Reiche Geschichte des Gleisle-Areals

von der Schmiede zur Metzgerei

Spannende Einblicke in die Unterwelt der Altstadt gibt es im Gleisle-Areal in der Hauptstraße 6. Deutlich sichtbar sind für den Passanten die Reste von mehreren Kellern. Da sind gewölbte Keller zu entdecken, einige sind aus Sandstein gemauert, andere aus Ziegelsteinen.

In guter Erinnerung ist den Gernsbachern noch die Metzgerei Gleisle, die einst auf diesem Gelände stand. Bis zum Abriss des Hauses im Jahr 1993 beheimatete das mehrstöckige Gebäude, das direkt an die Stadtmauer grenzte, eine Metzgerei. Zwei in Stein gehauene Schweinsköpfe gaben schon von der Straßenseite her einen Hinweis auf das hier beheimatete Gewerbe. Bereits der Vater von Karl Gleisle, Joseph Gleisle, betrieb hier 1889 eine Metzgerei. Zu dem dreistöckigen Wohnhaus gehörte auch eine Wurstküche, weist das Gebäudeversicherungsbuch im Stadtarchiv Gernsbach nach. Der Zustand des Hauses wird als „ziemlich gut“ beschrieben.

Geht man der Historie dieses Anwesens nach, so findet man im Stadtarchiv weitere interessante Hinweise. Auch 1876 gab es in dem stattlichen Haus eine Metzgerei. 1876 hatte der Gaggenauer Metzger Ferdinand Melcher das Gebäude „bestehend aus der Metzig zu ebener Erd samt Viehstall, Futtergang und Heustall“ erworben.

Die Hauptstraße 6 beherbergte lange Jahre die Metzgerei Gleisle.

Im Jahr 1869 ist die genaue Lage des Gebäudes dokumentiert: „in der Unterstadt … neben dem städtischen Wachthaus und Straße, vorn die Hauptstraße und hinten Mühlgraben“. Auch 1859 findet man in der Lagebeschreibung des Hauses den Hinweis auf das Torwächterhaus: „… neben dem städt. Wachthaus an der Allmendstraße“. Damit ist nicht nur nachgewiesen, dass das Haus direkt an die Stadtmauer gebaut war, vielmehr ist auch die direkte Nachbarschaft zu dem nicht mehr existierenden Torwächterhaus bestätigt.

Die wechselvollen Jahre um die Revolution von 1848 brachten auch für das Haus Veränderungen. In den Jahren muss der Wechsel zu einer Metzgerei stattgefunden haben, davor ist in den Grundbüchern von einer Schmiede die Rede. 1847 wird dokumentiert, dass der Schmiedemeister Friedrich Hasenpflug das Wohnhaus samt „Schmiedewerkstätte zu ebener Erde nebst der danebenliegenden Kohlenkammer“ verkauft. Bis in das Jahr 1782 finden sich im Stadtarchiv Nachweise auf eine Schmiedewerkstätte auf dem Areal. 1790 wird detailliert die Lage des Anwesens beschrieben: das Gebäude befindet sich direkt am unteren Tor, für die Stadthistoriker ein wertvoller Hinweis darauf, dass damals das Stadttor noch bestand.

Sicher ist, dass das Haus im Jahr 1715 gebaut wurde. Sicherlich gab es zuvor schon an dieser Stelle eine Bebauung, wahrscheinlich wurden die Vorgängerbauten während des Pfälzischen Erbfolgekriegs Ende des 17. Jahrhunderts zerstört, als die Verwüstungen durch französische Truppen in ganz Baden auch Gernsbach nicht verschonten .

So manches rund um dieses Gebäude liegt im Dunkel der Geschichte. Lassen sich die Spuren von schwarzem Ruß in den jetzt offengelegten Kellern auf die einstige Schmiede zurückführen, die es auf dem Areal vor über 200 Jahren gab? Oder sind sie Hinweise auf die ehemaligen Stadtbrände?

Für die Beantwortung dieser Fragen geben archäologischen Untersuchungen aus dem Jahr 2017 wertvolle Auskünfte. Diese Prüfung gehört zu den Voraussetzungen für eine neue Bebauung in dem sensiblen Altstadtbereich. Sie wurden von der Firma Kohler & Tomo Archäologie, die sich auf archäologische Dienstleistungen spezialisiert hat, durchgeführt und waren von dem Eigentümer des Grundstücks, der Emely GmbH, Lahr, beauftragt worden. Diese Baufirma hat beantragt, auf dem Gleisle-Areal ein Mehrfamilienhaus mit Tiefgarage zu erstellen.

Noch sind die alten Kacheln der einstigen Metzgerei zu erkennen.

Bei den Untersuchungen kamen nicht nur die alten Fußbodenfließen der Metzgerei Gleisle zum Vorschein, sondern auch das Labyrinth der vielfältigen Keller. Wie die Grabungsfirma weiter feststellte, sind auf dem Areal bauliche Überreste aus dem Mittelalter wie der Neuzeit zu finden. Die Ergebnisse stellten klar, dass die Keller sogar im 16. Jahrhundert oder in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden sein dürften. Außerdem konnten noch ältere Fundstücke sichergestellt werden, die bis ins ausgehende 15. Jahrhundert zurückweisen. Spannend lesen sich die Ergebnisse der Archäologen: Bei einem der Keller handelt es sich um den Eiskeller der ehemaligen Metzgerei, erbaut etwa 1912. Außerdem kam auch ein massiver mittelalterlicher Bau zu Tage. Er schloss sich östlich des Gewölbekellers an (Richtung Murg) und nahm den Bereich zwischen der süd- und nordöstlichen Stadtmauer ein. Nachgewiesen wurden seine bis 1,40 Meter mächtigen Mauern. Von der Westseite gab es eine circa 2,50 Meter breite Durchfahrt aus Sandstein. Im Innenraum konnte im Fußboden eine über 1,50 Meter dicke Brandschuttschicht aus stark durchgeglühten Dachziegeln und Lehmgefache dokumentiert werden.

Das Gleisle-Areal liegt direkt an der Stadtmauer. Foto aus dem Jahr 2005.

Die bisherigen Funde würden das Genehmigungsverfahren für den beantragten Neubau nicht gefährden, so das erste Urteil der Archäologen. Wie auch Martin Strotz, der Gebietsreferent für Archäologische Denkmalpflege im Landesamt für Denkmalpflege (Dienstsitz Karlsruhe) bestätigte, sei der wertvollste Teil des Gleisle-Areals die Stadtmauer. Weitere Ergebnisse der als „spannend“ bezeichneten Untersuchungen müsse man abwarten. Denn diese geben nicht nur Hinweise auf die frühere Nutzung des Gebäudes, sondern auch auf die facettenreiche Geschichte der Altstadt von Gernsbach.

Regina Meier

Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 1/2020 im Casimir Katz Verlag am 31. März 2020