Ein neues Jahr steht vor der Tür: 2023. Und ein neuer Kalender wurde gestaltet. Werner liefert die Fotos dazu und Martina hat in kreativer Arbeit das Kalendarium geschaffen. Ganz besonders ist in diesem Jahr das Motto, das erst nach Fertigstellung der gestalterischen Arbeit festgelegt wurde. Ralf und Martina haben das Hesse-Wort: “Meine Stärke ist das Vertrauen.” aus dem Englischen entlehnt: “My strength is trust.” Das verbindet all die Fotos und die Idee hinter dem Kalender 2023.
Der Satz stammt aus Hesse’s Buch: “Bäume”, das eine Neuauflage des ursprünglichen Werkes “Wanderung”(1918) ist. Der Satz ist eingebettet in eine ganze Abhandlung Hesses über Bäume: “Bäume sind für mich die eindringlichsten Prediger gewesen.” Und eine Seite später kommt der hier herausgepickte Satz:” Ein Baum spricht: Meine Kraft ist das Vertrauen. ” Und weiter: “Wenn wir traurig sind und das Leben nicht mehr gut ertragen können, dann kann ein Baum zu uns sprechen: Sei still! Sei still! Leben ist nicht leicht, Leben ist nicht schwer.” Ich kann die Lektüre dieses über 100 Jahre alten Textes nur empfehlen.
Wenn jemand mehr über die Herkunft der Schrift erfahren möchte, sei die Webseite empfohlen: Latinletters – Kunst aus Buchstaben, Wörtern , Sätzen und Werken
Das Jahreskalender 2023 beginnt mit einem schwarz-weiß-Bild der Bay Bridge in San Francisco. Fahrzeug an Fahrzeug rollt hier über diese etwa 3 Kilometer lange Brücke Richtung Oakland, doppelstöckig mit fünf Fahrspuren. Die Verbindung über die Bucht von San Francisco bietet einen tollen Blick auf Downtown und die steilen Straßen San Franciscos. Mit dieser Ansicht beginnen wir nicht nur das Jahr 2023, sondern führen auch hinein in die kalifornische Metropole.
Weiter gehts auf unserer Fahrt in Kalifornien in den Yosemite National Park. Das Februar-Motiv wurde an der Tioga Pass Road aufgenommen, am Olmsted Point. An dieser Sehenswürdigkeit hat uns nicht nur die Aussicht auf Half Dome, Tenaya Lake und Clouds Rest begeistert, sondern eher die Felsformationen. Diese geben diesem Ort seine besondere Ausstrahlung. Vielleicht lags auch daran, dass die Aussicht in die Ferne an diesem Tag nicht so gut war. Die großen Waldbrände am Rande des Yosemite Nationalparks hüllten das Tal morgens in dichte Rauchschwaden, erst am Nachmittag, als Wind aufkam, lichtete sich der Nebel. Auf dem kargen Felsboden sieht man am Horizont Bäume. Tatsächlich schaffen es hier Bäume zu wachsen, sie entwickeln sogar eine stattliche Größe. Eindrucksvoll waren insbesondere die Wacholderbäume. Sie trotzen hier oben – immerhin befinden wir uns hier über 2.500 Höhenmeter – auch dem strengen Winter und den kräftigen Winden.
Bäume haben ganz besondere Kräfte – und dies nicht nur in den Phasen ihres Wachsens und Gedeihens. Auch dieser längst abgestorbene Stamm fasziniert durch seine Ausstrahlung. Da liegt kein toter Baum auf der Erde, vielmehr signalisiert seine trockene, gewundenen Baumrinde Bewegung. Die Formen regen unsere Sinne an, selbst aus diesem ausgetrockneten hölzernen Koloss strömt Stärke und Kraft. Einmal mehr der Anlass, Hermann Hesses Büchlein “Bäume” zur Hand zu nehmen und darin zu verweilen. Bei dem Schlusssatz des Gedichts “Gestutzte Eiche” bleib ich hängen:
“Und allem Weh zum Trotz bleib ich
Verliebt in die verrückte Welt.”
Die erste Ausgabe “Bäume” von Hermann Hesse ist bereits 1919 erschienen:
Das April-Motiv des diesjährigen Kalenders ist ein Klassiker-Motiv aus San Francisco.
Mit diesem Foto kommen wir auf unserer Reise durch Kalifornien wieder zurück in die Stadt am Golden Gate. Sie bietet unverwechselbare Straßenbilder. Zum einen sind da die steilen Straßen und die spannenden Übergänge zu den Querstraßen, eine Autofahrt entlang dieser steilen Straßen ist ein besonders Erlebnis. Besonders das Queren der Kreuzugungen bleibt in Erinnerung.
Eindrucksvoll ist ein Spaziergang durch die hügelige Stadtlandschaft. Mittlerweile gibt es zahlreiche Tipps über Wanderungen, die attraktive Punkte der Stadt miteinander verbinden. Unter dem Stichwort “urban hikes” gibts jede Menge Anregungen im Netz, und die traditionellen Reiseführer haben dies auch in ihr Standard-Empfehlungen für einen Stadtbesuch aufgenommen.
Wir haben uns den Five-Peaks-Walk ausgesucht. Dabei kommt man an phantastischen Aussichtspunkten vorbei, die einen Blick in die Bucht von San Franciscso, auf Alcatraz wie der Golden Gate Bridge und der Bay Bridge bieten. Gefangen sind wir allerdings immer wieder von der phantasievollen und farbenprächtigen Gestaltung der viktorianischen Häuserfassaden. Und das Erholsame: ein Café oder eine Einkehrmöglichkeit liegen quasi auf dem Weg! Diese Aufnahme entstand in Castro Street, die ihr eigenes, buntes Flair auch in den Häuserfassaden sichtbar macht. Denn nicht nur “the Painted Ladies” an dem Alamo Square sind ein Foto wert, in der gesamten Stadt gibts Bilderbuch-Ansichten der liebevoll gepflegten historischen Gebäude.
Das Kalendarium hat sich an die Fassadenfarbe des prächtigen viktorianischen Hauses angepasst und gibt den korrespondierenden Farb-Tupfer im April-Motiv.
Das Mai-Kalenderblatt zeigt die Blumen Pink Ladies im White House Canyon.
Diese Blume sticht mit einer kräftigen rosa Blüte ins Auge und bricht mit ihrer grellen Blüte durch die karge Erde. Diese war von einer verheerenden Feuersbrunst im Jahr 2020 vernichtet worden. Ein abgebrannter Telefonmast liegt quer durch das Bild und ist Beweis für das furchtbare Desaster des Waldbrandes.
In Kalifornien sind die Blumen auch unter dem Namen Naked Ladies bekannt, einfach wegen des fehlenden Blattschmucks während der Blütezeit. Der offizielle Name ist Amaryllis Belladonna oder Belladonnalilie.
Erst beim Nachschauen über Pink Ladies wurde ich auf die neueste Fernsehserie „Pink Ladies“ aufmerksam. Eine neue Fernsehserie in den USA geht auf die Entstehungsgeschichte der Clique aus dem Original-Musical mit John Travolta und Olivia Newton-John ein. Seit April 2023 zeigt diese Serie die Vorgeschichte des Erfolgs-Musicals „Grease“, der Originalfilm aus dem Jahr 1978 ist bei Fans absoluter Kult. Ist es Zufall, dass das Monatsblatt Mai unseres Kalenders – gerade nach dem Start der Fernsehserie – Pink Ladies abbildet?
Diese gegensätzliche Farben, das grelle Rosa der Pink Ladies und der schwarze, verkohlte Telefonmast, hat Martina im unteren Teil des Fotos aufgegriffen und in den rosa Farbtupfern das Kalendarium versteckt.
Im Juni-Motiv sticht das Grün der Redwood-Bäume als erstes ins Auge. Die Redwood-Bäume, die das verheerende Feuer von 2020 in Kalifornien überlebt haben, treiben wieder aus. Unglaublich ist auch, was die Menschen in den Santa Cruz Mountains in den letzten Monaten geschaffen haben. Sie packen den Wiederaufbau an.
Die Natur trotzt den Klima-Veränderungen, die Bewohner kämpfen wieder um ihren Lebensraum innerhalb der Wälder. Zusätzlich gibt es Aktionen aus allen Teilen der Bevölkerung. So wurde auf Betreiben der Mountains Park Foundation Künstler animiert, sich für die leidende Umwelt einzusetzen. Künstler wurden mit der Aktion Big Basin’s Art About eingeladen, sich einzubringen. Mit dem Angebot eines Stipendiums von 2.500 Dollar wurden zehn Künstler gesucht, die ein Kunstwerk schaffen sollten, das 2023 im Park präsentiert wird. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein. Ob wohl das Foto der aufstrebenden Bäume auch in Frage käme? Dazu müsste man wohl vor Ort sein – was grad nicht möglich ist.
Wie Grashalme legen sich grüne Striche in das Bild des Kolibris mit den blühenden Pflanzen. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass dies der gemalte Strichzug des Monatsnamens “Juli” ist. Die kalligraphischen Pinselstriche fügen sich nahtlos in die zarten Blumen ein. Beherrscht wird das Foto von dem nektarsaugenden Kolibri. Ein Flügelschlag dieses kleinen Vogels, der nur Bruchteile einer Sekunde dauert, ist hier festgehalten. Sein filigraner Flügelschlag lässt sich nur mit viel Gedukd in einem Foto einfangen. Daher gehört er zu den beruasfordernden Fotomotiven im White House Canyon.
Weltweit gehören die Disteln zu den anspruchslosen Pflanzen, daher findet man sie auch überall. Die mit Stacheln und Dornen besetzte Pflanzen gehört sicher nicht zu den Favoriten in Blumensträußen. Dabei entfalten die Blüten der Disteln bei genauem Hinsehen eine besondere Schönheit, sie bilden geradezu bizarre Kunstwerke. Keine Frage, dass sie daher in jedem Garten willkommen sein sollten. Hinzu kommt, dass sie eine wichtige Nahrungsquelle für Insekten, Vögel und Kleintiere sind. Ihren Status als Nationalblume Schottlands soll sie erhalten haben, nicht weil sie eine der widerspenstigsten Blumen der Welt ist, sondern weil sie eine besondere Rolle bei einem Angriff der Wikinger spielten.
Auch in den kalifornischen Wäldern, die von den überregionalen Feuern heimgesucht wurden, fasst sie wieder Fuß. Die verkohlte Rinde eines Mammutbaums ist im Hintergrund vor den in der Sommersonne leuchtenden Blüten der Distel zu erkennen. Fast lila schimmert die Rinde in den gleißenden Strahlen in der Mittagshitze, wie ein Abglanz der filigranen Blüte.
Auch auf diesem Monatsblatt des 2023-Kalenders „My strengte is trust“ ist das Kalendarium nur auf den zweiten Blick zu finden. Farblich sind die Zahlen an das kräftige Lila und Grün der Pflanze angepasst, und die Anordnung der Zahlen korrespondiert mit der natürlichen Form der Blüte. Viel Freude beim Entdecken.
Schon September?! So bunt und so abwechslungsreich wie der Herbstmonat September mit der einsetzenden Blätterfärbung bei den Laubbäumen kommt das September-Monatsblatt daher. Eindeutig sind Motive aus San Francisco zu erkennen, genau dort wurde auch die Aufnahme gemacht.
In der Clarendon Alternative Elementary School – nahe von Twin Peaks – findet man dieses farbenfrohe Mosaik. Diese farbigen Kacheln sind nur ein kleiner Ausschnitt aus einer großen Wand voller Motive. Das Ganze wurde 2010 begonnen. Es war eine grandiose Aktion. Unter der Federführung der Künstlerin Linda Larson und Lalitha Bardalaye und der Unterstützung von Lehrerinenn und Lehrer sowie der Eltern und Schüler wurde dieses großformatige Kunstwerk geschaffen. Davor erstreckte sich an der Stelle eine graue Fassade. Nun strahlt hier eine Keramik-Wand voller Namen und Formen und schafft eine ganz andere Willkommenskultur.
Bei unserem Besuch mit Sofia, die diese Schule als Jugendliche besuchte, wurden wir auf dieses Mosaik aufmerksam. Nun, nach all der Zeit, ist sie als junge Frau begeistert von ihrem einstigen künstlerischen Schaffen in der Schule. Welche Kreativität, welche Vielfalt, welche Farben. So wie eben San Francisco ist!
Bei diesem Kalenderblatt kommt das Thema des Kalenders besonders deutlich heraus. “Meine Stärke ist das Vertrauen.” Wo kann dieser Leitsatz intensiver gelebt werden als in einer Schule. Ein solches Kunstprojekt über einen längeren Zeitraum durchzuführen, bedarf eines besonderes Engagements.
Das Kalenderblatt Oktober 2023 führt uns in den Yosemite National Parks. Entlang des State Highways 120 kurz vor dem Parkeingang konnten wir diese phantastische Aussicht genießen. Markant heben sich die Redwoods gegen den in leuchtend warmen Gelbtönen gefärbten Himmel ab. Wie ein Scherenschnitt stehen die Bäume auf dem Bergrücken. Kein Foto der Reise versinnbildlicht wohl passender den Hermann-Hesse-Text aus seinem Buch „Wälder“, aus dem auch das Motto des 2023er Kalenders entlehnt ist „My strength is trust“ – „Meine Stärke ist Vertrauen“. Hermann Hesse schreibt: „Bäume sind für mich immer die eindringlichsten Prediger gewesen. Ich verehre sie, wenn sie in Völkern und Familien leben, in Wäldern und Hainen. Und noch mehr verehre ich sie, wenn sie einzeln stehen. Sie sind wie Einsame.“
Zurück nach San Francisco führt uns das Kalenderblatt November. Ganz im Hintergrund im Nebel lugt die Spitze der Golden Gate Bridge heraus. Der bunte Drachen davor ist ein reale Erscheinung: Kinder spielen auf dem Tunnel Tops im Presidio Park im Herbstwind mit ihrem Drachen. Die gelbe November-Schrift gehört zu der graphischen Gestaltung des Monatsblattes und nimmt den Schwung und die Farbe des Drachenschwanzes auf.
Das letzte Monatsblatt des Jahreskalenders 2023 zeigt eine stimmungsvolle Aufnahme von der kalifornischen Küste nahe San Francisco bei Fort Funston. Der Schriftzug des Monats nimmt die Brauntöne der Strandpflanzen auf und umrandet auch die Tagesziffern.
Die Pflanzen, die sich am Strand entlangziehen nennt man Carpobrotus , gehören zu den Mittagsblumengewächsen (Aizoaceae) und haben sich an die rauen Klimabedingungen der Pazifikküste angepasst. Sie sind gekennzeichnet durch verwachsene, dickfleischige Blätter und bilden eine natürliche, dichte Bodenbedeckung. Kilometerweit erstreckt sich dieser Bewuchs und bietet einen natürlichen Schutz der sandigen Böschungen.
Mit diesem Motiv geht der Kalender “My strength is trust” zu Ende. Über ein Jahr hinweg sind wir dem Zitat von Hermann Hesse gefolgt und haben dem Motto “Meine Stärke ist Vertrauen” nachgespürt.
Hier weitere Passagen aus dem Hesse-Text “Bäume”, den er 1919 in dem Buch „Wanderungen“ veröffentlichte. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg durchlebte Hesse umwälzende Veränderungen. So hat er seine turbulenten Jahre mit Bäumen verglichen und darin Symbole der Vergänglichkeit und Wiedergeburt, aber auch „allen Wachstums, allen triebhaften, naturhaften Lebens, aller Sorglosigkeit und geilen Fruchtbarkeit“ gesehen. In ihren Jahresringen und Verwachsungen erkennt man „allen Kampf, alles Leid, alle Krankheit, alles Glück und Gedeihen“.
„Bäume sind für mich immer die eindringlichsten Prediger gewesen. Ich verehre sie, wenn sie in Völkern und Familien leben, in Wäldern und Hainen. Und noch mehr verehre ich sie, wenn sie einzeln stehen. Sie sind wie Einsame. Nicht wie Einsiedler, welche aus irgendeiner Schwäche sich davongestohlen haben, sondern wie große, vereinsamte Menschen, wie Beethoven und Nietzsche. In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen; allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller Kraft ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen. Nichts ist heiliger, nichts ist vorbildlicher als ein schöner, starker Baum …
Ein Baum spricht: In mir ist ein Kern, ein Funke, ein Gedanke verborgen, ich bin Leben vom ewigen Leben. Einmalig ist der Versuch und Wurf, den die ewige Mutter mit mir gewagt hat, einmalig ist meine Gestalt und das Geäder meiner Haut, einmalig das kleinste Blätterspiel meines Wipfels und die kleinste Narbe meiner Rinde. Mein Amt ist es, im ausgeprägten Einmaligen das Ewige zu gestalten und zu zeigen.
Ein Baum spricht: Meine Kraft ist das Vertrauen. Ich weiß nichts von meinen Vätern, ich weiß nichts von den tausend Kindern, die in jedem Jahr aus mir entstehen. Ich lebe das Geheimnis meines Samens zu Ende, nichts andres ist meine Sorge. Ich vertraue, daß Gott in mir ist. Ich vertraue, daß meine Aufgabe heilig ist. Aus diesem Vertrauen lebe ich…
Du bangst, weil dich dein Weg von der Mutter und Heimat wegführt. Aber jeder Schritt und Tag führt dich neu der Mutter entgegen. Heimat ist nicht da oder dort. Heimat ist in dir innen, oder nirgends….“
(Herrmann Hesse über Bäume in: Wanderung, 1919)
Somit versinnbildlicht der Kalender 2023 nicht nur das Wort „Meine Stärke ist das Vertrauen“, sondern führt auf eine zentrale Aussage von Hesse hin:
„Heimat ist nicht da oder dort.
Heimat ist in dir innen, oder nirgends.“
Für mich waren diese Hesse-Worte ein wichtiger Begleiter durch das Jahr 2023. Danke nochmals für die gelungene Gestaltung des Kalenders mit Fotos und Graphik!