Mit dem Schiff nach Grönland

Danke für die tolle Resonanz auf den Vortrag „Mit dem Schiff nach Grönland“. Wir haben uns sehr gefreut, dass wir unsere Erfahrungen über das Entdecken dieses außergewöhnlichen Landes weitergeben konnten und dass uns so viele in dem angenehmen Ambiente der St. Erhard-Kapelle Obertsrot virtuell auf dieser Reise begleitet haben.
Interessant war, dabei einige Erfahrungen von Reisenden zu hören, die bereits in anderen nördlichen Regionen dieser Welt unterwegs waren. Ein herzliches Dankeschön an das Team vom Kirchl, das die Veranstaltung mit viel Engagement möglich gemacht und für das Wohl der Besucherinnen und Besucher gesorgt hat.
Wir kommen gerne wieder!
 

Am Dienstag, 5. Dezember 2023, 19.30 Uhr wird Werner im Kirchl, Obertsrot, über unsere Reise nach Grönland berichten. “Mit dem Schiff nach Grönland” lautet der Titel.

Grönland steht im Mittelpunkt des Abends, sowie die Reise mit dem Schiff dorthin. Grönland gehört sicher zu den ausgefallenen Reisezielen. Dennoch – nach unseren Erlebnissen auf unserer Island-Reise wurde die Idee geboren, noch weiter nach Norden zu gehen und die Faszination von Eis und Meer zu erleben.

Bereits die Anreise mit dem Schiff nach Grönland ist ein Erlebnis. Sechs Tage benötigt man mit dem Schiff von Deutschland bis zu der weltgrößten Insel. Dabei gehören Stopps auf dem Hin- und Rückweg auf den entlegenen Orkney Inseln, den Shetland Inseln und Island dazu. Die lange Zeit des Annäherns und des Verabschiedens von Grönland erlaubt es dem Reisenden auch, sich langsam an das Land mit der Mitternachtssonne zu gewöhnen. So kann man die lang andauernde Helligkeit eines Tages, in dem die Grenze zwischen Tag und Nacht verwischt wird, bewusst genießen.

Faszination Eisberge

Grönland wird bestimmt durch seine außerordentliche Lage in der Arktis. Sie gilt als größte Insel der Welt, von der mehr als dreiviertel des Landes  unter einer über 3 Kilometer starken Eisschicht liegen. Die riesigen Gletscher, die man bei der Fahrt entlang der Küste erleben kann,  bestechen durch ihre Dimensionen, doch auch die kleinen Eisschollen faszinieren in ihrer Vielfalt. Majestätische Gebirgszüge und die Gesteins-Vielfalt begeistern mit ihren Formen und Farben.

Das Durchfahren des Prins-Christian-Sunds und der Disko-Bucht gehören sicherlich zu den herausragenden Naturerlebnissen auf der Reise. Bunte, kleine Häuser an der Küste begrüßen die Ankommenden von Weitem, wenn man sich vom Meer aus den Städten nähert. In dem Erkunden der einzelnen Städten an der Westküste begegnet man den Ursprüngen aus der Wikinger-Zeit sowie den Einflüssen der frühen europäischen Arktis-Forschern.

Auf der Wanderung zum Eisfjord bei Ilulissat.

Auf den jeweiligen Land- und Bootsausflügen in Sisimiut, Ilulissat, Qeqertarsuaq und Nuuk erleben wir intensiv die Natur der arktischen Region und versuchen die unfassbaren Anpassung der Menschen an diese extremen Lebensbedingungen zu verstehen. Auf Wanderungen können wir die Fjordlandschaft und die grünen, von Moosen, Beeren  und Blumen geprägten Landschaften erleben.

Die Modernität der Hauptstadt Nuuk zeigt den tiefgreifenden Wandel in der heutigen Gesellschaft Grönlands. , das ein autonomes Gebiet innerhalb des Königreiches Dänemark bildet. Die politische Situation in dem Land, das ein autonomes Gebiet innerhalb des Königreiches Dänemark bildet, ist durch die neueren, umfangreichen Funde von Naturschätzen nicht einfacher geworden. Eine Reise nach Grönland umfasst auch immer das Beschäftigen mit den Auswirkungen des Klimawandels und der Veränderungen der kulturellen Identität der einheimischen Iniut. Deren traditionelles Leben wird zwischen althergebrachten Strukturen und Errungenschaften der Jetzt-Zeit auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Auf der Reise begegnet man auch modernen und traditionellen Kunsthandwerkern.

In dem etwa 1,5 stündigen Vortrag werden auch die Erlebnisse an Bord des Schiffes, das sich mit 400 Passagieren sich auf ihre letzte Reise machte, beleuchtet. Der Vortrag schildert die persönlichen Erlebnisse und Begegnungen einer Grönland-Reise vom Sommer 2023, denen eine intensive Beschäftigung mit der Literatur über das Land folgte.

Ein besondere Entdeckung dabei ist das Buch von Markus Lanz „Grönland – Meine Reisen ans Ende der Welt“, über das auch eine ZDF-Reportage „Sehnsucht Grönland“ entstand.

Vortrag: Dienstag, 5. Dezember 2023, 19.30 Uhr
Eintritt: 7,- Euro

im Kirchl, Obertsrot

Auswanderer 1923 – mit Gernsbacher Wurzeln

Fritz Schorn (rechts) wanderte 1923 nach Amerika aus. Foto: Familienarchiv Schorn

Vor 100 Jahren wagten so manche Deutsche den Sprung über den Atlantik, um in den USA ein neues Leben zu beginnen. Die wirtschaftlichen Nöte und die politischen Instabilitäten lösten so manchen Auswanderungswunsch aus. Einer der dies umsetzte war Fritz Schorn aus Gernsbach, der als Neunzehnjähriger 1923 in das verheißungsvolle Land Amerika ging. Dort begann er ein neues Leben und gründete eine Familie im fernen Westen der USA, in Kalifornien. Dabei behielt er immer den Kontakt zu seiner Familie in Deutschland durch regelmäßige Besuche nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine Erinnerungen an seine Kinder und Enkelkinder in Kalifornien weiter. Seine lebendigen Erzählungen hielt die Erinnerung an seine Kindheit und Jugend in seiner Familie lebendig. Und an ein Gernsbach wie es in den fünfziger und sechziger Jahren schon nicht mehr gab.

Fritz Schorn hielt deutsche Traditionen im fernen Kalifornien lebendig. Foto: Familienarchiv Schorn

Neben seinem Haus in San Francisco baute er ein Waldhaus in den Redwood Wäldern nahe der kalifornischen Metropole, da ihn die Landschaft dort so sehr an den Schwarzwald erinnerte. Dort bewahrte er so manches historisches Mitbringsel auf und traf sich mit anderen deutschen Auswanderern zum Binokel-Spielen und Oktoberfesten. Auch seinen Enkeln brachte er von seinen Deutschland-Reisen Dirndl und Lederhosen mit, selbst als diese schon längst nicht mehr zu den zeitgemäßen Kleidung in Deutschland gehörte. Durch seine Erzählungen schuf er die Grundlage in seinen Kindern und Enkelkindern die Verbindung zu der Familie in Deutschland nie abzubrechen – zur Freude aller jenseits und diesseits des großen Teichs.

In der BNN/BT vom 21. September 2023 wird die Auswanderung von Fritz Schorn wie auch seine Verbundenheit zu seinen Gernsbacher Wurzeln aufgegriffen. 

Schicksalsjahr 1923 – Teil 2

Im vergangenen Gernsbacher Bote 2/2023 erschien Teil 1 des Artikels über das „Schicksalsjahr 1923“. Hiermit wird der Rückblick auf das ereignisreiche Jahr vor 100 Jahren weiter fortgesetzt.

Auch für einen Gernsbacher war 1923 ein Schicksalsjahr. Der neunzehnjährige Fritz Schorn hatte seine Heimatstadt Gernsbach verlassen und war nach Amerika ausgewandert.

1922 war die Siedlung „Kolonie“ zwischen Schwarzwald- und heutiger Friedrich-Abel-Straße für die Werksangehörigen von Schoeller & Hoesch fertiggestellt worden. Quelle: Festschrift 1956 Jahre Schoeller & Hoesch

Ein wesentlicher Grund waren die schlechten Verdienstmöglichkeiten in dem von den Nachkriegswirren gebeutelte Deutschland, das politische und wirtschaftliche Existenzkämpfe erlebte. Die Inflation beherrschte das Wirtschaftsleben. Die Verdienste der Arbeiter wie auch der Beamten hielt mit den Teuerungsraten der Preise[1] nicht Schritt. So wandten sich die Lehrer der hiesigen Realschule in einem Schreiben vom Dezember 1923 an die vorgesetzte Behörde und reklamierten. Die Teuerungsraten in Gernsbach wären eine der höchsten in Baden. „Die Teuerung ist hier deshalb so groß, weil Gernsbach Industrie- und Kurort ist und in einem Verbraucherbezirk und nicht in einem Erzeugerbezirk liegt.“ Das Protestschreiben weist ebenfalls darauf hin, dass der größte Arbeitgeber am Ort, Schoeller & Hoesch, durch die firmeneigenen Werkswohnungen und der Versorgung ihrer Arbeiter mit Brenn- und Lebensmitteln viel für seine Mitarbeiter getan hat. 1922 war die Siedlung „Kolonie“ zwischen Schwarzwald- und heutiger Friedrich-Abel-Straße für die Werksangehörigen fertiggestellt worden.[2]

Viele Gernsbacher kamen jedoch nicht in den Genuss dieser Vergünstigungen. Viele verloren ihre gesamten Ersparnisse, die innerhalb kürzester Zeit nichts mehr wert waren. Selbst die Kirchengeläut in Gernsbach musste unter der Inflation leiden. Die katholische Kirchengemeinde hatte 1922 vier Glocken bestellt, die Glockengießerei stellte vor Anlieferung allerdings Nachforderungen. Stadtpfarrer Steinbach klagte: „dass die Glocken versandfertig seien, aber nicht abgeschickt würden, wenn wir nicht eine Nachforderung von circa drei Millionen Mark anerkennen würden.“  Letztlich stimmte die Gemeinde zu: „Sofort zugreifen, sonst bezahlen Sie in wenigen Tagen das Doppelte und Dreifache!“ Schließlich wurden am 23. Januar 1923 die neuen Glocken geliefert.

Durch die Inflation wurden ganze Bevölkerungsklassen enteignet, ein uraltes Vertrauen zerstört und ersetzt durch Furcht und Zynismus: „auf was war noch Verlass, auf wen konnte man bauen, wenn dergleichen möglich war“, summierte Golo Mann über diese Zeit in Deutschland.[3]

August Menges, Bürgermeister von 1919 bis 1933, erreichte in den 1920er Jahren, dass auch in Gernsbach Quäker-Speisungen ausgegeben wurden. Foto: Stadtarchiv Gernsbach

Besonders die Familien mit Kindern litten unter den Verhältnissen. Bereits 1920 war eine Kinderhilfe eingerichtet worden, eine staatliche Geldsammlung, deren Erlös Kindern aus Gernsbach, aber auch in ganz Baden zugute kam.[4] Außerdem hatte Bürgermeister Menges eine Hilfe der Quäker aus den USA erreicht. Die Quäkerspeisungen begannen bereits 1921 und unterstützten Gemeinden, „die in Bezug auf die Lebensmittelversorgung unter mißlichen Verhältnissen leiden.“ Für die Bewilligung dieser Hilfe musste zuerst eine ärztliche Untersuchung aller Kinder stattfinden, mit Größe und Gewicht.[5] Diese Listen belegen die schlechte Ernährungslage, unter der vor allem die Kinder litten. Dank der Quäker-Hilfe wurden wöchentlich Lebensmittel an die Kinder in den Schulen ausgegeben, die Unterlagen dazu finden sich noch heute im Stadtarchiv Gernsbach. 

Doch nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch befand sich Deutschland in einer Existenzkrise. Die Ruhrbesetzung und die politische Instabilität verunsicherte die Bevölkerung in ihrer Erwartung der Zukunft. So war in dem jungen Gernsbacher Fritz Schorn – wie bei vielen anderen – die Entscheidung gereift, dieses krisengeschüttelte Deutschland zu verlassen. Um nach Amerika zu gelangen, musste man einen „Paten“ im Land nachweisen.

Handgeschriebener Brief
Der erste Brief des Auswanderers Fritz Schorn aus dem Jahr 1923. Fotos (wenn nicht anders angegeben): Familienarchiv Schorn

Für Fritz Schorn bürgte sein Cousin Louis, der ihm die 110 Dollar für die Schiffs-Passage vorstreckte und im März 1923 noch 20 Dollar sandte: 10 Dollar für die Einwanderung, 2 Dollar für die Zugfahrt von Gernsbach nach Hamburg. „So werst du 8 Dollar uberich haben. Nimm gut acht von das Geld, du kannst es notwendig brauchen vielleicht“, schrieb Louis in seinem amerikanisch eingefärbten Deutsch.[6] Und einen weiteren Rat, den ihm der Cousin in den Inflationszeiten gab:  „Wechsel keinen amerikanischen Dollar, wenn es nicht notwendig ist, weil deutsches Geld ist nix wert in diesem Land.“

Zwei Männer an einer Theke
Fritz Schorn trat bereits 1927 in die US Coastal Guard ein.

Doch in Amerika erwartete ihn kein einfacheres Leben. Der hehre Wunsch, den Problemen in Deutschland zu entfliehen, folgte eine nüchterne Erkenntnis. In dem ersten Brief von Fritz Schorn, er noch in deutscher Schrift verfasste, hört man die Ernüchterung raus: „ins gelobte Land Amerika, wo Milch und Honig fließt, so man Geld hat“. „Hier muß man auch arbeiten, um Geld zu verdienen.“ Durch die Farmarbeit, die ihm sein Cousin anbot, verdiente er nicht genügend, um das geliehene Geld zurückzubezahlen. So wechselte er zu einer Fabrikarbeit, dann trat er in die US Coast Guard ein, die ihm die Einbürgerung in die USA erleichterte. Dies brachte ihn schließlich nach Kalifornien, wo er schließlich in San Francisco Fuß fasste. Dort traf er auf eine junge, deutsche Auswanderin aus Norddeutschland und gründete eine Familie. Sie kauften ein Haus in der quirligen kalifornischen Metropole. Bald folgte ein Wochenendhaus in den nahen Redwood-Wäldern, die bei ihm Erinnerungen an den Schwarzwald auslösten. Daraus wurde später sein fester Wohnsitz, noch heute wohnen seine Nachfahren dort.

Gruppenfoto von 1950
Bei dem ersten Klassentreffen des Jahrgangs 1904 nach dem Zweiten Weltkrieg, zu dem Fritz Schorn mit seiner Frau 1950 kam, wurde er herzlich willkommen geheißen. Christine Schorn mit Blumenstrauß sitzt rechts von ihrem Mann. Auf der anderen Seite Metzgermeister Anselm.

Den Kontakt zu Gernsbach hielt er sein Leben lang aufrecht. Er kam zeitlebens zu Klassentreffen des Jahrgangs 1904 und zeigte seinen beiden Töchtern in mehreren Reisen sein Elternhaus, in dem seine Schwester bis in die 1990er Jahre wohnte. Das Haus in der Waldbachstraße, das direkt an der Stadtmauer liegt, war für ihn immer Anlaufstelle bei den Besuchen in seiner Heimatstadt. In den siebziger Jahren brachte er seine Enkelinnen nach Gernsbach. Diese halten bis heute die Verbindung nach Gernsbach und den zwischenzeitlich freundschaftlich verbundenen ehemaligen Nachbarn.

Zwei Frauen sitzen vor der Kulisse von Gernsbach.
Die Enkelinnen von Fritz Schorn machten einen Besuch in der Heimatstadt des vor 100 Jahren ausgewandertn Großvaters. Foto: Meier

Bei einem kürzlichen Besuch der Enkellinen und der Ur-Enkelin in Gernsbach – fast genau 100 Jahre, nachdem ihr Urgroßvater seine Heimat verlassen hatte – ging sie den Spuren der Familie in den 1920er Jahren nach. Sie nahm nicht nur die Familien-Geschichte in Blick, es wurden auch Parallelen zu heute gesucht: 2023 werden die Angst vor der Inflation und der Kampf um Rohstoffe öffentlich diskutiert wie es 1923 an der Tagesordnung war. Allerdings – was uns als Bedrohung durch Krieg und Energiefragen derzeit beschäftigt, ist mit den Zuständen von 1923 nicht vergleichbar. Doch lohnt sich immer wieder der Blick zurück in die Vergangenheit.

Regina Meier

Der Artikel erschien im Gernsbacher Bote 3/2023, Seite 6-7

[1] Regina Meier, in: Gernsbacher Bote 2/2023 Seite 6f.
[2] Wolfgang Froese, in: Gernsbacher Bote 3/2014, S. 7f.
[3] Golo Mann, Deutsche Geschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, Frankfurt 1958, Seite 679
[4] Martin Walter, Prägende Jahre zwischen den Kriegen 1914-1945, in: „800 Jahre Gernsbach – die Geschichte der Stadt“, Gernsbach 2019, Seite 207
[5] Stadtarchiv Gernsbach,  Akte  4887
[6] Familienarchiv Schorn, privat, San Francisco

Begeisterndes DENKmal Altstadt

Schauspieler-Truppe von Cornelia Renger-Zorn führte die Zuschauer l in die Revolutions-Zeit. Foto: Meier

Flanieren von Denkmal zu Denkmal in der Gernsbacher Altstadt – mit Musik und Führungen! Das Konzept der Aktion DENKmal Altstadt ging am Samstag, 1. Juli, voll auf! Dank der guten Organísation durch das Kulturamt der Stadt Gernsbach mit Melanie Mußler und ihrem Team liefen die Vorbereitungen reibungslos ab, Akteure und Eigentümer der einzelnen Orte waren in die Planung eingebunden. Der Eröffnung durch Bürgermeister Julian Christ vor dem Kornhaus folgte gleich der erste musikalische Beitrag durch die Big Band des Albert-Schweitzer-Gymnasiums. Und dann gings Schlag auf Schlag. Im Bürgersaal des Alten Rathauses spielte das Violinensemble der Musikschule Gernsbach unter Leitung von Ulrike Merz auf.

Musica Antiqua trat im Keller des Alten Rathauses auf. Foto: Meier

Musica Antiqua hatte ihren Auftritt im Keller des Alten Rathauses. Im Kornhaus wurde durch das Kornhaus-Team bewirtet, und man konnte die Ausstellung zu Friedrich Weinbrenner auf eigenen Faust erkunden. In drei Führungen Mal gab Dr. Ullrich Schumann, Präsident der Weinbrenner-Gesellschaft, Erläuterungen zum Leben und Werk von Friedrich Weinbrenner. Auf den ausgestellten Tafeln wurde  über die Gernsbacher Stadtplanung des genialen Bauherrn berichtet. Vor dem Kornhaus trat zu abendlicher Stunde der Schulchor des Albert-Schweitzer-Gymnasiums unter Leitung von Eckhard Kleinbub auf. Zu Beginn war das Lampenfieber beim Chor aufgrund der zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauer groß, doch bald legte sich dies und die Sängerinnen und Sänger überzeugten durch ihren Auftritt.

Begehrt war die Teilnahme an der Führung zur 1848er Revolution. Cornelia Renger-Zorn hatte eigens für diesen Tag eine Szenenspiel zur Revolution von 1848 geschrieben. Wie zu erwarten, hatte sie auch eine Rolle für einen Freiwilligen aus dem Publikum vorgesehen – der Zufall wollte es, dass auch Bürgermeister Julian Christ in diese Rolle schlüpfen durfte.

Wolfgang Froese, Stadtarchivar, begrüßte die Besucher im historischen Gewand des 19. Jahrhunderts vor dem ehemaligen Gasthaus “Goldener Bock”, Hauptstraße 20, und gab eine erste Hinführung zu den Ereignissen 1848 in Gernsbach, bevor in den Keller des Gebäudes geführt wurde. Dort erwartete die Besucher gemütliches Ambiente, und die Schauspieler-Truppe von Cornelia Renger-Zorn tat ihr übriges, dass man sich schnell in die Revolutions-Zeit zurückversetzt fühlte. Sie schrieb eine Konversation zwischen Casimir Griesbach (Demokrat, Republikaner), der von Günther Schermer gespielt wurde, und Wilhelm Grötz (konservativ-konstitutionell), dargeboten von Wolfgang Froese. Vielleicht hat auch der Ausschank eines Getränkes durch die Truppe das Übrige dazu beigetragen, dass man sich gar nicht mehr von den Bänken im Keller erheben wollte.

Bernd Säubert führte durch den Keller neben dem Kornhaus und konnte viele Details über die “Unterwelt” von Gernsbach erzählen. Foto: Meier

Das Highlight waren die beiden privaten Keller, die eigens zu diesem Anlass geöffnet wurden. Das eine war der Keller von Hauptstraße 28/30 und der andere der Wolkensteinsche Keller in der Turmgasse. Bernd Säubert führte durch den Keller neben dem Kornhaus und konnte viele Details über die “Unterwelt” von Gernsbach erzählen. Dr. Alexander Hoff ermöglichte den Zugang der Wolkensteinschen Keller und gab einen Einblick in die Sanierung mittelalterlichen Gewölbes. Dort wurden auch Erinnerungen an die 1970er Jahre wach, als die Keller während der ersten Altstadtfeste zu Bewirtung geöffnet waren – bei dem aktuellen Bauzustand unvorstellbar.

In den Zehntscheuern führten Stephan de Laporte, Regina Meier und Irene Schneid-Horn durch zwei der historischen Stockwerke, Mitglieder des Forums Zehntscheuern standen für Fragen die ganze Zeit zur Verfügung. Ein Schmankerl am Rande bildete der Besuch eines Brautpaares. Zufällig kam ein Brautpaar, das kurz zuvor im Bürgersaal des Alten Rathauses getraut worden war, bei den Zehntscheuern vorbei und war von dem Ambiente des Gebäudes so fasziniert, dass sie es spontan für ihr Hochzeitsfotos-Shooting wählten. Von dieser Stelle nochmals herzlichen Glückwunsch!

Kanonsingen “Mach mit” vor dem KUNSTRaum, Hauptstraße 23. Foto: Annegret Kalvelage

Ein Schmankerl bot Sabine Giersiepen in der Hauptstraße 23. Vor dem KUNSTRaum, wo Stein- und Holzskulpturen von Annegret Kalvelage ausgestellt werden, hatte sie eingeladen zum Kanonsingen “Mach mit”. Mit Unterstützung von Freunden versammelte sie an drei Terminen sangesfreudige Menschen, die zufällig oder gezielt vorbeikamen und den mehrstimmigen Chor bereicherten. Eine ansteckende Mitmach-Aktion.

Und zwischendrin konnte man einkehren in die Lokale der Stadt. Bestes Sommerwetter tat sein übrigens hinzu, dass die Besucher bis in die Dunkelheit hinein den Stadtbuckel “nuff und runner” unterwegs waren.

Als es langsam dunkel wurden, konnten auch die Aktiven und die Mitarbeiterinnen der Tourist-Info aufatmen – kein störender Regen sowie rundum zufriedene Besucherinnen und Besucher. Bis die letzten Keller geschlossen und alle Tore der Zehntscheuern verriegelt waren, dauerte es noch etwas. Am nächsten Tag war der Bauhof nochmal aktiv, baute Hinweisschilder und Absperrungen wegen der Abgrenzungen der mobilen, zusätzlichen Toiletten ab und das tägliche Altstadtleben nahm seinen Lauf.

Im Rückblick ein tolles Zusammenspiel von Verwaltung, Kulturschaffenden, Altstadt-Bewohner und Altstadt-Aktiven. Danke für dieses harmonische Miteinander. Die Veranstaltung ruft nach einer Wiederholung. Nächstes Jahr?

Regina Meier

Der Artikel erschien im Gernsbacher Bote 3/2023, Seite 13

Die Glocken der Liebfrauenkirche

Weithin klingen die Glocken Gernsbachs über die Stadt. In diesem Jahr kamen zu dem abgestimmten Geläut der Kernstadt noch eine weitere Besonderheit hinzu: Die Glocken der Liebfrauenkirche erklingen nun zusätzlich am Morgen und am Abend zum Gebetsläuten.

Pfarrer Markus Moser hat dies wieder eingeführt. Die Tradition reicht weit zurück in die Geschichte und hat auch noch heute in der lärmerfüllten Zeit ihre Berechtigung. Das Läuten lässt die Menschen bewusst wahrnehmen, dass es noch etwas anderes als ein gehetztes und vergängliches Erdenleben gibt. Die evangelische Jakobskirche hat über die Jahre hinweg das Mittagsläuten um 12 Uhr und das Abendläuten um 19.30 Uhr bewahrt. Nun ergänzt die Liebfrauenkirche mit dem Läuten der Glocke Heiliger Erzengel Michael um 7 Uhr das vielstimmige Geläut (außer am Wochenende). Auch das 12-Uhr-Läuten der Liebfrauenkirche wird von der Michaelsglocke bestritten. Nur beim Abendläuten kommt nach der Michaelsglocke zum Abschluss noch die Glocke Heiliger Schutzengel zu Gehör, die kleinste Glocke in dem fünfstimmigen Geläut.

Fünf Glocken in der Liebfrauenkirche

Die größte Glocke der Liebfrauenkirche ist der Namenspatronin der Kirche geweiht und zeigt in dem umlaufenden Fries Abbildungen zu den Sieben Schmerzen Marias. Hier die Flucht aus Ägypten. Foto: Meier

Insgesamt umfasst die Glockenstube der Liebfrauenkirche fünf Glocken, die jeweils einen Namen, eine eigene Inschrift und Verzierung haben[1]:
1 Maria Mater Dolorosa. Der Durchmesser der Glocke beträgt 1300 mm, Gewicht 1500 kg, Ton es. In einem umlaufenden Fries sind Bilder eingegossen, die die sieben Schmerzen Marias symbolisieren.
2 Heiliger Erzengel Michael, Durchmesser 1160 mm, Gewicht 1100 kg, Ton f. In einem umlaufenden Fries sind Bilder eingegossen, die die vier Tugenden darstellen. Deutlich zu erkennen sind eine Waage (Sinnbild für die Gerechtigkeit), eine Säule (die Stärke), Gefäße (Mäßigung: Mischung von Wasser und Wein) und ein Spiegel (die Klugheit: der kluge Mensch hält sich einen Spiegel vor, und denkt über seine Taten nach).
3 Seliger Bernhard von Baden, Durchmesser 980 mm, Gewicht 640 kg, Ton as.
4 Joseph, Durchmesser 840 mm, Gewicht 380 kg, Ton b. Sie besitzt vorne eine Inschrift. „Brüder, den guten Gott liebet, christliche Nächstenliebe übet.“
5 Heiliger Schutzengel, Durchmesser 750 mm, Gewicht 280 kg, Ton c.

Das Läuten der Glocke wird heute über eine elektrische Steuerung geregelt, die Glocken werden von Motoren angetrieben. Ältere Gernsbacher erinnern sich noch, dass bis in die 1960er Jahren die Glocken durch Seile vom Turmraum aus geläutet wurde. Der Messner Haitz musste damals noch die Uhr von Hand aufziehen und dazu mehrere Stockwerke hoch in den Kirchturm steigen, erinnern sich ehemalige Messdiener, da sie ihn bei seinem Gang begleiten durften. Im Stadtarchiv findet sich dazu ein Beleg: Immerhin erhielten die beiden Kirchendiener für das Aufziehen der Kirchenuhren und das Zeitläuten eine Entschädigung von täglich eine halbe Stunde Arbeitszeit aus der Stadtkasse bewilligt. Dies ist die Besonderheit: Während das Läuten zum Gottesdienst und Gebet kirchliche Angelegenheit ist, obliegt der Stadt die Zeitansage.[2] Auch wenn es heute nicht mehr so bedeutsam ist, dass vom Kirchturm die Zeit strukturiert wird, so ist es doch ein Symbol für die Einbindung des Menschen in die soziale, kulturelle und religiöse Gemeinschaft.

Geschichte der Glocken

Die älteste Glocke im Geläut der Liebfrauenkirche ist die Josephs-Glocke, die sich seit 1923 im Kirchturm befindet. Foto: Meier

Die derzeit älteste Glocke im Turm der Liebfrauenkirche wurde vor 100 Jahren installiert. Die Geschichte der Glocken in Gernsbach ist wesentlich älter.  Schon 1626 sind drei Glocken nachgewiesen. Die „Burger-Glocke“ wird 1774 erwähnt.[3] Aufschlussreich sind die Kostenverteilungen im 17. und 18. Jahrhundert zwischen Stadtverwaltung sowie evangelischer und katholischer Gemeinde bei den Reparaturen an den Glocken. Diese wird auch bei der Erweiterung der Liebfrauenkirche im 19. Jahrhundert dokumentiert.[4]

Ein Archivdokument von 1782 beschreibt die Kostenverteilung, als große gesprungene Glocke der Liebfrauenkirche wiederhergestellt wurde. Die Kosten dafür wurden „nach uralter Observanz“ zur Hälfte von der Stadtverwaltung, zum anderen von der Katholischen Kirchengemeinde getragen.[5]

Einschneidende Veränderung in den Glockenbestand der Stadt gab es während des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Etwa 65.000 Glocken wurden im Ersten Weltkrieg in Deutschland zu Kanonen umgegossen. Viele Kirchengemeinden betrachteten das „Glockenopfer” als einen patriotischen Akt. Glocken waren wegen ihrer Bronze kriegswichtiges Material und wurden während zuerst freiwillig abgegeben, dann zwangsweise eingezogen.

3 Glocken auf einer Ladefläche
Eine seltene Aufnahme hat die Abgabe der Glocken 1917 auf der Waage bei der ehemaligen Kelter in der Gottlieb-Klumpp-Straße dokumentiert. Foto: Familienarchiv Bohnert

Im September 1917 wurden Glocken der evangelischen und katholischen Kirche abgegeben und nach Rastatt überführt. Von der Liebfrauenkirche wurden die Glocken 1,2 und 4 mit insgesamt 1.500 kg und von der St. Jakobskirche die Glocken 2 und 3 mit insgesamt 1.500 kg eingezogen. Bereits im Dezember 1919 werden sie als „bereits zerschlagen“ vermerkt.[6]

Bei der Wiederbeschaffung, die von der Stadt aus „moralischen Gründen“ zur Hälfte finanziert wurde, wurde die Vereinbarung getroffen, dass sich die Kirchen zum „üblichen Zeitläuten verpflichten“. Am 8. Juli 1921 stimmte der Bürgerausschuss unter dem Vorsitz von Bürgermeister Menges zu, dass die Neuanschaffung der großen Kirchenglocke für die evangelische und katholische Kirche von der Stadtkasse übernommen wird.

Die protestantische Gemeinde schloss einen Vertrag mit der Firma Bachert in Karlsruhe ab, während sich die katholische für die Firma Grüninger in Villingen entschied. Beauftragt wurden von der katholischen Gemeinde vier Glocken mit Liefertermin Februar 1922. Doch die Hyperinflation der 1920er Jahre warf die Pläne über den Haufen. Während von der evangelischen Kirche bereits Weihnachten 1921 das neue Geläut zu hören war, wurden der katholischen Gemeinde im Mai 1922 erstmal Lohnnachforderungen in Rechnung gestellt. Schließlich sah sich der damalige Stadtpfarrer Karl Steinbach gezwungen, die Gemeindemitglieder zu beruhigen, die sich nach dem neuen Geläute erkundigten. „Meine Pfarrkinder wurden von Woche zu Woche ungeduldiger, aufgeregter,“ schrieb der Pfarrer. Schließlich erhielt er die Nachricht vom Glockengießer, „dass die Glocken versandfertig seien, aber nicht abgeschickt würden, wenn wir nicht eine Nachforderung von circa drei Millionen Mark anerkennen würden.“ Hintergrund war die rasant ansteigende Inflation, die eine unvergleichbare Geldentwertung zur Folge hatte. Die weiteren Verhandlungen ermöglichten es, dass  am 21. Januar 1923 es endlich soweit war. Die neuen Glocken wurden in der Liebfrauenkirche installiert.

Erneutes Glockensterben im Zweiten Weltkrieg

Der nächste Einschnitt im Glockenbestand kam mit dem Zweiten Weltkrieg. Nach einer Anordnung vom 15. März 1940 durften die Kirchenglocken nur bei Tage geläutet werden. „Von 18 bis 8 Uhr haben sämtliche Kirchenglocken zu schweigen.“ Doch diese Anordnung war bald nicht mehr von großer Bedeutung. Denn bereits im April 1940 wurden die Kirchenglocken der Stadt wieder eingezogen. Der Rohstoff wurde als kriegswichtig eingestuft. Im April 1940 dokumentiert der Meldebogen für Bronzeglocken der Kirche für die Liebfrauenkirche, dass von den vier Glocken drei abgeliefert wurden. Danach wurden die Glocken mit der Meldenummer 1, 2 und 4 mit insgesamt  abtransportiert. Nur die Josephsglocke 3 durfte bleiben. Somit ist sie heute die älteste Glocke der Liebfrauenkirche.

Foto: Familienarchiv Bohnert

Das Abliefern der Glocke wurde damals als Eingriff  in die Identität der Gemeinde empfunden. Daher ist es verständlich, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Anschaffung von neuen Glocken sehr wichtig für die Pfarrgemeinde war. Bereits 1950 wurde vom Geistlichen Rat Ernst Bernauer die Anschaffung von vier Glocken beantragt. „Die kath. Kirchengemeinde will zu der vorhandenen b’Glocke noch vier weitere Glocken mit den Tönen es-f-as-c anschaffen.“ Diesem Antrag wurde umgehend stattgegeben. Mit vielen Aktionen wurde in Gernsbach damals die Anschaffung unterstützt. So fand im Oktober 1949 ein „Seifen-Kistel-Rennen“ mit 80 kleinen Rennkünstlern zugunsten der katholischen und evangelischen Kirchenglocken statt. Als Höhepunkt des Oktoberfestes wurden „8 Große Ausscheidungs-Boxkämpfe unter der bewährten Kampfleitung von Ex-Weltmeister Max Schmeling“ veranstaltet.

Aktuelle Anpassungen

5 Glocken in der Glockenstube
Das Geläut der Liebfrauenkirche umfasst fünf Glocken. Foto: Meier

Die Anlage im Turm der Liebfrauenkirche erfuhr im Jahr 2016 eine umfassende Sanierung, dabei wurde in dem Glockenstuhl die Stahlaufhängung durch eine Holzlösung erneuert. Der Uhrenschlag ertönt von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr nachts. In den Uhrenschlag sind alle Glocken eingebunden. Hierbei übernehmen die Glocken 2, 3, 4 und 5 den Viertelstundenschlag, Glocke 1 lässt die Stunde erklingen (Westminsterschlag).

Bei seinem diesjährigen Kontroll-Besuch hat Glockeninspekteur Uwe Kühnau von der Firma Schneider aus Schonach eine weitere Änderung im Geläut der Liebfrauenkirche einprogrammiert: Seit Anfang Juli ist samstags um 17.01 Uhr das Sonntagseinläuten zu hören. Dabei kommen alle Glocken zum Klingen. Kühnau bewunderte bei seiner Arbeit im Gernsbacher Turm, dass das Geläut sehr gut aufeinander abgestimmt ist und dass auch die Anschlagstärke der Klöppel gut ins Gesamtgefüge passt. 

Der Glockenschlag in Gernsbach ist harmonisch aufeinander abgestimmt. Quelle: Andreas Diemer

Für alle, die zukünftig das Glockenläuten bewusster wahrnehmen, wird vielleicht eine weitere Dimension eröffnet: Es ruft in uns die Ewigkeit und die Zerbrechlichkeit des Lebens in Bewusstsein, wie es in dem berühmten Gedicht von Friedrich Schiller „Die Glocke“ ausgedrückt wird.[7] „Glocken sind Klang gewordene Geschichte eines Ortes“, versichert Thomas Wilhelm, der Orgel- und Glockensachverständige der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). „Wir müssen besser vermitteln, welchen Schatz wir mit den Glocken haben.”

Regina Meier

Der Artikel erschien im Gernsbacher Bote 3/2023, Seite 8-9

[1] https://www.ebfr-glocken.de, Abruf 15. August 2023

[2] Stadtarchiv Gernsbach Akte 1448

[3] Die Kunstdenkmäler des Landkreises Rastatt, Karlsruhe 1963, Seite 164

[4] Erzbischöfliches Archiv Freiburg, Kirchenbaulichkeit Amt Gernsbach, B22/8492, 1756-1832

[5] Stadtarchiv Gernsbach Akte 1448

[6] Stadtarchiv Gernsbach Akte 1448

[7] Wolfgang Vögele, Sono auribus viventium, Kultur und Theologie des Glockenläutens in Reformation und Moderne, Berlin 2017 

Klassische Wege: Ruhestein – Wildsee

Wir schaffens mal wieder an einem Sommertag im Schwarzwald zu wandern. Wegen der hohen Temperaturen wählen wir einen Wanderweg nahe dem höchsten Gipfel des Nordschwarzwalds. Wir wandern auf einem traditionellen Weg: vom Ruhestein zum Wildsee. Der Start ist beim Nationalparkzentrum Ruhestein. An diesem Sonntagmorgen bequem zu erreichen, ohne Andrang und Verkehr.

Ein Klassiker im Nordschwarzwald. Und doch haben wir diesen Weg noch nie gemacht. An diesem Sonntag haben sich dies mehrere Gruppen vorgenommen, unter anderem auch eine Gruppe, die mit einem Landtagsabgeordneten unterwegs ist und der wir immer wieder begegnen. Bereichernd war, dass beim Eingang zum Naturpark Nordschwarzwald eine Rangerin und ein Ranger mit einem mobilen Stand vor Ort waren und nicht nur Erklärungen zum Auerhahn gaben, sondern gleich noch ein prachtvolles Anschauungsexemplar dabei hatten. Doch neben all den Bilderbuch-Ansichten des Schwarzwaldes in diesen Höhen bleibt eines nicht aus: die zahlreichen dürren Fichten inmitten des Waldes. Der Wassermangel, die hohen Temperaturen und die Borkenkäferattacken haben dem Wald kräftig zugesetzt und durchsetzen die grünen Waldflächen mit manch kargen Skelletten von Baumstämmen. Doch wir sehen auch viele Bereiche, in denen sich der Wald wieder regeneriert: er ist abwechslungsreich und gut strukturiert. Tannen, Kiefern, Eichen lassen sich entlang des Weges entdecken.

Auf diesem Wegabschnitt findet sich auch das Euting-Grab. Eine gepflegte Anlage inmitten des Waldes erinnert an Geheimrat Professor Julius Euting (1838-1917).  Der international anerkannte Orientalist und Wissenschaftler hat sich um die Erschließung von Wanderwegen in den Vogesen und dem Schwarzwald einen Namen gemacht. Sein bevorzugtes Wandergebiet lag um den Ruhestein herum. Große Teile seiner Sammlung wurden an das Linden-Museum in Stuttgart geschenkt, seine Urne wurde auf dem Seekopf auf dem  Ruhestein beigesetzt. Alljährlich am 11. Juli wird hier in Erinnerung an ihn, Besuchern und Wanderern eine Tasse arabischen Mokkas ausgeschenkt. Dies hat sich der Arabienforscher in seinem Testament so gewünscht. Und die Julius-Euting-Gesellschaft kommt diesem Wunsch in Verbindung mit dem Heimat- und Museumsverein Freudenstadt bis heute nach. Anscheinend wird diese Veranstaltung gut besucht! Das sollten wir uns mal fürs nächste Jahr vormerken.

Trotz der hohen Temperaturen war diese Etappe vom Ruhestein zum Wildsee und zurück, die sich ja knapp unter der 1000-Meter-Grenze bewegte, eine angenehme Tagestour. Dank der gemütlichen Einkehr auf der Darmstädter Hütte und dem Abschluss in der Ruhestein-Schänke war das Ganze auch ein geselliges Vergnügen. Der gute Trunk aus frischen Himbeeren hat dazu seinen Beitrag geleistet.

Schicksalsjahr 1923

Aufnahme der Murgpartie um 1925. Deutlich zu lesen ist das Firmenschild „Rheinische Creditbank“, die größte Bank in Baden bis 1929, die 1919 eine Filiale in Gernsbach gründete. Quelle: Stadtarchiv Gernsbach

Jahrzehntelang wurde das Jahr 1923 nicht sonderlich von der Geschichtsforschung beachtet. Die Folgen von 1933 und der Machtergreifung Hitlers beschäftigten die Historiker wesentlich mehr. Doch nun zum 100. Jahrestag rückt das Jahr stärker in den Fokus. Nicht so sehr die goldenen zwanziger Jahre stehen im Mittelpunkt, mehr die Auswirkungen der Hyper-Inflation und die Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen, um die dortige Kohle- und Koksproduktion zur Erfüllung der Reparationsverpflichtungen zu sichern. Historiker urteilen mittlerweile, dass 1923 ein Wendepunkt in der europäischen Geschichte war.[1]

Fritz Schorn wanderte 1923 als 19-Jähriger von Gernsbach in die USA aus. Foto: Familienarchiv Schorn

Auch für einen Gernsbacher war 1923 ein Schicksalsjahr. Der neunzehnjährige Fritz Schorn verließ Gernsbach und wanderte nach Amerika aus. Diese Entscheidung hat er sich nicht leicht gemacht, doch er wollte raus aus dem kleinen Haus, in dem er mit seinen Eltern und seinen drei Geschwistern lebte. In dem historischen, direkt auf der Stadtmauer Gernsbachs aufgesetzte Haus am Waldbach hatte er seine Kindheit verbracht.

Im Jahr 1923 stieg die Zahl der Auswanderer nach Amerika wieder an.[2] Während des Ersten Weltkrieges war eine Auswanderung nicht möglich, nach 1920 nahm sie stark zu.[3] Während es 1920 noch 19 Personen in Baden waren, die sich nach Amerika aufmachten, zählte man 1921 insgesamt 639 und 1923 sogar 7.154 Menschen. Dies war die höchste Zahl der jährlichen Auswanderer. Da ist deutlich die wirtschaftliche Notlage herauszulesen, unter denen die Badener litten. Insgesamt verließen zwischen 1921 und 1933 rund 42.000 Badener das Land. Fritz Schorn aus Gernsbach war also einer von vielen, die sich aus den schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen aufmachten, um in Amerika bessere Verdienstmöglichkeiten zu finden.

Zu Beginn der zwanziger Jahre herrschte eine beispiellose Inflation und erschwerte die Lebensbedingungen in Deutschland. Die Reparationszahlungen, zu denen Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verpflichtet wurden, heizte die Geldentwertung an. So finden sich im Stadtarchiv Gernsbach Nachweise zu den Preisen der wichtigsten Lebensmittel, die regelmäßig an das Badische Landespreisamt gemeldet werden mussten.[4]

Am 16. Februar 1920 kostete in Gernsbach ein Roggenbrot 74 Pfennig, 1 kg Butter 12 Mark, ein Ei 42 Pfennig. Die schwierigen Verhältnisse werden schon in den Anmerkungen angedeutet: „Die Kartoffelversorgung war ungenügend und die im Schleichhandel dafür bezahlten Preise sehr verschieden.“ 

Am 23. August 1922 war der Butterpreis bereits bei 480 Mark, ein Ei bei 9,50 Mark, Roggenbrot bei 85 Mark. Und die Preise stiegen unaufhaltsam. Am 20. August 1923 wurde für Roggenbrot 500.000 Mark, für Butter 8 Millionen Mark und für ein Ei 250.000 Mark aufgeführt. Und wenn man erwartet, dass es da keine Steigerung mehr geben könnte, hat weit gefehlt. Bei der Meldung vom 5. November 1923 steht der Butterpreis mit 250 Millionen Mark in der Liste, für Roggenbrot und Eier werden schon gar keine Preise mehr gelistet, da es schon rasante Preisveränderung zwischen dem Vormittags- und Nachmittagspreis gab.

Im  November 1923 wurden die Preise in der Statistik nur noch in Billionen angegeben: 1 Roggenbrot 50 Billionen , Butter 6 Billionen, ein Ei 100 Millionen Mark.[5] Eine Dimension, die unsere Vorstellungskraft übersteigt, astronomische Zahlen, unkalkulierbar.

Erst die Währungsreform, die im Oktober 1923 von dem Kabinett Stresemann beschlossen wurde, machte diesem Spuk ein Ende. Mit der Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 stabilisierten sich die Verhältnisse, die Inflation war überwunden.[6] Im Januar 1924 bedankt sich das Statistische Landesamt Karlsruhe bei den Gemeinden für die „tatkräftige Unterstützung bei der Beschaffung der Unterlagen“ und teilt mit, dass nun die „Erhebung und Einsendung der Kleinhandelspreise in Wegfall“ kommt. Sicher zur Erleichterung des Bürgermeisteramtes. Die erste Statistik im Januar 1924 verzeichnet daher wieder „vernünftige“ Preise. Ein Roggenbrot kostet 33 Pfennig, Butter 4 Mark, ein Ei 22 Pfennig. [7]

Geldschein 100 Milliarden Mark wurde 1923 von der Stadt Gernsbach ausgegeben.

In den Jahren der Hyperinflation konnte auch die Ausgabe der Zahlungsmittel nicht Schritt halten. Seit 1920 wurde Notgeld gedruckt, 1923 liefen die Druckmaschinen für Banknoten auf Hochtouren. Die Reichsbank konnte den Bedarf an Papiergeld nicht mehr decken, Münzen waren schon längst verschwunden. Nun gaben Städte, Firmen und Geldinstitute Geldscheine aus. Beim Innenministerium in Karlsruhe hatten die Gemeinden Gaggenau, Gernsbach, Weisenbach und Forbach beantragt, dass sie eigenes Geld ausgeben dürfen, weil die Betriebe keine Löhne und Gehälter mangels Geldscheinen auszahlen konnten . Den „gemeinsamen Druck von 70 Millionen Mark Notgeld“ wurde den Gemeinden per Telegramm genehmigt. Doch schon vier Wochen später waren diese Scheine nur die Hälfte wert.

Kunstvoll waren die Geldnoten in den Inflationsjahren verziert.

So kam auch Gernsbach zu individuellen Noten. Bereits im Oktober 1922 wurde von der Stadt Gernsbach neue Scheine ausgegeben, von einer Stückelung von einem Zwanzig-Mark-Schein mit einem Bild von Gernsbach bis zu einem 5.000-Mark-Schein.[8]  Im September 1923 folgten ein 10 Millionen-Mark-Schein, sowie 10- und 100-Milliarden-Schein. Dieser Schein ist ein herausragendes Exemplar, bildet er doch den Storchenturm mit einem sinnigen Spruch ab: „Froh steht der Storch auf seinem Turm, wenn’s kalt wird, fliegt er weiter. Oh Mensch vertrau! Nach jedem Sturm wird’s Wetter wieder heiter.“ Alfred Kusche, Professor an der Karlsruher Baugewerbeschule, hatte für Gernsbach schön gestaltete Geldscheine entworfen und versah sie mit sinnigen Sprüchen. Irgendwann sparte man sich die aufwändige Gestaltung, man kam mit den Verzierungen nicht mehr nach.

(Fortsetzung folgt)

Regina Meier

[1] Ruhrbesetzung 1923 – Ein Jahr spricht für sich“, Hrsg. Werner Boschmann, Bottrup 2023, Seite. 198

[2]  Willi A. Boelcke, Sozialgeschichte Baden-Württembergs 1800 – 1989, Seite 303

[3] Karl Stiefel, Baden, Band 1, Karlsruhe 1977, Seite 432

[4] Stadtarchiv Gernsbach, Verwaltungssachen, GE Abt. II, Nr. 3315A 

[5] Stadtarchiv Gernsbach, Verwaltungssachen, GE Abt. II, Nr. 3315A

[6] Volker Ulrich, Deutschland 1923 – Das Jahr am Abgrund, München 2022, Seite 258

[7] Stadtarchiv Gernsbach, Verwaltungssachen, GE Abt. II, Nr. 3315A 

[8] Hans Meyer, Das Papiernotgeld von Baden 1914 – 1924, Berlin 1973, Seite 16f.

Der Artikel erschien im Gernsbacher Bote 2/2023, Seite 6-7

 

 

 

 

 

Ludwig Dill und die Deutsche Kunstgesellschaft

Die Schlusssätze des Artikels im „Gernsbacher Bote“ 1/2023 zum 175. Geburtstag von Ludwig Dill signalisieren, dass man sich mit dem Menschen Ludwig Dill weiter beschäftigen muss: „Für die weitere Recherchen über die Verbindungen von Ludwig Dill zu den nationalsozialistischen Kreisen bedarf es der Historiker, die Archivmaterialien und Korrespondenzen aufarbeiten.“ [1] Aus lokalhistorischer Sicht kam ich bei der Bewertung der Verbindungen Ludwig Dills, Ehrenbürger der Stadt Gernsbach, zu den Nationalsozialisten vor Redaktionsschluss der Frühjahrsausgabe des „Gernsbacher Boten“ bei den mir bekannten Quellen nicht weiter. Da sind Menschen gefragt, die die bisher nicht erforschten Quellen sichten und in ihren Kontext stellen können.

Ein Künstler, der in nationalsozialistischen Zeiten zum Ehrenbürger zweier Städte ernannt wird und nach dem Straßen benannt werden, muss der nationalsozialistischen Führung genehm gewesen sein. Dies wurde in verschiedenen Veröffentlichungen in der Zeit ausgeführt. Zum 87. Geburtstag von Ludwig Dill erschien 1935 eine ausführliche Würdigung seiner Werke in der Zeitung „Der Führer“: „Es ist erstaunlich, wie Dill schon vor Jahrzehnten aus seinem lebendigen Glauben an die deutsche Kunst in seinen Werken ein Bekenntnis ablegte, daß erst heute in der Allgemeinheit beginnt, sich als richtig durchzusetzen. Er weiß es und malte es uns mit stark zu Herzen gehender Nachdrücklichkeit und Klarheit, daß die Erde unsere wahre Heimat ist, das natürliche Geschöpf der reinen Rasse und die natürlichste Natur.“[2]

Dills Werke fanden auch den Gefallen der nationalsozialistisch ausgerichteten Kunst-Verwaltung. So erhielt er zu seinem 88. Geburtstag ein handsigniertes Bild von Adolf Hitler.[3]

Doch wie weit reichte die Sympathie Dills zu der NSDAP? Hat sich Ludwig Dill aktiv für die nationalsozialistischen Zielen eingebracht? Oder wurde der renommierte und betagte Künstler von den politischen Entscheidern oder von den Vertretern der „Deutschen Kunst“ vereinnahmt?  

Die Fragen ließen mich nach Abgabe des redaktionellen Artikels für den „Boten“ nicht los. Ansatzpunkt für die meine neueren Recherchen war der Beitrag von Michael Koch in denBadischen Biographien“ 1990. Er legt dar, dass sich Ludwig Dill, nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hat, der “Deutschen Kunstgesellschaft” angeschlossen hat, einer Keimzelle des nationalsozialistisch gelenkten „Kampfbundes für deutsche Kultur“.[4]

Erste Recherchen im Stadtarchiv Karlsruhe und im Landesarchiv Baden-Württemberg belegen, dass Ludwig Dill zum Vorstand der “Deutschen Kunstgesellschaft” gehörte, doch weitere Details sind erstmal nicht zu ermitteln. Die Sucharbeit geht weiter. Die Durchsicht der lokalen Zeitungen aus den 1930er Jahren wird in den Archiven in Karlsruhe sowie in dem umfangreichen digitalisierten Bestand der Badischen Landesbibliothek durchgeführt. Kontakte zu den Nachfahren von Ludwig Dill in Dachau werden geknüpft, Korrespondenz zu den Dachauer Galerien und Museen aufgenommen, wo sich zahlreiche Dill-Gemälde befinden und wo zum 150. Geburtstag eine umfangreiche Werk-Schau durchgeführt wurde. Doch keine der Quellen hat bisher die Aktivitäten und die Beziehungen von Ludwig Dill zu der „Deutschen Kunstgesellschaft“ aufgearbeitet. Eine Dissertation von Kirsten Baumann „Wortgefechte: völkische und nationalsozialistische Kunstkritik 1927 – 1939“ geht wohl nur in wenigen Stellen auf Ludwig Dill ein, doch zeigen sie die enge Verbindung und gegenseitige Akzeptanz zwischen der Gesellschaft und Dill.[5]

„Die ‚Deutsche Kunstgesellschaft, Sitz Dresden‘ hat den alleinigen Zweck, wesenhafte und rein Deutsche Kunst zu fördern!“, zeigt Baumann zweifelsfrei auf. Beachtenswert ist, was die Kunstgesellschaft unter „Deutscher Kunst“ versteht. Dazu gehören nach deren Definition nur Werke von „deutschen“ Künstlern, davon werden jüdische und expressionistische Künstler ausgeschlossen. Somit gehören Max Liebermann, Otto Dix, Max Pechstein, nicht zu dem Kreis, Künstler, deren Werke später als „entartete“ Kunst klassifiziert wurden. Die Kunstgesellschaft bekannte sich zum Kampf gegen den „Verfall Deutscher Kunst“ und gegen „die alten Erbfeinde Deutschen Wesens, Rom und Juda“, sie nahm deshalb nur „deutschstämmige Künstler“ auf.[6]

Ludwig Dill engagiert sich in der „Deutschen Kunstgesellschaft“ bereits in den 1920er Jahren. 1927 hatte er das Amt des 2. Vorsitzenden der Gesellschaft inne. Über diese Anfänge erinnert sich Malerin und Begründerin der Gesellschaft Bettina Feistel-Rohmeder im Jahr 1938: „Wir von der ‚Deutschen Kunstgesellschaft‘, die wir vor elf Jahren als wahrlich ‚ein Häuflein klein‘ den Kampf um die Deutsche Kunst begannen!“[7] Feistel-Rohmeder, eine einstige Schülerin Ludwig Dills, äußerte sich immer wieder in ihrer deutlichen Wortwahl als überzeugte Vertreterin nationalsozialistischen Gedanken.  

Die Leistung von Ludwig Dill als 2. Vorsitzenden wird von Feistel-Rohmeder hoch eingeschätzt: „Diesem Namen verdanken wir alle Fortschritte in der Künstlerschaft während der Jahre 1927-1932.“[8] Ludwig Dill war von dem 1. Vorsitzenden der Gesellschaft gewonnen worden, von Heinrich Blume, Lehrer und Reichstagsabgeordneter. Dieser ist damals in der Öffentlichkeit radikal antisemitisch aufgetreten.

Eine der Gründe für den aufkommenden Antisemitismus kann man als Folge der Hyperinflation von 1923 sehen, die wiederum eine Folge des Ersten Weltkriegs war. Es wurde ein Sündenbock für die verheerenden Folgen der Geldentwertung gesucht. Der Stempel des „Schiebers“, der sich auf Kosten der Mitmenschen bereichert, wurde den Juden angehängt.[9]

Die „Deutsche Kunstgesellschaft“ ging aus dem 1894 gegründeten völkischen und antisemitischen „Deutschbund“ hervor. Feistel-Rohmeder stand Richard Müller zur Seite, ein Professor an der Kunstakademie Dresden, der 1911 bereits den „Protest deutscher Künstler“ gegen eine „Überfremdung“ des Kunstmarktes mitunterzeichnet hatte.

Bettina Feistel-Rohmeder stellt bereits 1927 nach dem Aufkauf eines Gemäldes von Max Pechstein, Expressionist, von Reichspräsidenten Hindenburg für ein Gastgeschenk in die Schweiz die demagogische Frage: „…ob wir denn schon so arm an deutschblütigen und in Deutschen Sinne schaffenden Künstlern sind, dass wir Deutsche Kunst im Ausland durch einen Führer des Expressionismus oder Judenstiles vertreten lassen müssen.“[10]

Die Beweggründe von Ludwig Dill, sich aktiv in der „Deutschen Kunstgesellschaft“ einzubringen, sind ohne weiterem Quellenstudium nicht nachzuvollziehen. Vielleicht rühren sie aus seiner Enttäuschung heraus, dass seine Kunst nicht mehr gefragt war. Er hat in seinen späten Jahren, als er künstlerisch und gesellschaftlich nicht mehr im Mittelpunkt stand, die Wertschätzung durch die „Deutsche Kunstgesellschaft“ gerne angenommen. Für ihn bot die Vereinigung ein Forum, seine Kunst publik zu machen. Seine Werke wurden nicht mehr in den großen Ausstellungen berücksichtigt.

Wesentliche Aufarbeitung der Ziele der Kunstgesellschaft und ihrer Organe sind in der Dissertation von Kirsten Baumann zu finden. Sie stellt detailliert die Verflechtungen der Künstlergesellschaften mit der NSDAP dar. Dabei untersucht sie die Zeitschriften „Deutsche Kunstkorrespondenz“, „Deutscher Kunstbericht“ und „Deutsche Bildkunst“. Dabei zeigt sie auf, dass der Maler Ludwig Dill die Herausgeberin Bettina Feistel-Rohmeder tatkräftig unterstützt hat.[11]

Baumann beschreibt die „Deutsche Kunstgesellschaft“ in Dresden als eine kleine, extrem aggressive völkisch-fundamentalistische Gruppierung. „Sie eröffnete den publizistischen ‚Kunstabwehrkampf‘ gegen die künstlerische Moderne, der bis zur Großen Deutschen Kunstausstellung bzw. der ‚Entarteten Kunst‘ in München andauerte.“ Sie bezeichnet die Mitglieder als völkische Fundamentalisten. „Diese völkischen Fundamentalisten waren in erster Linie Maler, aber auch Kunsthistoriker und nationalsozialistische Politiker, die sich einer konstruktiven Auseinandersetzung ebenso wie einem fachlichen Dialog über Kunst verweigerten und eine willkürliche, sektiererische Selbstabschließen betrieben.“[12] Weiter charakterisiert sie die Mitglieder: „Die Maler aus dem Umfeld der Deutschen Kunstgesellschaft bildeten einen kleinen, homogenen Kreis von traditionell akademisch arbeitenden Künstlern, Landschafts- und Tiermalern, die teilweise auch mythisch-germanischen Themen verhaftet waren. Ihr eigenes Schaffen betrachteten sie als vorbildlich für die zukünftige ‚deutsche‘ Kunst. Sie sahen sich als verkannte künstlerische Elite und Opfer einer systematischen Vernichtung ‚deutscher‘ Kunst durch die international aufgeschlossenen Kulturpolitik der Weimarer Republik.“[13]

Auch der „Arierparagraph“ muss Ludwig Dill bewusst gewesen sein. Dieser ist in den Richtlinien zur Durchführung von Ausstellungen der „Deutschen Kunstgesellschaft“ zu finden. „Nur Werke Deutschblütiger Künstler“ waren zu Ausstellung zugelassen.

Daher war es der Gesellschaft ein Dorn im Auge, dass bei der „I. Ausstellung rein Deutscher Kunst“ 1929 in Lübeck auch Werke von Max Liebermann zu finden waren. Max Liebermann gehörte als Jude und Vertreter der neuen Kunstrichtungen zu den von der Gesellschaft bekämpften Malern. Bettina Feistel-Rohmeder führt in dem „Deutschen Kunstbericht“ 1930 aus: „In der ‚Deutschen‘ Kunstausstellung aber, wo z.B. für einen Deutschen Altmeister wie Ludwig Dill heuer kein Platz war, füllten sich weite Säle mit den Klecksereien notorisch Unbegabter.“[14]  Die Rede ist von der deutschen Kunstausstellung München, im Glaspalast, 1930.

Ludwig Dill war bis ins hohe Alter geistig rege und aktiv. So schrieb er, auch als er weit über 80 Jahre alt war, Briefe und Postkarten, von Hand und in einer schönen Schrift. [15]

Bereits 1933 würdigte die Zeitung „Der Führer“ anlässlich des 85. Geburtstag die Verdienste des Künstlers Dill: „..der für eine hochstehende, lebendige artgerechte Malerei eintrat“.[16] In dem gleichen Artikel zieht „Der Führer“ aus Anlass der Ausstellung im Badischen Kunstverein das Resümee: „Mit den folgenden Ausstellungen dürfen wir erwarten, daß der Badische Kunstverein wirklich einen deutschen Kurs auf weitere Sicht einschlagen wird, und daß alle die Kräfte durch ihn gefördert werden, die aus den Wurzeln unseres Volkstums wachsen; denn nichts ist in den letzten Jahren so vernachlässigt worden wie eine wirklich nationale Kunst.“ [17] 

Die Recherchen in Museen und Archiven sowie das Auswerten der Literatur bestätigen mich in der Einschätzung der Fakten, die ich mir vor dem Eintauchen in die Unterlagen der 1920er und 1930er Jahren gebildet hatte: Es bedarf der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Lebens von Ludwig Dill und ein intensives Studium von Quellen zu seiner Person und seinem Werk. Hoffentlich nimmt sich einer der Bewahrer und Kenner der Dill-Werke dieser Aufgabe an und gibt eine Studie in Auftrag oder formuliert dazu eventuell eine Magister- oder Doktorarbeit. 

Regina Meier

 

Quellen

Stadtarchiv Gernsbach, 02.13, Ludwig Dil

Michael Koch, Ludwig Dill; in: Badische Biographien NF 3 (1990)

Baumann, Kirsten, Wortgefechte: völkische und nationalsozialistische Kunstkritik 1927 – 1939, Weimar, 2002

Bettina Feistel-Rohmeder, Im Terror des Kunstbolschewismus: Urkundensammlung des “Deutschen Kunstberichtes” aus den Jahren 1927 – 33, Karlsruhe 1938

Artikel in “Der Führer”, Das Hauptorgan der NSDAP Gau Baden; der badische Staatsanzeiger, Karlsruhe, Führer-Verlag   

[1] Gernsbacher Bote, Casimir Katz Verlag, Gernsbach, 1/2023, S. 10f.

[2] Der Führer; Das Hauptorgan der NSDAP Gau Baden; der badische Staatsanzeiger, Karlsruhe, Führer-Verlag,  Der Führer am Sonntag, 1935; (3.2.1935), Seite 5

[3] Karlsruher Tagblatt, Karlsruhe, Müller Verlag, 1937, 1.2.1937, Seite 5

[4] Michael Koch, Ludwig Dill, in: Badische Biographien NF 3 (1990), 59-60

[5] Kirsten Baumann, Wortgefechte: völkische und nationalsozialistische Kunstkritik 1927 – 1939,Weimar, 2002

[6] Jörg Osterloh, Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes, 2020, S. 106

[7] Bettina Feistel-Rohmeder, Im Terror des Kunstbolschewismus – Urkundensammlung des Deutschen Kunstberichts aus den Jahren 1927-33, 1938,

[8] Feistel-Rohmeder, a.a.O., S. 214

[9] Christoph Jahr, Hyperinflation stand am Anfang der Goldenen Zwanziger, Neue Zürcher Zeitung 25.3.2023, S. 42f.

[10] Feistel-Rohmeder, a.a.O., S. 10

[11] Baumann, a.a.O., S. 56

[12] Baumann, a.a.O., S. 9

[13] Baumann, a.a.O.,, S. 21

[14] Feistel-Rohmeder, a.a.O., S. 96

[15] Stadtarchiv Gernsbach, 02.13, Ludwig Dill, Schriftverkehr mit Paula Stoll, Karlsruhe

[16] Der Führer, 1933, 11. März 1933, Seite 8

[17] Der Führer, 1933, 11. März 1933, Seite 8

 

 

 

 

Bermersbacher Grat im Frühjahr

Zum zweiten Mal wandern wir auf dem Bermersbacher Grat. Im vergangenen Jahr wurde mir dieser dieser landschaftlich wunderschöne Pfad vorgestellt, und dieses Jahr habe ich diese Tour wiederholt.

Wieder war ich völlig begeistert von der Wegführung entlang des Höhenkamms, mit anspruchsvollen Steigungen auf dem verschlungenen Pfad. Sicher – der Aufstieg von Bermersbach zur Höfelskopf-Hütte ist steil und anstrengend, aber die Aussicht von dort oben ins Murgtal und auf den gegenüberliegenden Höhenrücken ist einmalig.

Danach folgt ein Wanderpfad, wie man ihn sich nicht schöner vorstellen kann: auf einem weich gepolsterten Untergrund geht man zwischen Heidelbeer-, Preiselbeer- und Rauschbeer-Sträuchern hindurch. Man kann sich gar nicht satt sehen an dem Grün der Moos-Teppiche und den urigen Felsformationen – bis man irgendwann vor einem Granit-Kreuz steht, der den Höhepunkt des Weges darstellt. Meint man! Doch es geht weiter, noch höher, noch urtümlicher, noch grüner.

Der Weg abwärts führt an einem laut plätschernden Bach entlang, gesäumt von vermoosten Baumstämmen, der in den Bermersbacher Wasserfällen endet.

Über einen schmalen Wiesenweg kommt man zurück an die Ebet-Mühle, wo man noch gemütlich Rast machen kann, bevor man wieder nach Bermersbach zurückkehrt.

Ein gelungener Frühlings-Rundweg, genau richtig für die Wandersaison-Eröffnung. 

Wolf Biermann. Rastatt – Karlsruhe – Berlin

Im April dieses Jahres hatte der Deutsch-Israelische Freundeskreis gemeinsam mit der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe Wolf Biermann eingeladen. Und das Jubez, das Kulturzentrum am Kronenplatz in Karlsruhe, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Gemeinsam mit dem ZEIT-Journalisten Andreas Öhler nahm Wolf Biermann das Publikum mit auf seine Reise durch die deutsche Geschichte der letzten 50 Jahre, immer in Bezug auf seine enge Verbindung zu Israel und seinem Buch „Mensch Gott!“.

Er erzählte von seinem kürzlichen Auftritt in der Elbphilharmonie, in Paris und in Israel. Humorvoll und todernst zugleich, manchmal polternd und mit peitschenden Worten, manchmal einfühlsam und verhalten trug er seine Lieder und seine Gedanken vor. „Die Tränen der Mütter von toten Soldaten sind alle gleich“, war einer seiner Anmerkungen zum Ukraine-Krieg.
Höhepunkt war sicherlich die Aufführung seines neuen Liedes „Späte Ermutigung“. Dafür hatte er für das Publikum eine Kopie seines Textes samt Noten vorbereitet. Begeisterten Applaus gab es bei dem Lied „Lass dich nicht verhärten“, das zu seinen Klassikern gehört. So kennt man Biermann, so hat er Geschichte geschrieben.

Die Stephanus-Buchhandlung erlebte nach der Veranstaltung einen wahren Ansturm auf die Biermann-Bücher. Wolf Biermann hatte alle Hände voll zu tun, den Signierwünschen nachzukommen. Dies machte er viel Geduld und allerlei humorvollen Kommentaren. Vor allem, als ich ihm das Foto von 1999 zeigte, das im LWG Rastatt von der Signierstunde nach seinem Konzert gemacht wurde.

Damals gestaltete er auf Einladung des „Amtes für Schulen, Kultur und Sport der Stadt Rastatt“ im Ludwig Wilhelm Gymnasium einen Liederabend „Süßes Leben – saures Leben“. Damals beschrieb er sein Programm: Diese Lieder haben den Ton, den das Publikum seit Jahrzehnten kennt, aber sie bewegen sich noch mehr als früher in meiner familiären Heimat und zugleich vertrauter in der weltweiten Fremde.“

Im April 1999 waren seine Texte genau so provozierend wie zu der Erstehungszeit in den sechziger Jahren, als er  zum radikalen Kritiker an der Parteidiktatur der DDR wurde. Seine Ausbürgerung 1976, die er nach dem totalen Auftritts- und Publikationsverbot in den sechziger Jahren hinnehmen musste, führte damals zu einer Protestbewegung in Ost und West. Damals musste Wolf Biermann einne neuen Anfang wagen, ungewollt, aber ohne Alternative.

Der Dichter wurde mit allen großen deutschen Literaturpreisen ausgezeichnet. Seine Gedichtbände sind unter den meistverkauften der deutschen Nachkriegsliteratur.

Eine weitere Ehrung wurde ihm in diesem Jahr zuteil. Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum zeigt in der Ausstellung “Wolf Biermann – ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“ vom 7. Juli 2023 bis 14. Januar 2024.

Wie das Museum ankündigt, thematisiert die Ausstellung Wolf Biermann vor dem Hintergrund der besonderen Stellung, die die Kultur in der DDR einnahm. Sie folgt dem Werdegang des Liedermachers von seiner Übersiedelung in die DDR über erste künstlerische Erfolge bis zum Auftrittsverbot und schließlich seiner Ausbürgerung. Diese stellte ihn vor eine Herausforderung: Wie definierte sich ein Liedermacher neu, der sich bei aller Kritik an der SED-Führung als Kommunist verstand? Als 1989 die Bürgerrechtsbewegung in der DDR erstarkte und die Regierung ins Wanken geriet, blieb Biermann vorerst Zaungast. Eine ausführliche Station ist auch der Familiengeschichte Wolf Biermanns gewidmet: Für Biermann, dessen Vater Dagobert als Jude und Mitglied des kommunistischen Widerstands in Auschwitz ermordet wurde, war dies nicht erst nach seiner Ausweisung aus der DDR zentral.

Frühlingstour zum Kleinen Matterhorn

Keine Bange – es geht bei der ersten Fahrrad-Tour des Jahres 2023 nicht gleich in die Schweizer Berge, geschweige denn zu einem der bekanntesten Berge der Alpen. Vielmehr gibt es im Murgtal hoch über Forbach einen ebenso markanten Felsen, der das “Kleine Matterhorn” genannt wird. Bei herrlichstem Frühlingswetter machen wir uns zu unserer ersten gemeinsamen E-Bike-Tour auf. Es beginnt klassisch übers Waldbachtal hoch zum Müllenbild und weiter zum Haidenell und Lindel auf die Rote Lache. Werner steuert den neuen Steinedeck-Trail an, ich  kehre über das Kleine Matterhorn zurück ins Murgtal. Herrliche Ausblicke ins Tal und die Sicht auf blühende Baume verführen mich zu so manchem Halt bei der steilen Abfahrt. Und auch bei der wohlbekannten Strecke von Weisenbach nach Gernsbach gibts neue Blickpunkte: ein neuer Aussichtspunkt oberhalb der Katz Werke, das neu errichtete Kappler-Kreuz an der Schlossstraße und last, but not least die österlich geschmückten Brunnen in der Altstadt von Gernsbach.  Ein schöner Abschluss der Ostertage 2023!

Und was war sonst noch los in Gernsbach: jede Menge! Spannend war das morgentliche Erlebnis am Storchenturm. Ein Storch machte kurz Rast auf dem historischen Wehrturm. Doch leider war er bis zur Krönungsmesse in der Liebfrauenkirche schon wieder verschwunden. Wer weiß, vielleicht kommt er doch noch wieder? Anita Steimer konnte ihn kurz in einem Foto einfangen.

Maler Ludwig Dill vor 175 Jahren geboren

Nahe der Hauptschule Gernsbachs findet sich die Ludwig-Dill-Straße. Sie ist nach dem bekannten Maler Ludwig Dill benannt, der 1848 in Gernsbach geboren wurde – vor nunmehr 175 Jahren.

Dill gehört zu den prominenten Künstlern des 19. Jahrhunderts und seine Werke sind in Museen und Sammlungen auf der ganzen Welt zu finden.

Geburtshaus Ludwig Dill in Gernsbach

Der Vater, mit dem gleichen Vornamen Ludwig, kommt 1845 als Amtsassessor ans Gernsbacher Bezirksamt und ist während der badischen Revolution als Vertreter des Großherzogs im Amt. Die frühen Kindheitsjahre verbringt Ludwig in seinem Elternhaus am Stadtbuckel in Gernsbach, in der Hauptstraße 45 und eine Tafel erinnert noch heute an den berühmten Sohn der Stadt. 1856 wird der Vater nach Durlach versetzt. Von dort aus zieht die Familie weiter nach Stuttgart, wo der Sohn Ludwig am Polytechnikum zunächst Ingenieurwissenschaften, dann Architektur studiert. Vom Berufswunsch des Sohnes als Maler sind die Eltern zunächst nicht begeistert, doch die zahlreichen Erfolge des Sohnes beruhigen sie. „Wenn ich meinen Eltern gesagt hätte, ich wolle Kaminkehrer werden, hätten sie nicht mehr entsetzt sein können  als über den Maler“, schreibt er in seinen Memoiren.

Ludwig Dill wird schon früh künstlerische Anerkennung zuteil, seine Werke sind gefragt. Den Durchbruch als Maler erreicht er durch die Werke, die er bei seinen Studienreisen durch Italien geschaffen hat.1893 wird er Preisrichter für die Weltausstellung in Chicago berufen und 1900 nach Paris.

Dill ist bei führenden Künstlervereinigungen Deutschlands jener Jahre eine treibende Kraft. 1893, im Gründungsjahr der Münchner Sezession, übernimmt er deren Geschäftsleitung und wird in Dachau sesshaft. Auch hier gibt die Landschaft dem Maler viele neue Impulse für die künstlerische Weiterentwicklung. 1894 gründet er mit anderen Kollegen außerdem die Künstlervereinigung Neu-Dachau. 1899 wird Dill an die Akademie in Karlsruhe berufen und zum Professor für Landschaftsmalerei ernannt. Diese Stellung hält er bis zum Eintritt in den Ruhestand 1919 inne.

Ludwig Dill. Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe

Nach dem Ersten Weltkrieg wird Ludwig Dill zu einer hoch geachteten Persönlichkeit, die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Karlsruhe ist nur ein Ausdruck davon. Mehrere Ausstellungen in Mannheim, Karlsruhe und München würdigen sein Schaffen als Maler.

Gernsbach ließ es sich nicht nehmen, den berühmten Künstler bereits zu seinen Lebzeiten zu ehren. So wurde 1935 anlässlich seines 87. Geburtstages eine der „neu in Angriff genommenen Straßen“ in Ludwig-Dill-Straße benannt. Zum 90. Geburtstag wird Dill zum Ehrenbürger der Stadt Gernsbach ernannt.

Ludwig Dill: Hochwasser am Altrhein.

Zum Dank schenkt Ludwig Dill seiner Geburtsstadt das Ölgemälde „Hochwasser am Althrein“. Er hat das Bild in einer Ausstellung in Baden-Baden gezeigt und ist der Meinung, es „kann sich sehen lassen“. Dill äußert aufgrund der Größe des Werkes die Bitte, ob „im Rathaus oder sonst wo, eine geeignete Wand für das Bild“ vorhanden sei. Das Gemälde entstand 1913 und ist in der Reihe seiner imposanten Baumbilder zu sehen. Es zeigt knorrige Bäume in einem überschwemmten Landstrich und ist ganz in gelb-grünen Tönen gehalten.

Die Gesundheit des Malers erlaubt ihm nicht, 1938 die Ehrenbürgerwürde Gernsbachs persönlich entgegen zu nehmen. Auf die Einladung des Bürgermeisters nach Gernsbach antwortet der Jubilar: „Ihrer gütigen Einladung nach Gernsbach zu kommen, wird bei meinem Zustand, der hoffnungslos erscheint, kaum in Erfüllung gehen.“ Ludwig Dill stirbt am 31. März 1940 in Karlsruhe.

1998 fand eine große Gemäldeausstellung anlässlich seines 150. Geburtstages statt. Unter der künstlerischen Leitung des Museumsvereins Dachau konnte die Ausstellung auch im Gernsbacher Rathaus gezeigt werden und bot eine Übersicht über die verschiedenen Schaffensperioden. Gleichzeitig erschien ein umfassender Werkkatalog, der einen umfassenden Einblick in die Werke Ludwig Dills ermöglicht.

Zwischenzeitlich sind auch die bislang in Privatbesitz befindlichen Memoiren des Künstlers in Buchform erschienen und dokumentieren die Verbindungen des Gernsbachers zu seiner Geburtsstadt.

Ludwig Dill wurde Ende der zwanziger Jahre Ehrenvorsitzender der “Deutschen Kunstgesellschaft”. Er hat sich darin auch als 2. Vorsitzender engagiert und muss daher auch die Ziele des Vereins mitgetragen haben. Diese Vereinigung sprach sich für eine “völkische deutsche Malerei” aus. Diese nationalsozialistische Organisation wandte sich heftig gegen die künstlerische Moderne und beeinflusste die Diskussionen über moderne Ausdrucksformen mit antisemitischen Parolen. Die Deutsche Kunstgesellschaft trat dem nationalsozialistisch gelenkten “Kampfbund für deutsche Kultur” bei, der späteren NS-Kulturgemeinde.

Für die weitere Recherchen über die Verbindungen von Ludwig Dill zu den nationalsozialistischen Kreisen bedarf es der Historiker, die Archivmaterialien und Korrespondenzen aufzuarbeiten. Wesentliche Eckpfeiler dazu wurden bereits im Stadtarchiv Karlsruhe und im Landesarchiv Baden-Württemberg veröffentlicht.

Siehe auch „Gernsbacher Bote“ 1/1995 sowie 1+2/1998 und 1/2010
Bärbel Schäfer – Ludwig Dill, Leben und Werk, Dachau 1998
Ludwig Dill – Lebenserinnerungen, Dachau 2010
Michael Koch – Ludwig Dill; in: Badische Biographien NF 3 (1990)

Der Artikel erschien im Gernsbacher Bote 1/2023, Seite 10-11

Nachtrag: Ludwig Dill und die Deutsche Kunstgesellschaft