Rund um die Hofstätte
Die Nachricht über den Umbau der Brückenmühle zu Wohn- und Geschäftszwecken in absehbarer Zeit war eine Sommer-Überraschung. Die Brückenmühle ist nicht nur ein stadtbildprägendes Gebäude, vielmehr bestimmt sie auch den Zugang zu der historischen Hofstätte. Mit den baulichen Veränderungen an der Brückenmühle wird auch die Hofstätte ein neues Entree erhalten. Ein neuer Blick auf die gute Stube Gernsbachs wird freigeben.
Bis in die 1960 Jahre war die Mühle aktiv, rund 50 Mitarbeiter zählte damals der Betrieb. Doch dann wurde der Betrieb eingestellt und der Lebensmittelhändler Pfannkuch zog ein.
Bei der Brückenmühle gab es einst ein „Fluss- und Schwimmbad unter der Murg“. Für 10 Pfennig konnte man eine Abendkarte zum Schwimmen erwerben. Damals gb es noch getrennte Badezeiten für Männer und Frauen: Die „Damenzeiten“ waren „von 8 bis 10 ½ Uhr morgens“ und von „1 bis 3 ½ Uhr nachmittags“ – wie man heute noch auf einem Plakat in der Restauration Brüderlin nachlesen kann.
Die Sanierung des Brückenmühle war einst Anlass für das erste Altstadtfest im September 1975.
1997 schloss die Filiale der Fima Pfannkuch, seither steht das Erdgeschoss leer. Lediglich anlässlich des Jubiläums 150-Jahre-badische Revolution wurde der Raum für eine Ausstellung zur Revolutionsgeschichte in Gernsbach genutzt. Nach langen Jahren der Suche nach einer Nutzung der Brückenmühle ist nun der Durchbruch gelungen und eine zukunftsversprechende Lösung gefunden. Für die Hofstätte steht damit ein attraktiver Zugang in Aussicht.
Auch wenn drei Fußwege (August-Müller-Steg, Kirchenstaffeln und der Fußweg entlang des Gebäudes von Hofstätte 1) sowie vier Straßen zur Hofstätte führen (Mühlgraben, Hauptstraße, Waldbachstraße und Schlossstraße), so geschlossen wirkt das Ensemble. Die Häuser entstammen unterschiedlichen Jahrhunderten und weisen ein vielfältiges Erscheinungsbild auf.
Direkt an den Mühlgraben schließt sich wohl das modernste Gebäude des Platzes an, das erst 1960 sein heutiges Aussehen erhalten hat. Heute beherbergt das Gebäude das „My Wok Bistro – Spezialitäten aus Asien, älteren Gernsbachern ist es noch als Marienapotheke der Familie Riether bekannt. Zuvor hat die Metzgerei Anselm hier ihre Metzgerei betrieben. Ein paar Stufen führten damals noch hinunter zu dem Eingang, der früher unter dem heutigen Niveau der Hofstätte lag.
Das Asia-Restaurant bedient seine Gäste heute auch in einem Außenbereich, wie auch das danebenliegende Café Felix und das Gasthaus Hirsch von gegenüber. Seit der Umgestaltung der Hofstätte im Jahr 1992, bei der nicht nur der Pflasterbelag, sondern auch breiteren Raum für die Fußgänger geschaffen wurde, gibt es seither eine Möglichkeit für diese Bewirtung.
Dieser Raum wird heute für die Außengastronomie rege genutzt. Entfallen ist allerdings die einstige Bushaltestelle in diesem Bereich, an der über viele Jahre der Busverkehr Richtung Baden-Baden Station machte. Nicht zuletzt wegen der Fahrplananpassungen an die neue Stadtbahn durchs Murgtal wurde 2002 die Verbindung über das Müllenbild nach Baden-Baden ganz gestrichen. Da die großen Busse immer wieder Probleme hatten, ihren Weg auf der schmalen Straßenführung des Stadtbuckels zu finden, . Daher wurdel die Haltestelle „Hofstätte“ aufgehoben und wurde am 28. Mai 2006 letztmals angefahren.
Die Busverbindung nach Baden-Baden hatte lange Tradition: bereits 1905 hatte sich eine private „Automobilverkehr Gernsbach GmbH“ gebildet, mit dem Ziel, Kurgäste von Gernsbach nach Baden-Baden zu fahren – von der Haltestelle Hofstätte aus. Somit gehört die Verbindung von Gernsbach nach Baden-Baden zu einer der ältesten Buslinien Deutschlands.
Direkt daneben findet sich das traditionsreiche Gebäude, Hauptstraße 6. Heute befinden sich im Erdgeschoss das beliebte Café Felix, im westlichen Schaufenster präsentiert der „Weinschmecker“ seine Produkte. Lange Jahre befand sich hier ein gut frequentierter Gemüseladen mit reichhaltiger Auswahl und daneben ein Orthopädie-Geschäft.
Schaut man weiter in die Vergangenheit, stößt man auf die reiche Geschichte der Gastronomie in diesem Haus. Bereits 1511 ist hier eine Schildgerechtigkeit überliefert, bis 1930 war das Gasthaus zur Krone auch noch aktiv. Um 1900 galt als eine der ersten Adressen in Gernsbach. Aus einer Rechnung aus dem Jahr 1894 zeigt sich die Attraktivität des einstigen Gastbetriebes: eine Gesellschaft die an diesem Juli-Abend 44 Flaschen „Affenthaler“ und 176 Flaschen Klingelberger mit immerhin 22 Sodawasser und 20 Cigarren genoss, hat hier wohl einen vergnüglichen Abend verbracht. Älteren Gernsbachern ist das Haus wohl noch als „Zigarren- Zigaretten- und Tabakspezialgeschäft“ bekannt, das auch „Schokoladen und Konfitüren“ feilbot. Untrennbar ist dieses mit dem Namen Walter Lutz verbunden, der das Geschäft in den mittleren Teil des Gebäudes, in den ehemaligen Gastraum der Krone, verlegte und dieses Spezialitätengeschäft mit seiner eigenen Ausstrahlung bis 1996 betrieb.
Am Aufgang zur Altstadt findet sich ein attraktives Fachwerkhaus. Hier in der Hofstätte 8 waren im Laufe der Jahrhunderte viele Handwerker beheimatet, wie es die eingeschnitzten Zeichen in dem nordwestlichen Eckbalken belegen. Der unterste Eintrag ist jüngeren Datums, nämlich nach 1951 ergänzt worden, nachdem der Verputz entfernt wurde. Die Familie, die mir viel Engagement und Tatkraft in das Gebäude investiert, führt nun in fünfter Generation das Friseurgeschäft. Im Laufe der Jahrzehnte haben sie sich immer wieder dem Wandel angepasst. Einst „Salon Herzog“ ist hier Anita Löwenthal mit ihrem Team aktiv. Schon im Einwohnermeldebuch von 1903 inseriert das Friseurgeschäft: “Lager in Parfümerie und Toilettenartikel, Haararbeiten, Massage, elektrische Hühneraugenoperation“. Für die damalige Zeit war gerade diese elektrische Behandlungsmethode ein Ausdruck des Fortschritts des 20. Jahrhunderts, gab es doch erst seit wenigen Jahren elektrische Stromversorgung in Gernsbach.
Die wohl wechselvollste Geschichte hat das Haus Hofstätte 7 hinter sich. Der Gewölbekeller, das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss wurden vermutlich bereits 1432 errichtet und 1712 wahrscheinlich erneuert und aufgestockt. Im 19. Jahrhundert bestimmte die Familie Wallraff das Leben in dem Haus. Sie betrieb dort das „Gasthaus zum Laub“. Georg Friedrich Abel, Bürgermeister von Gernsbach von 1862-1900, hatte das Gastahaus nach seiner Rückehr aus Amerika, wohin er nach den Unruhen von 1848 ausgewandert war, mit seiner Frau übernommen. Nachfolgerin wurde Enkeltochter Erna Abel, die das Gasthaus bis zum Ende des Zweiten Weltkries führte. Nach Ende des Krieges eröffnete Hermann Walz an dieser Stelle seine Bäckerei, Restauration und Café und servierte im Sommer im Freien am Hofstätte-Brunnen Kaffee und Kuchen. Paul Böckeler betrieb auf diesem historischen Boden von 1962 bis 1981 eine Konditorei. In den achtziger Jahren war neben einem Immobilien-Geschäft hier die Filiale des Badischen Tagblatts untergebracht.
1993 wurde das Haus unter der Leitung von Familie Vierling mit einem reichhaltigen Angebot von Haushaltswaren, Porzellan und Geschenkartikeln zu neuem Leben erweckt. Eine grundlegende Renovierung ging dem voraus, bei dem auch der altstadtgerechte Vorbau dem Fachwerkhaus realisiert wurde. 2008 knüpfte “Hofstätte Interieur und Design“ mit neuer Leitung an die Traditionen an. Nach der Schließung des Geschäfts 2019 ist es heute als Beauty Salon Gern Style (siehe Artikel S. 5) wieder mit Leben gefüllt.
Die „Traube“ gehört postalisch zur Waldbachstraße, bildet aber zwischen Schlossstraße und Kirchenstaffel den südlichen Eckpfeiler der Hofstätte. Um das Jahr 1900 ebenfalls als „altrenommiertes Gasthaus“ und bot es „reingehaltene, sebstgezogene Weiß- und Rotweine und Bairisch Bier“ an, außerdem stellte es „Zimmer von Mk 3,50“ zur Verfügung. Nach langen Jahren der Bewirtung durch Familie Seyfried und danach von Familie Weinhandl gilt es heute als Musiklokal und Bar.
Ein Rundgang über die Hofstätte kann nicht ohne Begutachtung des Hofstätte-Brunnens erfolgen, dem Kondominatsbrunnen. Bereits 1511 ist dieses steinerne Zeugnis nachweisbar und hält die Mittlerfunktion des Platzes zwischen den einzelnen Teilen der Stadt wider. Er setzt der gemeinsamen Verwaltung der Stadt von Badenern und Ebersteinern ein markantes Denkmal.
Eine reiche Vergangenheit spiegelt sich in dem Anwesen Hofstätte 3-5 wider. Lange Jahre befand sich hier das Modehaus Motex. Über Generationen war hier allerdings ein Hotelbetrieb angesiedelt, der das Gebäude geprägt hat. Das ehemaligen Hotel Sternen galt über Jahrzehnte als führendes Hotel in Gernsbach. In letzten Jahrhundert hat die Familie Brude die Geschicke „Zum Goldenen Stern“ geleitet.
Noch heute ist die Gaststätte zum Hirsch aktiv und wird heute von Familie Cannistraro bewirtschaftet. Mit der Schildgerechtigkeit von 1530 gehört es zu den bedeutenden Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die historischen bleiverglasten Butzenscheiben zeigen einzelne Murgtalsagen.
Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts hatte nicht viel gefehlt, und die historische Gaststätte wäre wegen des „Hirschecks“ verschwunden. Im Streit der Meinungen trug letztlich der damalige Inhaber, der „Hirsch“ blieb stehen und wurde von seinem abbröckelnden Verputz befreit. Man legte das Riegelwerk frei und fand dabei die Zeichen und Zahlen im Eckständer. Als Zunftherberge der Bäcker trat der Hirsch erstmals in Erscheinung, das war im 16. Jahrhundert. Anno 1689 brannte der Hirsch“ samt Umgebung nieder, doch schon 1694 war es in den heutigen Form wieder errichtet. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es wieder von Familie Brude zum Gasthaus betrieben. 1933 hob das Hotel und Pension zum „Goldenen Stern und Hirsch“ in einer Anzeige hervor: „feinbürgerliches Haus an der Murgbrücke. Altdeutsches Restaurant mit den Murgtalsagen“.
Die Hofstätte 1 beherbergt heute das Tui-Reisebüro, zuvor war darin die Deutsche Bank ansässig und hatte die lange Tradition des Hauses als Bank fortgeführt. Bereits 1903 hatte hier Jakob Dreyfuß ein Bank- und Wechselgeschäft. 1925 wechselte das Geschäft zur Rheinischen Creditbank, Hauptsitz Mannheim, Niederlassung Gernsbach.
Seit Beginn des 16. Jahrhunderts wird die „Hoffstatt“ wie die Bleich, Igelbach, Gass, Hof und Walbach als „vorstette“ bezeichnet, wie Rainer Hennl in seiner Buch „Gernsbach“ seine Quellenarbeit herausgearbeitet hat, und umfasst bereits 14 Häuser. Aus seinen sozialtopographischen Untersuchungen geht hervor, dass die Hofstätte um 1630 als bestes Wohnquartier galt – gemessen am Durchschnittswert der Häuser. Auch heute ist die Hofstätte ein attraktiver Platz. Er spiegelt auch die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung der Stadt wider. Es gibt keine Hutmacherin und kein Hotel mehr auf dem Platz, kein Lebensmittel- oder Gemüsegeschäft, keinen Metzger und keine Bank mehr. Doch haben sich Café, Friseur und Gaststätten gehalten oder wurden neu geschaffen und Geschenkartikel gibt’s in Sichtweite – und sorgen dafür, dass die Hostätte die gute Stube Gernsbachs bleibt.
Sicher wird sie sich weiterentwickeln und die Strömungen der Zeit aufnehmen: die Umgestaltung der Brückenmühle setzt sicherlich neue Akzente.
Regina Meier
Ich möchte Dank sagen, all den Gernsbacherinnen und Gernsbachern, die mir in ihren Erzählungen und Fotos teil haben ließen an der Geschichte ihres Hauses und ihrer Familien auf der Hofstätte. Grundlage für diesen Beitrag bildet ein Artikel aus dem „Gernsbacher Boten“, den ich 1998 geschrieben habe. Seither ist viel passiert, Traditionshäuser sind verschwunden, neues Gewerbe hat sich angesiedelt. Ich konnte gar nicht alle Informationen aufnehmen. Sicher ist, die Geschichte des Platzes wird weitergeschrieben.
Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2021 im Casimir Katz Verlag am 16. September 2021