, zuerst wurden Holzbaracken hergestellt. Nachdem die anfänglichen Probleme überwunden waren – denn in Deutschland war diese Art zu bauen, noch unbekannt: die Versicherungen machten Schwierigkeiten, die Banken waren nicht bereit, diese Häuser mit Hypotheken zu beleihen – lief die Produktion auf vollen Touren.
Anfangs der dreißiger Jahre waren es 20 bis 30 Häuser pro Monat. Die Herstellung der Häuser war sehr lohnintensiv. Das bedeutete, dass in Gernsbach bis zu 450 Arbeitskräfte damit beschäftigt waren.
Das Schnittholz dazu wurde in den Sägewerken von Katz & Klumpp in Weisenbach und Gernsbach geschnitten, es wurde aber auch Holz aus benachbarten Sägewerken zugekauft. Im Gernsbacher Hobelwerk – die Holzhalle, die in diesem Frühjahr auf dem Pfleiderer Areal abgerissen wurde – standen große Hobelmaschinen und eine Schreinerei. In der Montagehalle wurden die einzelnen Elemente im Akkord zusammengefügt. Schon damals erkannte man, dass eine konsequente Normierung eine wesentliche Bedingung für die kostengünstige Fertigung darstellt.
Nach Kriegsende beschlagnahmten die Franzosen erst mal die Produktion in Gernsbach. Die Holzbauabteilung wurde von Nona Mayer-Katz übernommen. Ihre guten Französisch-Kenntnisse und die guten Beziehungen zur Besatzungsmacht machte die Abwicklung dieser Reparationspflichten um vieles einfacher. Es wurden Holzhäuser für den Wiederaufbau in Frankreich gefertigt. Dies hatte oberste Priorität. Und die Zahl der Beschäftigten wuchs auf 600. Etwa 50 Häuser wurden monatlich nach Frankreich geliefert.
Allerdings erfuhr diese Ausfuhr von Fertighäusern nach der Währungsreform 1948 einen radikalen Einschnitt. „Von heute auf morgen gab es kein Geschäft mit Holzhäusern mehr“, hielt Dr. Casimir Katz in seinen Erinnerungen „Der Kampf um die Firma“ fest. Die plötzliche Auftragseinbruch brachte auch eine kuriose Situation mit sich. Die letzte Bestellung der Franzosen lautete über 150 Häuser, von denen man bereits einige Teile gefertigt hatte. „Nun saß man mit 137 fertigen rechten Giebeln, aber keinem linken Giebel da“, geht es in den Erinnerungen weiter. In den nächsten Jahren konnten diese auch nicht mehr verarbeitet werden, weil in Deutschland niemand Geld hatte, sich ein solches Haus zu leisten. Zwei der Häuser wurden noch errichtet: beide stehen heute noch in Gernsbach, eines davon steht in der Austraße, das Modell Typ Gernsbach I steht in der Friedrichstraße.
Ein rares Dokument der letzten Phase der Hoba-Abteilung findet sich im Hauptstaatsarchiv in Freiburg. Dort ist festgehalten, dass sich im Jahr 1950 die Fa. Katz & Klumpp darum beworben hatte, Holzhäuser für den Vatikan zu liefern. Doch dieser Auftrag kam nicht mehr zustande.
1954 erfolgte die Auflösung der Hoba-Abteilung. Das bedeutete das Aus nicht nur für einen zukunftsträchtigen Fertigungsbereich, sondern auch für viele Beschäftigte. Die Arbeitskräfte wechselten zur Bierglasuntersetzerfabrik nach Weisenbach oder zu Daimler-Benz. Die Pläne, die Holzbau-Abteilung in eine Wohnbau-Abteilung großen Stils umzurüsten, wurden nicht weiter verfolgt. Der Plan hatte vorgesehen, der Holzabteilung ein Betonwerk und eine Abrichterei von Metallbestandteilen anzugliedern. Doch diese Pläne wurden nicht umgesetzt: 1954 wurde die Fertigungsstätte der Hoba zum Betonschwellenwerk umgebaut.
Lange Tradition als Wohnhaus
Das Haus in der Jahnstraße 7 wurde von Katz & Klumpp als Wohnhaus gebaut. Ende der dreißiger Jahre wohnte darin der Sohn des Prokuristen und Oberbuchhalter Gustav Abel sen. mit seiner Frau Gogi. Damals hieß die Adresse noch Gartenstraße 7. Erst 1952 wurde auf Antrag des Turnvereins Gernsbach die Umbenennung in Jahnstraße vollzogen. Gleichzeitig wurde die Genehmigung erteilt, ein Jahn-Denkmal an dem damaligen Progymnasium zu errichten.
Die Kriegsereignisse schrieben die Geschichte des Hauses weiter: Gustav Abel jun. war als Dolmetscher in der Wehrmacht eingesetzt und konnte die Familie seiner Frau, die aus Düren stammte, vor den Bombardements des Ruhrgebiets retten. Sie fanden Zuflucht in dem Haus am Bachgarten. Nach Kriegsende beschlagnahmten die Franzosen das schmucke Haus, erst 1957 wurde es wieder freigegeben.
Die Stadt Gernsbach, die seit 1963 Eigentümer des Hauses ist, hat dieses Haus zu Wohnzwecken vermietet. In den letzten Jahren wurde es als Anschlussunterkunft für Flüchtlingsfamilien genutzt. Einen prominenten Mieter hatte das Haus gleich zu Beginn der städtischen Ära in dem Haus: der katholische Pfarrer Heinz Marbach, der als junger Pfarrer 1964 nach Gernsbach kam, war kurz danach obdachlos, da ein Brand das Pfarrhaus vernichtet hatte und er erst mal eine Bleibe suchen musste. So zog er zum 1. Februar 1965 in das Haus ein, das nicht weit zu der Liebfrauenkirche liegt, und fand dort bis zur Fertigstellung des neuen Pfarrhauses sein Zuhause.
Nach der Sanierung des Hauses 2020 erstrahlt das Gebäude in neuer Pracht und sieht einer lebendigen Zukunft entgegen. Dank der umfassenden Renovierung der Innenräume, den Einbau einer Fluchttreppe, einer energetischen Sanierung und eines neuen Daches wurde ein modernes Heim für die neue Kinderkrippe geschaffen. Träger der Einrichtung ist die Spielwiese gGmbH. Die Gesellschaft, mit Sitz in Baden-Baden, unterhält weitere Einrichtungen in Gaggenau, Muggensturm und Rastatt. Dazu gehört auch der Waldkindergarten Gernsbach im ehemaligen Naturfreundehaus unter Leitung von Florian Kreuzer. Mit der Einrichtung kommt die Stadt Gernsbach dem Ziel, ausreichend Kinderkrippenplätze anzubieten, einen Schritt näher.
Gleichzeitig wird auch ein Relikt Gernsbacher Industriegeschichte vor dem Verschwinden bewahrt.
Regina Meier
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2020 im Casimir Katz Verlag am 15. September 2020