Zum 5. Mal trafen sich die Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaftler in Lindau
Für drei Tage verwandelte sich das Stadttheater Lindau in einen Hörsaal der Extraklasse. Insgesamt 17 Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften, wie der korrekte Titel der Laureaten heißt, präsentieren in diesem Jahr dort ihre Forschungen.
Groß war der Kreis, der sich um eine Teilnahme an dieser Veranstaltung beworben hatte. Über 350 junge Wissenschaftler nahmen an den zahlreichen Vorlesungen und Podiumsdiskussionen teil.
Die Keynote sprach bei diesem Treffen Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank. Dabei trat er als Verfechter der rigiden Geldpolitik der Zentralbank auf: „Wenn sich die Welt wie in den vergangenen zehn Jahren ändert, muss insbesondere die Geldpolitik angepasst werden.“
Mit dabei waren auch die Nobelpreisträger, die 2016 den Nobelpreis für ihre Forschungen auf dem Gebiet des Verhaltens privater Akteure und der Gestaltung von Public Policies erhalten hatten: Oliver Hart und Bengt Holström. Hart referierte in Lindau zu seinem Spezialgebiet: „Should a Company Pursue Shareholder Value?”, während Bengt R. Holmström auf das Thema „Debt and Money Markets“ einging.
Die Vorträge waren in diesem Jahr mit besonderem politischem Schwerpunkt. Eric S. Maskin sprach über „A Better Way to Choose Presidents”, wobei er hofft, dass aktuelle Ereignisse durch seine Forschungen erhellt werden können. Dabei legte er seine theoretischen Analysen vor, warum Donald Trump zum amerikanischen Präsident gewählt worden ist.
Roger B. Myerson behandelte „Local Agency Costs of Political Centralisation”, wobei er seinem theoretischen Modell ein praktisches Beispiel – in diesem Fall aus Botswana – gegenüberstellte.
Auch Lars Peter Hansen betonte in seiner Präsentation „Wrestling With Uncertainty in Climate Economic Models“ die politischen Dimensionen des Themas. Sir Christopher A. Pissarides untersuchte „Work in the Age of Robots” und stellte in einem Schaubild deutlich heraus, welche Berufsgruppen von der Digitalisierung besonders betroffen und wo die Gewinner der zukünftigen Arbeitswelt zu finden sind.
Die Treffen der Nobelpreisträger in Lindau haben bereits Tradition. So fand das jährliche Treffen der Nobelpreisträger der naturwissenschaftlichen Disziplinen in diesem Jahr bereits zum 67. Mal statt. Ausgangspunkt dieser Treffen war das Anliegen von Graf Lennart Bernadotte, Enkel des König Gustav V. von Schweden, ein Forum zu schaffen, das dem friedlichen Austausch der Wissenschaftler aus aller Welt dienen sollte. 1951 fand aufgrund seiner engen Beziehungen zum schwedischen Königshaus dieses Treffen erstmals in seiner Residenz auf der Insel Mainau statt. Man wollte eine Annäherung unter Wissenschaftlern nach dem Zweiten Weltkrieg erreichen. Die Nobelpreisträger sagten damals spontan zu und begründeten damit eine Tradition, die bis heute anhält.
2004 wurde diese Einrichtung auch für die Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften begründet. Allerdings erlebte Graf Bernadotte diese Erweiterung nicht mehr, seine Frau Sonja übernahm diese lang vorbereitete Aufgabe. 2008 hat Gräfin Bettina Bernadotte diese Schirmherrschaft von ihrer Mutter übernommen.
Bereits in den ersten Jahren der Lindauer Treffen wurde der Austausch der Laureaten um den Dialog mit jungen Wissenschaftlern, Ph.D.-Anwärtern und Studenten erweitert. Damit wurde das Erfolgsrezept der Treffen begründet, die verschiedenen Generationen der Wissenschaftler zusammenzubringen, die bereits Lorbeeren für ihre Erfolge und Forschungen errungen haben und jene, die am Start ihrer wissenschaftlichen Karriere stehen.
In diesem Jahr hat das Komitee eine Erweiterung in dem Austausch der Wissenschaftler geschaffen: Erstmals gab es am späten Nachmittag Seminare zu den Gebieten Mikroökonomie, Makroökonomie und Angewandte Mikroökonomie.
Tatsächlich nickten die Professoren nicht nur die Arbeiten der jungen Wissenschaftler ab, sondern gaben teilweise aus ihrem breiten theoretischen Wissen wertvolle Anregungen für die Weiterentwicklungen der jeweiligen Themen (siehe Kasten).
Für die zuhörenden Jungwissenschaftler ein besonderer Anreiz, seine eigenen Forschungsschwerpunkte mit den anderen zu messen. So waren trotz der vorgerückten Stunden diese Seminare intensiv besucht. Immerhin waren die Tage vom frühen Morgen an angefüllt mit Vorträgen, Podiumsdiskussionen, anspruchsvollem Austausch in den Pausen, in denen insbesondere die Nobelpreisträger umlagert waren und mit Fragen überhäuft wurden. Trotzdem waren die wenigen Plätze, die es für das zusätzliche Science Breakfast morgens um 7 Uhr gab, sehr schnell vergeben.
Das straffe Programm der Wissenschaftsveranstaltung ließ allerdings auch genügend Zeit zum gegenseitigen Kennenlernen. So gab es zum Auftakt einen geselligen bayrischen Abend. Doch schon am zweiten Abend beim offiziellen Festessen rückte Kanzleramtsminister Peter Altmaier in den attraktiven Räumlichkeiten des Dornier-Museums die Wirtschaftswissenschaften in den Mittelpunkt. Wohl wolle er als Jurist nicht über Ökonomie referieren, doch hat sich aus seinen Grundlagen-Vorlesungen in Wirtschaftswissenschaften das Ricardo-Modell eingebrannt. Er befürworte nicht nur den weltweiten Austausch der Wissenschaften, sondern auch des Handels und trete gegen Abschottung ein. „Je kleiner ein Land ist, umso wichtiger ist es, dass es international verbunden bleibt“, bekräftigte er seine Aussagen und ergänzte, dass sich die Bundesregierung dafür einsetze, dass der Weg zu offenen Märkten fortgesetzt wird.
Entspannende Phasen der Tagung gab es dann am Schlusstag. Bei einer entschleunigenden Bodenseefahrt von Lindau auf die Insel Mainau kamen sich die Wissenschaftler näher und man konnte sich über individuelle Zukunftspläne austauschen.
Doch kaum auf der Insel angekommen, gab es die abschließende Podiumsdiskussion. In großer Runde trafen sich die Laureaten James J. Heckman, Daniel L. McFadden und Sir Christopher A. Pissarides mit der jungen Wissenschaftlerin Rong Hai und dem Moderator Torsten Persson vom Institute for International Economic Stockholm zu dem Thema „What could and should we do about inequality?” Dabei wurden nach einem Versuch der Definition von Ungleichheit von den Wissenschaftlern konkrete Ansätze formuliert, wie man der Ungleichheit begegnen kann und durch internationale Beispiele untermauert: Sei es das Projekt der Pueblo Indianer in den Reservaten Casinos zu eröffnen oder die chinesische Gesundheitspolitik. Auf die Fragen nach den Gründen der Armut in Afrika konnte nicht umfassend eingegangen werden, Heckmann sieht die Gründe zum einen in den Handelsbeschränkungen und in der politischen Instabilität der jeweiligen Staaten. Wobei sich das Podium darüber einig war, dass das Chaos, das aus Ungleichheit und Armut resultiert, die größte Bedrohung für die globale Wirtschaft sei. Daher sind darin auch die zukünftigen Forschungsprojekte für Wirtschaftswissenschaftler zu suchen, spornte Pissarides die jungen Wissenschaftler an, sich darin zu engagieren. Mit dem treffenden Satz „I’m not sure if we’re any wiser, but at least we’re confused at higher level”, beschloss Persson die Podiumsdiskussion.
Wirkliche Entspannung setzte beim Science Picnic im Arboretum auf der Insel ein. Selbstverständlich wurden heimische Produkte der Bodenseeregion geboten und den Gästen aus aller Welt schmackhaft serviert.
Sicher ist, dass diese Verbindungen, die auf diesem Treffen geschaffen wurden, lange halten. Auch dies haben die Veranstalter aufgegriffen und aktuell das Lindau Alumni Network geschaffen. Dies bietet eine online Plattform für die ehemaligen Teilnehmer der Lindau Nobel Laureate Meetings. Mithilfe dieses digitalen Austausches soll der Geist von Lindau weiter lebendig gehalten werden.
Tagung erweitert um Seminare
Ein Novum gabs beim diesjährigen sechsten Treffen der Wirtschaftsnobelpreisträger in Lindau: Nicht nur die Laureaten hielten Vorträge, vielmehr traten auch die teilnehmenden Jung-Wissenschaftler als Referenten auf.
Jeweils zehn Nachwuchs-Wissenschaftler konnten in einem der neun Seminare ihre Forschungen vor einer Gruppe von Nobelpreisträgern vorstellen. Strikt eingehalten werden musste die maximale Präsentationslänge von sechs Minuten. Danach folgte noch eine Kommentar- und Fragerunde der etablierten Wissenschaftler, und schon folgte das nächste Thema. Strenge Kriterien lagen dieser Auswahl der Vorstellungen im Vorfeld zugrunde, um so mehr waren die ausgewählten jungen Referenten angespornt, eine eindrucksvolle Präsentation ihrer Ergebnisse vor den etablierten Wissenschaftlern zu halten.
Den Nobelpreisträgern wurde dabei die breite Vielfalt der Themen offenbar, die im Fokus der Nachwuchswissenschaftler stehen.
So boten die Themen genügend Zündstoff auch zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Nobelpreisträger Robert J. Aumann stellte bei dem Vortrag von Magdalena Helfrich, Universität Bayreuth, über „Salience in Retailing: Vertical Restraints on Internet Sales” grundsätzlich in Frage, ob man sich mit dem Thema des Internetverkaufs überhaupt auseinandersetzen müsse, da es Konsumenten gäbe, die die technologische Herausforderung eines online Shoppings nicht annehmen und daher eine Restriktion von Herstellern, ihre Güter im Internet zu verkaufen, ins Leere laufen.
Die Themen der jungen Wissenschaftler über ihre Forschungsarbeiten war so breit gefächert wie die Disziplin selbst. Da referierte Fabian Wahl, Universität Hohenheim, über „Does European Development Have Roman Roots? Evidence From the German Limes”, gefolgt von dem Vortrag „Children or Education, or Both? Fertility Prospects and Educational Investment in China During the One-Child-Policy“ von Eva Raiber, Toulouse School of Economics, und weiter ging es mit dem Thema „War and Behaviour” von Wolfgang Stojetz, Humboldt-Universität zu Berlin.
Rong Hai von der University of Miami sprach in den vorgegebenen sechs Minuten über „A Dynamic Model of Health, Addiction, Education, and Wealth“, daran schloss sich der Vortrag von Felix Resel, ifo Institut – Leibniz Institute for Economic Research an der Universität München, an: „ Activating History – the Turkish Sieges of Vienna, Anti-Turkish Campaigns, and the Rise of Right-Wing Populism“. Darin kam er zu dem Schluss: „Watch out: history may hit back.“
Insgesamt führte die Vielfalt der Themen vor Augen, dass die wirtschaftswissenschaftliche Forschung sehr wohl relevant für die Gesellschaft ist, wenn auch die Formulierung der Themen einen realitätsfernen Eindruck machte. Insgesamt maßen sie sich an der Feststellung, wie man den heutigen Problemen begegnen kann und entwickelten Lösungsansätze.
Beispiel dafür war der Vortrag von Blythe Adamson, Universität Washington „Incentivising Drug Adherence: Conditional Cash Transfers for HIV Patients“, oder von Rachel Cassidy, Universität Oxford, über „ The Power to Protect: Intra-Household Bargaining and Female Condom Use“.
Insgesamt gaben diese Seminare dem Treffen eine neue Qualität und machen diese Veranstaltung noch attraktiver, sich als Wissenschaftler um die Teilnahme zu bewerben – sofern man unter 35 Jahre ist. Mit einem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften in der Tasche wäre man automatisch dabei, so lautete auch der Schlusspunkt bei der Abschiedsrede des Vertreters der jungen Wissenschaftler auf der Insel Mainau!
Text und Fotos: Regina Meier
Hier gehts zur Druckfassung des Berichts über die Lindauer_Tagung August 2017
Weitere Details des Programms: Mediathek der Lindau Nobel Meetings