Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Gernsbach

Teil 1

Im Mai dieses Jahres jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Grund für eine Rückschau auf diese Zeit. Im Mittelpunkt dieses Rückblicks stehen nicht in erster Linie die politischen Ereignisse, sondern die Schilderung der Menschen, die damals diese Zeit in Gernsbach erlebt haben.

1995 veröffentlichte der “Gernsbacher Bote” eine umfangreiche Darstellung der letzten Kriegsmonate. Diese fußten nicht nur auf Recherchen im Stadtarchiv, sondern auch auf mehreren Aussagen von Zeitzeugen, die damals noch lebten und ihre Erinnerungen persönlich weitergaben. Sie gaben ein nahegehendes Zeugnis von den Ereignissen ab. Zwischenzeitlich sind weitere Quellen hinzugekommen, die einen weiteren Zugang zur Aufarbeitung der Zeit erlauben.

Die Menschen 1944 lebten bereits seit fünf Jahren mit dem Krieg. Wohl gab es bis dahin in Gernsbach keine direkten Kriegshandlungen, doch die Berichte der Soldaten, die zu Heimaturlaub nach Hause kamen, waren erschreckend. Die Meldungen über Gefallenen- und Vermissten nahm zu. Einschränkungen in der allgemeinen Versorgung waren zu spüren, aber noch nicht dramatisch.

Das Alte Gefängnis in der Hepplerstraße beherbergte auch Soldaten, Aufnahme um 1943. Foto: privat

Ein Ende des Krieges war nicht zu erwarten. Die Informationen, die man über den verbotenerweise abgehörten BBC-Sender erfuhr, widersprachen den Parolen, die aus der Zeitung und den Parteiorganen zu entnahmen waren. Auch die steigende Zahl von Menschen, die als Fliegergeschädigte in Gernsbach Unterschlupf suchten, war alarmierend und verängstigte die Gernsbacher Bevölkerung. Im September 1943 zählte die Stadt über 760 Personen, die als Fliegergeschädigte untergebracht waren. Fast ein Drittel davon kam aus dem Ruhrgebiet, wo es besonders starke Vernichtungen durch Bombenangriffe gegeben hatte. „Die Stadt war überfüllt“, teilte Ernst Bernauer, Pfarrer der katholischen Gemeinde in Gernsbach, in seinem „Kriegsbericht“ an die Erzdiözese in Freiburg mit. Es gäbe keine freien Wohnunterkünfte mehr.

Pfarrer Ernst Bernauer hielt die Ereignisse in den letzten Kriegstagen schriftlich fest. Foto: Privat

Während des Krieges waren in Gernsbach über 500 Ausländer untergebracht, darunter niederländische und elsässische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene aus Frankreich, Polen und Russland. „Im Gernsbacher Werk arbeiteten jetzt als Kriegsgefangene in Afrika gefangengenommene Inder“, hielt Dr. Casimir Katz in seinen Erinnerungen „Wahrheit und Dichtung“ über seine Zeit bei Katz & Klumpp fest.

Bei den Indern handelte es sich meist um Pakistani, die moslemischen Glaubens waren und an der Murg ihre gegen Mekka gerichteten Gebete verrichteten. „Sie hatten Turbane auf und tadellose Uniformen. Sie wurden auch ihrer Religion entsprechend verpflegt, die Untertanen der britischen Majestät wurden recht gut mit Fleisch versorgt, während Polen und Russen ausgesprochen schlecht behandelt wurden“, schreibt er weiter. „In der Hierarchie der Kriegsgefangenen standen die Franzosen oben, sie waren meist auf den Bauernhöfen untergebracht“, ergänzt er.

Die jungen Frauen wurden noch im Frühjahr 1945 zum Reichsarbeitsdienst einberufen. Foto: Privat

Die tägliche Angst stieg, und bald gehörte auch die Sirene, die vor den Jagdbombern warnten, zu den Erfahrungen der Murgtalbewohner. Sobald die Sirenen in Gernsbach losgingen, suchten die Bewohner schnellstens die Keller und Luftschutzkeller auf. Für Ortrud und Hildegard Walter, deren Eltern damals das Hotel „Zum goldenen Kreuz“ in der Bleichstraße bewirtschafteten, brachte ein solcher Alarm besondere Belastungen: „Wir hatten zu Kriegsende die Bewohner des Altenheimes Rastatt in unserem damaligen Hotel untergebracht, die jüngste Bewohnerin war 70 Jahre. Bei Fliegerangriffen mussten wir Mädels immer mit anpacken, die alten Leute in den Keller zu bringen. Das war eine anstrengende Arbeit, zum Schluss haben wir die Matratzen in die Keller geschafft, und die alten Leute sind gleich unten geblieben“, erzählte Ortrud Walter vor 25 Jahren im persönlichen Gespräch.

Alfons Klostermeier erinnert sich, wie er als Mitglied des Jungvolkes, der Jugendorganisation der Hitlerjugend, am Kriegerdenkmal Wache schieben musste. Gerade mal zehn alt, wurde er vorwiegend sonntags, wenn er eigentlich als Messdiener im Sonntagsgottesdienst sein sollte, zu diesem Dienst abkommandiert.

Der Schrecken durch den Bombenangriff auf die Schwarzenbachtalsperre am 19. Juli 1944 fuhr den Menschen tief in die Glieder, zwei Menschen kamen dabei ums Leben. Die dortigen Flak-Stellungen als Sicherheitsmaßnahme der Talsperre waren keine Versicherung gegen eine Katastrophe, und dazu wäre es sicherlich gekommen, wenn die Staumauer nicht gehalten hätte.

Die eingesetzten Männer der Flak-Stellung waren zum Teil Soldaten, der überwiegende Teil allerdings waren Luftwaffenhelfer, die u.a. aus dem Gymnasium Gernsbach rekrutiert wurden. Eine Ortsrufanlage verband die Schwarzenbachtalsperre mit sämtlichen Bürgermeisterämtern murgabwärts bis Gernsbach.

Am 9. August 1944 fand ein Großeinsatz der amerikanischen Luftwaffe über Süddeutschland statt. Die amerikanischen Bomber, die auf einem Flughafen von England aus gestartet waren, hatten den Befehl, mehrere Ziele in Süddeutschland anzugreifen. Doch die Aktion musste abgebrochen werden. Dabei wurden mehrere Flugzeuge abgeschossen, ein schwer beschädigter Bomber flog über das Murgtal hinweg und zerschellte bei Enzklösterle-Gompelscheuer. Einzelne Besatzungsmitglieder konnten sich retten, drei landeten mit ihren Fallschirmen zwischen Weisenbach und Hilpertsau. Doch alle drei wurden von der aufgebrachten Menge oder von fanatischen NSDAP-Gefolgsleuten ermordet und bescherten dunkle Stunden für das mittlere Murgtal, insbesondere für Gernsbach.

Hintergrund für diese Lynchjustiz war ein Rundschreiben von Martin Bormann vom Mai 1944, letztlich hatte die NS-Regierung Lynchjustiz offiziell als legitim erklärt. Steffen Killinger, Historiker, der sich seit etwa 20 Jahren mit den Fliegermorden im Murgtal beschäftigt, konnte zahlreiche Details zu den Fliegermorden in amerikanischen Dokumenten sowie in deutschen Archiven recherchieren. Er konnte sie mit persönlichen Gesprächen mit überlebenden Besatzungsmitgliedern ergänzen und ein umfassendes Bild der furchtbaren Geschehnisse nachzeichnen und in den Lokalzeitungen veröffentlichen. Wie konnte es soweit kommen, dass solche Ausschreitungen stattfanden, dass niemand diesen Gewalttaten Einhalt gebot?

Bedrohung durch Fliegerangriffe

Die Bedrohung durch Tieffliegerangriffe für das restliche Murgtal wuchs. Am 10. September 1944 war Gaggenau das Angriffsziel von Bombern. Immerhin war dort mit dem Daimler-Benz-Werk ein „kriegswichtiger“ Betrieb angesiedelt. Ein Tagesgroßangriff mit Spreng- und Brandbomben zerstörte weite Teile der Stadt und des Industriebetriebes. Am 3. Oktober folgte ein zweiter und noch schrecklicherer Angriff, der besonders im Werk und dem Stadtteil Ottenau galt. „Insgesamt fanden 205 Bewohner den Tod, 111 wurden verletzt, 4.500 Menschen wurden obdachlos“, fasst eine Zusammenstellung über die Kriegsjahre im Heimatbuch des Landkreises Rastatt 1970 zusammen.

Der Angriff vom 10. September 1944 hatte auch in Gernsbach verheerende Folgen. Insgesamt zehn Todesopfer wurden beklagt. In Gernsbach wurden bei 24 Gebäude Schäden festgestellt, sechs Wohngebäude waren komplett zerstört. 65 Personen wurden obdachlos.

Das Anwesen der Familie Bastian in der Hoeschstraße 20 und die Hoeschstraße 18 wurden dabei völlig zerstört, die Häuser wurden von einer Brandbombe getroffen. Besonders schlimm traf dieser Angriff die Familie Budell in der Austraße 3. Die beiden Söhne Dietmar und Rainer und ihre Großmutter starben durch den Bombenabwurf. Ihre Mutter Fanny Budell wurde in den Trümmern verschüttet aufgefunden und hat sich von ihren schweren Verletzungen nie wieder richtig erholt. Ebenso wurde das Haus in der Austraße 25 durch diesen Angriff zerstört.

Die Werksanlagen von Schoeller & Hoesch wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Allein auf dieses Gelände fielen 25 Sprengbomben, zwei Betriebsangehörige wurden verwundet. Über Friedrich Rothfuß, einer der Verwundeten, ist folgendes überliefert: „Rothfuß war im Betrieb als Schlosser beschäftigt und konnte sich bei dem Angriff nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen und legte sich unter einen Baum, woselbst er Steinprellungen erlitt.“ Der Gebäudeschaden wurde von der Firma angegeben: „5 total zerstöre Gebäude, 4 schwer und 3 leicht zerstört.“

Am 12. September 1944 folgte ein weiterer Fliegerangriff, der das Haus der Familie Klumpp in der Austraße 34 stark zerstörte und ein Todesopfer forderte. Die Fliegerangriffe erfolgten in immer dichteren Abständen. Dabei wurden jeweils Verletzte beklagt.

An den Endsieg glaubten nur noch wenige. Allerdings waren vom Bürgermeister Gernsbachs, Friedrich Bender, der 1938 aus Wertheim nach Gernsbach gekommen war, ganz andere Töne zu hören. Bender, der von Mai 1942 nicht mehr vor Ort war, sondern zur Wehrmacht abkommandiert war, vertrat mit großer Überzeugung nationalsozialistische Ideen. Ende November 1944 schrieb er an den NSDAP-Ortgruppenleiter Stichling nach Gernsbach: „Wenn wir nie den Glauben an den Führer verlieren und immer seinem Beispiel folgen, dann wird trotz allem am Ende dieses Ringens der Sieg unser sein.“

Auch die Feldpostbriefe sind ganz im Ton der nationalsozialistischen Propaganda verfasst. So schrieb Daniel Fortenbacher 1940 von der Westfront an seinen ehemaligen Arbeitgeber Kurt Overlack von der Firma Casimir Kast: „Wir Soldaten an der Westfront wollen immer treue Wache halten, solange es unser Führer für richtig hält, damit der Franzmann unsere Heimat nicht verwüsten kann.“ Doch mehr und mehr machte sich Skepsis unter den Soldaten wie der Bevölkerung breit. Trotz Zensur begannen Soldaten wie Briefpartner/innen ihre Meinungen und Erlebnisse offen zu schildern. Von Pius Kleehammer, Gausbach, der Soldat an der Ostfront war und wahrscheinlich dort gefallen ist, ist ein Brief vom November 1944 überliefert: „Ich kann euch nicht sagen, wie mir alles verleidet ist. Kein Ausweg zu einem Ende des Elends….Ich kann bestimmt vieles ertragen, aber das ist einmal zu viel. Da hat man gar keine Lust mehr zu leben. Und man muss weitermachen…“

Am 27. Februar 1945 war Gernsbach wieder Ziel von „Bordwaffenbeschuss feindlicher Tiefflieger“, wie in den damals offiziellen Verlautbarungen zu lesen war. Die Bomben fielen auf das Haus von Richard Weber in der Scheffelstraße. Auch am 9. März ist ein Fliegerangriff verzeichnet. Am 24. März 1945 wurde von einem Tiefflieger ein Gernsbacher getötet. Im März 1945 wurde die Bildhauerwerkstätte von Adolf Schnelle in der Scheffelstraße durch „unmittelbar in der Nähe abgeworfene Bomben“ zerstört. Außerdem wurden die Gebäude Emil und Karl Kübler sowie der „Löwen“ und das Haus Nachmann-Walter im Bereich der Igelbach-/Bleichstraße/Salmengasse beschädigt.

Für die Frauen und Mädchen aus dem gesamten Murgtal war damals Schippen angeordnet. Mit einem „Schipperzug“, wie der Zug, der die Menschen zum Gräben-Ausheben damals genannt wurde, wurden die Frauen unter Aufsicht von Parteimitgliedern (meist ältere Beamte) Richtung Rheintal gefahren. In und um die grenznahen Gemeinden sollten Feldbefestigungen und Schützengräben angelegt werden.

Immer mehr Menschen aus den Gemeinden an der Grenze suchten im mittleren und hinteren Murgtal Unterschlupf, aus Furcht vor der näher rückenden Front. Gegen Ende des Krieges nahmen die Großangriffe auf die Städte zu. Und dann kam die Nachricht von der Zerstörung Pforzheims am 23. Februar 1945. Die Meldung von der totalen Zerstörung Bruchsals am 1. März 1945 ließ die Angst vor Angriffen weiter wachsen.

„Wir werden uns immer daran erinnern, wie in den letzten Kriegstagen Leute aus Pforzheim zu uns kamen“, erzählten Hildegard und Ortrud Walter über ihre Erlebnisse in ihrem Hotel „Zum goldenen Kreuz“. „Sie flüchteten bei Fliegeralarm ebenfalls mit uns in unsere Keller und saßen am ganzen Leib zitternd da. Die Schilderung dieser Pforzheimer über ihre Erlebnisse beim Angriff auf Pforzheim war ein einziges Grauen“, erinnern sich die Gernsbacherinnen noch 50 Jahre nach den Ereignissen sehr lebendig.

Die deutsche Bürokratie war noch immer intakt: Ende Februar 1945 erhielten Gernsbacher Jugendliche eine Einberufung zum Reichsarbeitsdienst nach Rastatt. Brigitte Rein erinnerte sich, dass sie nach Rastatt den Zug nutzen konnten, doch zurück mussten sie zu Fuß gehen. „Wir warfen uns in Kuppenheim fortlaufend in den Landgraben, hörten auch die Bordwaffen knattern. Letztlich kamen wir verängstigt, aber wohlbehalten in Gernsbach an“, veröffentlichte sie in einem Rückblick.

Das schönste Frühjahrswetter entlockte der Natur das erste Grün, doch in den Köpfen der Menschen war für dieses Naturschauspiel in jenen Tagen kein Platz. Die Versorgungslage verschlechterte sich und führte zu immer schärferen Rationierungen. Schon im Januar 1945 war ein „Volksopfer“ zur Sammlungen von Sachspenden angeordnet worden.  Danach sollten Kleidung und Ausrüstungsgegenstände für Volkssturm und Wehrmacht gespendet werden, diese Anordnung wurde sogar noch verschärft und verhieß die Todesstrafe demjenigen, der Sammlungsstücke unterschlagen würde.

Die wenigen verbliebenen jungen Männer in Gernsbach hatten Angst, doch noch eingezogen zu werden. Im Frühjahr 1944 musste der Jahrgang 1926 an die Front, das heißt, die gerade mal 17-Jährigen wurden eingezogen, im Herbst 1944 war der Jahrgang 1927 dran. Noch im März 1945 wurde ein letztes Aufgebot von älteren Männern und Jugendlichen zusammengestellt, das als Volkssturmeinheiten den Widerstand gegen die Front stärken sollte. Jedem war die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme klar. Jeder sehnte sich ein Ende des Krieges herbei.

„Panischer Schrecken verbreitete das Gerücht, Gernsbach sollte verteidigt werden. Daß die führenden Parteileute tatsächlich daran gedacht hatten, Gernsbach nicht kampflos zu übergeben, beweist ein großes Plakat, das nachträglich im Rathaus fand. Es kündigt den bevorstehenden und geplanten Kampf an und ordnet die Räumung des Städtchens an“, hielt Pfarrer Ernst Bernauer in seinem „Kriegsbericht“ für das Erzbistum Freiburg fest. 

April 1945 in Gernsbach

Der 1. April 1945 war der Ostersonntag. Die Hoffnung der Menschen galt damals dem baldigen Ende des Krieges. Noch in der Osterwoche, am 5. April wurden die Inder, die in Gernsbach zum Arbeitsdienst in den Industriebetrieben eingesetzt waren, abgezogen. „Das gesamte Kommando auf höheren Befehl nach dem Lager Malschbach abkommandiert“,  wurde festgehalten.

Die Alliierten rückten immer näher. Am 31. März 1945 hatte die 1. Französische Armee unter Befehl von General Jean de Lattre de Tassigny nördlich von Karlsruhe den Rhein überquert. Am 4. April wurde Karlsruhe besetzt. In der Nacht vom 9. auf 10. April marschierten die französischen Soldaten, meist Marokkaner, in Freiolsheim-Moosbronn ein. Weithin sichtbar loderten die Flammen der angezündeten Gebäude.

Kaum noch jemand ging im Murgtal an seinen Arbeitsplatz, es hieß abwarten.

Eleonore Mayer-Katz hielt sich in den letzten Kriegstagen bei ihrer Großmutter in der Bleichstraße auf. Foto: Werner Meier

Am Dienstag, 10. April, zogen die in Gernsbach liegenden Einheiten der Wehrmacht ab. Leonore Mayer-Katz, die sich bei ihrer Großmutter in Gernsbach in der Bleichstraße aufhielt, schrieb in ihren Memoiren: „Noch sehe ich vor mir, wie in jenen Tagen die völlig erschöpften deutschen Soldaten durch Gernsbach zogen. Ihre Mienen waren gekennzeichnet von den Kämpfen der letzten Tage, die Uniformen waren abgewetzt, das Schuhwerk schlecht, sie waren unzureichend bewaffnet. Hinten in der Hebelstraße kochte man für sie Kartoffelsuppe. Sie waren dankbar dafür, aber sie wirkten hoffnungslos.“

Am 10. April wurde das Murgtal vom deutschen Oberkommando aufgegeben. Hohe und niedrige Parteiführer begannen, sich aus Angst vor den sich überstürzenden Ereignisse abzusetzen.

Das leere Lebensmittellager wurde von in den letzten Kriegstagen angezündet. Foto: Stadtarchiv Gernsbach

In der Nacht wurden die Lebensmittelvorräte aus dem Militärlager an der Badener Straße, beim jetzigen Hockeyplatz, mit Fuhrwerken nach Forbach in die Lazarette gebracht, danach waren die drei großen Baracken mit den restlichen Lebensmittel für die Bevölkerung geöffnet. Die Gernsbacher konnten dadurch ihre mageren Vorräte aufstocken, vor allem waren die Menschen für das Mehl und den Käse dankbar.

In der Nacht vom 10. auf den 11. April fuhr ein Munitionswagen bei der katholischen Liebfrauenkirche vor, und die Soldaten begannen, Kisten abzuladen. Pfarrer Ernst Bernauer protestierte dagegen, bekam allerdings zur Antwort: „Sie werden ihre Freude haben, es kommen noch vier Wagen voll. Wir haben Befehl, hier abzuladen.“ Sein Hinweis an die Ortskommandantur am nächsten Tag, dass diese Munition doch eine große Gefahr für die Kirche sei, wurde lapidar telefonisch beantwortet: „Es sind schon viele Kirchen zerstört worden, auf diese eine kommt es jetzt auch nicht mehr an.“ Und doch, noch am 11. April wurde die Munition wieder abgeholt.

Der Tagesbefehl des Gauleiters vom 27. März 1945 mit dem Aufruf zur Werwolfaktion hätte für Gernsbach verheerende Folgen gehabt. Es hieß da: „Der Feind steht an den Grenzen unseres Gaues…. Jeder Mann, jede Frau, jeder Junge und jedes Mädel hat die heilige Pflicht. …. dem Feind Schaden zuzufügen.“ Mit diesem Aufruf zu einer Partisanentätigkeit war gleichzeitig die Drohung verbunden, dass all diejenigen, die sich ergeben oder eine weiße Fahne zeigen, durch ein Standgericht erschossen würden.

Setzte sich dafür ein, dass die Stadtbrücke nicht gesprengt wird: Felix Hoesch, Foto: Stadtarchiv Gernsbabach

Umso mehr muss das mutige Engagement von Felix Hoesch eingeschätzt werden. Er versuchte, den Befehl zur Sprengung der Stadtbrücke, um den französischen Vormarsch aufzuhalten,  rückgängig zu machen. Letztlich konnte er im Ringen mit dem beauftragten deutschen Offizier um den Erhalt dieser Brücke einen Teilerfolg verbuchen. Die Brücke wurde am 11. April 1945 vor Einbruch der Dunkelheit gesprengt. Sie wurde allerdings nur soweit beschädigt, dass sie nicht mehr passierbar war, aber die Wasserleitung, die unter der Brücke verlief, wurde verschont. Durch die Detonation gingen Fensterscheiben und Schaufenster der örtlichen Geschäfte zu Bruch. Die Sprengung verursachte auch zum Teil Verwüstungen in den Häusern, Möbel und Hausgeräte wurden demoliert. Dies geht aus den Schadenslisten hervor, die detailliert nach Ende des Krieges an die Stadtverwaltung gemeldet wurden. Die Druckwelle war so stark, dass sogar Menschen umgeworfen wurden, bestätigten Zeitzeugen. Auch die Hoesch-Brücke wurde zerstört, konnte jedoch zu Fuß noch überquert werden.

Das Lebensmittellager am 11. April 1945 wurde ein Raub der Flammen. Foto: Stadtarchiv Gernsbach

Das leere Lebensmittellager wurde von den verbliebenen deutschen Soldaten angezündet. „Als Folge hiervon begann um etwa 19 Uhr der Angriff auf Gernsbach“, hielt Leonore Mayer-Katz schriftlich fest. „Brandgranaten und glühende Kugeln fetzten durch die Luft.“

Pfarrer Ernst Bernauer beschreibt ebenfalls die dramatischen Stunden in der Nacht: „Etwas nach 10 Uhr schossen die Deutsche etwa drei Brandgranaten in das Städtchen, in den Teil rechts der Murg. Es entstand ein Brand, dem 12 Häuser zum Opfer fielen und restlos abbrannten. Es konnte nichts gerettet werden, weil die Bewohner in den Bunkern sich befanden und sie nicht verlassen durften.“

Den ganzen Tag hatte man schon die Geschützfeuer der Franzosen gehört. Bereits am Vormittag waren die Franzosen über das Käppele in Loffenau einmarschiert. Am Nachmittag sah man, dass in Loffenau einige Häuser brannten. Auch aus Michelbach wurde der Anmarsch der Franzosen gemeldet. Die Gernsbacher richteten sich in ihren Kellern ein, man rechnete bis zum Einbruch der Dunkelheit mit dem Einmarsch der Franzosen.

 

Dieser Beitrag wäre ohne die persönlichen Erzählungen von Zeitzeugen nicht möglich gewesen. Ein herzliches Dankeschön dafür an die Beteiligten, das Aufleben dieser Erinnerungen war emotional oftmals bewegend. Wichtige Hinweise gaben die Publikationen von Martin Walter: Prägende Jahre zwischen den Kriegen: 1914–1945, in „800 Jahre Gernsbach“, 2019, sowie Casimir Katz: Wahrheit und Dichtung – Geschichte und Erinnerungen an eine bewegte Zeit, 1995, und Leonore Mayer-Katz: Sie haben zwei Minuten Zeit. Nachkriegsimpulse aus Baden, 1986, und das Stadtarchiv Gernsbach.

Regina Meier

Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 1/2020 im Casimir Katz Verlag am 31. März 2020

Einmal Mummelsee und zurück

Ich habe heute etwas gegen die Corona-Kalorien getan, Fahrradtour Langmartskopfhütte – Hohloh – Toter Mann – Panoramahütte – Mohren Zwickgabel – Auerhahn Hinterlangenbach – Seibelseckle – Mummelsee und zurück. Zum ersten Mal den Akku leergefahren. P.S. Wenn man über 65 ist, gehört man zu den Corona-Gefährdeten. Uffbasse.

Die siebziger Jahre in Gernsbach

In Wort und Bild wird in dem Vortrag „Die siebziger Jahre in Gernsbach“ die Zeit vor 50 Jahren lebendig. Da gab es nicht nur die ersten Discos, sondern auch Kurgastabende in der Stadthalle. Dort spielten bekannte Schauspieler jener Zeit, alternatives Kulturleben wurde erprobt. Das Juze in der Waldbachstraße gewann regen Zulauf.

Doch auch die bedrohlichen Auswirkungen des „Deutschen Herbstes“ waren bis Gernsbach zu spüren, als am 2. Altstadtfest die Gernsbacher mit der ganzen Welt um den entführten Hanns-Martin Schleyer bangten.

 

Zahlreiche Neubauten entstanden in den Jahren und die ersten Überlegungen für eine Ortsumfahrung Gernsbach mit einer Tunnellösung wurden angestellt.

Regina Meier macht die Ereignisse in Gernsbach mit Hilfe von Fotos und Videosequenzen anschaulich. Veranstalter ist die Stadt Gernsbach.

Im Foyer wurden die Besucher mit Requisiten der siebziger Jahre begrüßt. Zeitschriftenaufsteller, die einst vor dem Schreibwaren- und Bilderrahmengeschäft Beck standen, wurden wieder vom Dachboden geholt.

 

Die Stadthalle war voll besetzt, auch wenn der Vortrag eine Wiederholung der Veranstaltung vom Oktober 2019 war. Allerdings gab es doch einige Ergänzungen, gerade im Bereich der Infrastruktur der Stadt – insbesondere die Anfänge der Planungen des Gernsbacher Tunnels. Rege Gespräche mit dem Austauschen von Erinnerungen gabs danach.

“Island” beim Ökumenischen Seniorentreff

Der Vortrag nahm die  Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf eine Reise in Island. Anlässlich des Gernsbacher Ökonomischen Seniorentreffs fanden sich trotz unwirtlicher Witterung zahlreiche Besucherinnen und Besucher im Wohnstift Gernsbach ein.

Dabei wurden Fotos von einer Rundreise  rund um die gesamte islängdische Insel, angefangen von der Hauptstadt Reykjavik bis hin zu Abstechern ins Hochland gezeigt. 

Donnerstag, 27. Februar 2020
14.30 Uhr
Wohnstift Gernsbach

 

Ein Blick in die Gernsbacher Frauengeschichte

Umbruch – Aufbruch – Veränderung

Dem Thema Umbruch – Aufbruch – Veränderung ist man zu Jahresanfang ja aufgeschlossen. Gute Vorsätze begleiten uns, der Jahreswechsel mit seinen ruhigen Phasen gibt uns Zeit, sich zu besinnen, was steht in diesem Jahr an, was möchte ich bewegen?

So behandelte der Vortrag anlässlich des Jahreseröffnungs-Frühstücks des Katholischen Deutschen Frauenbunds Gernsbach Frauen in der Geschichte Gernsbachs. Seit fast 10 Dekaden existiert nun der Frauenbund in Gernsbach und so wählte ich für jede dieser Dekade eine Frau, anhand der die Zeit und die besondere Rolle der Frau dargestellt werden sollte. 

hier geht es weiter

Kalender 2020

Namaste – Begegnungen auf dem Dach der Welt

Die Aufnahmen stammen von unserer Nepal-Reise 2018. Diese stand ganz im Zeichen des Annapurna. Die gemeinsamen Trekking-Touren zum Annapurna Base Camp und auf dem Annapurna Circuit waren einzigartig.
Besonderes Erlebnis war das Kennenlernen der Schul-Projekte von Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits nahe Kathmandu.
Ein herzliches Namaste für die Begegnungen auf dieser Reise

“The colours of Iceland” im Kirchl

Werner Meier
The colours of Iceland
Mit dem Wohnmobil in Island und auf den Färöer Inseln

Vulkane und Eisberge, Wasserfälle und Geysire: wohl kein anderes Land bietet solch dramatische Naturerlebnisse auf engstem Raum wie Island. Auf einer mehrwöchigen Reise durch Island im Jahr 2018 erkundeten Regina und Werner Meier die nördliche Insel und entdeckten spektakuläre Landschaften und entspannende Bäder in heißen Quellen auf eigene Faust.

hier geht es weiter

Unvergessliches Erlebnis: Denkmalnacht in Gernsbach

Von Gernsbachern für Gernsbacher: die Denkmalnacht
am 14. September 2019

Die Gernsbacher Denkmalnacht war ein Höhepunkt in den Feierlichkeiten zum 800-Jahr-Jubiläum der Stadt. Wichtige Gebäude der Altstadt wurden illuminiert und zeigten sich wortwörtlich in neuem Licht. Bei lauen herbstlichen Temperaturen im Schein des Vollmondes zogen zahlreiche Besucher vom Katzschen Garten bis hoch zum Storchenturm und folgten einer Kette von bunten Kerzen.

Bürgermeister Julian Christ eröffnete die Denkmalnacht, gemeinsam mit der Biedermeiergruppe, den Hördener Herolde und dem Arbeitskreis Stadtgeschichte.

Bürgermeister Julian Christ eröffnete gemeinsam mit Dr. Irene Schneid Horn und Regina Meier vom Arbeitskreis Stadtgeschichte die Veranstaltung „Schau mal, hör mal, denk mal“. Flankiert von der Biedermeier-Gruppe und angezogen von den Fanfarenklängen der Hördener Herolde hatten sich bereits zum Auftakt des Abends zahlreiche Besucher vor dem Kornhaus versammelt.  

Das Konzept des Veranstalters, der Stadt Gernsbach, das unter Mitarbeit des Arbeitskreises Stadtgeschichte entstand, wurde überwältigend angenommen. Über ein Jahr dauerten die Vorbereitungen für dieses Event, in der sich die Aktiven in mehreren Sitzungen über Gestaltung und Ablauf einbrachten. Etwa 40 Gruppen waren an der Durchführung beteiligt. Für alle überraschend waren der rege Zuspruch der Besucher und die Lichtpracht, in der die Denkmäler erstrahlten.

Vor jedem der zwölf Stationen war ein Licht-Punkt installiert und informierte über das Programm des jeweiligen Ortes. Viele Besucher waren allerdings schon mit einem festen Plan gekommen, den sie sich dank des frühzeitig erschienenen Flyers zusammengestellt hatten. Die Begeisterung der Besucher, durch die Gassen der Altstadt zu schlendern und die kulturellen Beiträge zu genießen, war überall zu vernehmen. An allen Ecken trafen sich die Menschen, tauschten sich über den nächsten Programmpunkt aus. Es gab auch jene, die zielstrebig durch die Gassen stürmten, da sie die nächste Aufführung nicht verpassen wollten. Doch Eile war nicht angebracht, denn spätestens hinter der nächsten Kurve traf man Bekannte und verweilte im Gespräch.

Denkmäler sind nicht nur ein Ausdruck von Geschichte, vielmehr entfalten sie ihre ganze Bedeutung, wenn sie mit Leben gefüllt werden. Und dazu gabs bei der Gernsbacher Denkmalnacht genügend vorzeigbare Beispiele: Szenenspiele, Chorgesang, Vorlese- und Mitmach-Aktionen wurden den Besuchern geboten.

Alleine die Musikrichtungen, die an diesem Abend in Gernsbach präsentiert wurden, werden sich in der Dichte nicht so schnell wiederholen:

Vor dem Kornhaus war der Chor Salt o vocale zu hören.

Der Chor Salt o vocale unter Leitung von Achim Rheinschmidt war vor dem Kornhaus zu hören. Im Katzschen Garten bot der Chor Ucelli Canori, geführt von Irmgard Löb-Spöhr, Lieder aus Pop, Rock, Gospel und Musicals. Das Trio CAN – Claudia und Anne Dresel und Nela Samuelis – hatte ein ganz besonderes Repertoire an schaurigen Liedern zusammengestellt und präsentierte dieses im historischen Kellergewölbe am Stadtbuckel. Musica Antiqua mit ihren mittelalterlichen Klängen und keltischer Folklore sowie die alpenländischen Stubenmusik der Gruppe BriMaTonVoka unter Leitung von Brigitta Herzog zogen die Zuhörer im Alten Rathaus in Bann. In den Kirchen gabs Orgelmusik, und in der St. Jakobskirche spielte das Kammerorchester Werner Roth.

Ucelli Canori im Katzschen Garten

Im Katzschen Garten hatten sich Tanja und Jürgen Illig auf die Begrüßung der Gäste vorbereitet und sorgten mit zahlreichen Fackeln für ein stimmungsvolles Ambiente. Wahre Menschentrauben interessierten sich für die Führungen zu den Kleinoden des Gartens.

in Nachtwächter wachte über die Sicherheit in den Gassen. Rudi Seifried hatte sich spontan bereiterklärt, diese Rolle zu übernehmen und verkündete stilecht und eindrucksvoll den jeweiligen Wächterruf: „Hört ihr Leut und lasst euch sagen…“

Türmwächter am Storchenturm

In die Rolle der Turmwärter schlupften an diesem Abend Christoph Gerber und Gerhard Seidel. Angekündigt durch Fanfarenklänge der Hördener Herolde, die in der ganzen Stadt zu hören waren, wechselten sie stündlich wortgewandt ihren Dienst am Storchenturm. Sie gaben in einem launigen Dialog einen Einblick in ihre einst wichtige Aufgabe für die Stadt.
Im Alten Rathaus führte der Historienstadl Gernsbach die überlieferte Geschichte über die Hexe von Gernsbach aus dem 17. Jahrhundert auf, die Dr. Cornelia Renger-Zorn in Szene gesetzt hatte.

Vor dem Kornhaus diskutierten Ernst Ludwig Posselt und Friedrich Weinbrenner in einem fiktiven Gespräch über die Probleme des 18. Jahrhunderts, dargestellt von Wolfgang Froese und Dr. Ulrich Schumann in historischen Gewändern.

Großer Andrang herrschte bei den Führungen in den Kellern Hauptstraße 28, dem Wolkensteinschen Keller und den Zehntscheuern.

Reger Besuch in den Zehntscheuern.

Die Bewirtungs-Crew in den Zehntscheuern hatte alle Hände voll zu tun, dem Andrang der Besucher gerecht zu werden. Die Führungen in den frisch renovierten Scheuern mussten reglementiert werden. Ebenso ging es in der Hauptstraße 23 zu. Dort hatten Annegret Kavelage und Sabine Giersiepen den Kunstraum und den Durchgang zur Amtstraße ansprechend ausgeleuchtet. Einen wahren Zustrom von Interessierten fanden die Aktivitäten im ausgeräumten Kellergewölbe. Die stündlichen Aufführungen des Gesangstrios CAN im Wechsel mit der Geschichtenerzählerin Brigitte von Hattem hatten regelrecht Magnetwirkung am Stadtbuckel.

Das Marienhaus erstrahlte mit blau-roten Spots.

Auch die Jüngeren kamen auf ihre Kosten, wie beispielsweise beim Basteln in der ehemaligen Nähstube des Marienhauses. Die Bücherei hatte sich auf ihre Herkunft besonnen und bot eine Nähaktion für Groß und Klein. Bei älteren Gernsbacher wurde die Erinnerung wach, wie sie hier einst von der Nähschwester unterrichtet wurden.

Eine Entdeckung für viele Besucher war der geöffnete Wolkensteinsche Hof. Hier sorgten die Bleichhexen mit ihrer Bewirtung in dem weitläufig, privaten Innenhof, der von früheren Altstadtfesten noch vielen Gernsbachern in Erinnerung war, für einen willkommenen Ruhepol in dem schrittintensiven Abklappern der Denkmalnacht-Aktionen.

Dort fanden die Vorlese-Aktionen in der rustikal dekorierten Scheune zahlreiche Zuhörer. Für eine knappe halbe Stunde ließen sie sich in die Welt von Hexen und Geistern entführen. Janina Bender, Katja Weißhaar und Petra Bender-Rheinschmidt hatten dazu spannende und lustige Geschichten ausgesucht.

Das Basteln eines echten Hexenbesens faszinierte die Jüngsten. Dabei konnten sie selbst Hand anlegen, der Hexenbesenmeister Mijo Bukovic unterstützte sie mit urigen Holzbengel und Besenginster. Ein mystischer Tanz mit Licht und wallenden Gewändern hatte Frauke Leupolz vorbereitet und zog die späten Besucher in Bann.

Zur Erfrischung gabs Apfelsaft, vor Ort frisch gepresst von der Süßmostgruppe Gernsbach, auch hier konnten interessierte Kinder aktiv mithelfen. Viele machten im Wolkensteinschen Hof kurze Rast, bevor sie den Rest des Stadtbuckels erklommen und die Attraktionen in der Liebfrauenkirche genossen.

Die Aufführung der Antiphonen fand in der Liebfrauenkirche statt.

Dort hatte Holger Becker, Organist, ein spannendes musikalisches Repertoire zusammengestellt. Die zahlreichen Besucher, die für ein volles Kirchenschiff sorgten, honorierten diese besonderen Darbietungen. Sicher war die Aufführung der Antiphonen ein Höhepunkt in der abendlichen Programmgestaltung der Liebfrauenkirche.

Das als Makulatur verwendete Doppelblatt eines klösterlichen Antiphonalbuches aus dem späten 13. Jahrhundert ist die älteste Handschrift im Gernsbacher Stadtarchiv. Eine Auswahl der daraus notierten Antiphonen wurde durch eine Schola unter Leitung von  Holger Becker gesanglich vorgetragen und das zur Besichtigung ausgestellte Originalpergament hörbar gemacht.

Außerdem hatte der Organist zu „Gothic pipes“ eingeladen und wurde jeweils mit einem gefüllten Gotteshaus für diese Aktion honoriert. Bekannte und weniger bekannte Orgelstücke tauchten zusammen mit entsprechender Illumination die gotische Liebfrauenkirche in eine bisher eher unbekannte Sphäre. Dazwischen sorgten Impulse von Stefan Major, Pastoralreferent der Katholischen Seelsorgeinheit Gernsbachs, für nachdenkliche Momente. Diese trug er zu Projektionen von Weltraumbildern vor, die von Stefan Hahne, Hobby-Astronom, zur Verfügung gestellt wurden und tiefe Einblicke in das Universum ermöglichten.

Ein abwechslungsreiches Programm war in St. Jakob geboten. Die Beleuchtung des Deckengemäldes hatte Walter Westhoff übernommen. Friedemann Schaber eröffnete und beschloss das musikalische Programm des Abends mit seinem Orgelspiel. Burgel Löwenthal bot zu später Stunde an der Orgel Abendlieder zum Mitsingen: „Nun ruhen alle Wälder“. Klezmer Musik präsentierten Sarah Haist mit Hansjörg Wallraff, während Werner Roth mit seinem Kammerorchester und Irene Jung mit ihrer Gruppe Musica Antiqua für weitere markante Programmpunkte an diesem Abend sorgten. Pfarrer Hans-Joachim Scholz trug Nachdenkliches zu den Musikdarbietungen vor.
Die breit gefächerten kulturellen Beiträge kamen durch die professionelle Beleuchtung der jeweiligen Stationen erst so richtig zur Geltung. Merlin electronic, Ottenau, hatte unter der Regie von Roland Peuker und Team in die Schatztruhe der Illuminations-Technik gegriffen. Das Marienhaus erhielt mit blau-roten Spots eine eigene Strahlkraft. Die Zehntscheuern waren in rotes Licht getaucht und zogen zahlreiche Fotografen an, die sich diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten und diese magischen Lichtmomente einfingen.

Altes Rathaus

Im Zentrum der Beleuchtung stand das Alte Rathaus. Daran kam keiner vorbei, und die stimmungsvollen farbigen Strahler ließ das Renaissance-Palais in seiner ganzen Pracht erleuchten. Es strahlte von weitem und lud die Besucher ein, zum musikalischen Aktion mit Musica Antiqua oder Cello-Spiel des ASG. Viele nutzten auch den Abend, um dem Museum der Harmonie einen Besuch abzustatten.

Ganz besondere Akzente setzte die Beleuchtung der St. Jakobskirche. Der Storchenturm ragte hoch über die Stadtbefestigung empor, die illuminierte Stadtmauer bot eine ideale Kulisse für die schauspielernden Turmwärter. Auch das Kornhaus erstrahlte in faszinierendem Farbenspiel. 

Marktplatz-Brunnen

Die Brunnen waren mit Windlichtern geschmückt. Auch hier zeigte sich das gute Zusammenspiel der aktiven Gruppen: der Obst- und Gartenbauverein Gernsbach, die Von-Drais-Schule und die Bleichhexen hatten jeweils die Deko eines der Altstadtbrunnen übernommen.

Noch jetzt, Wochen nach diesem Spektakel, sind die Erinnerungen an den Abend sehr lebendig und tauchen in den Gesprächen der Gernsbacher immer wieder auf.

Keiner konnte alle Aktivitäten mitmachen, doch das Bestaunen der beleuchteten Denkmäler und die vielen Gespräche mit Nachbarn und Bekannten, die man schon lange nicht mehr ohne Zeitdruck getroffen hatte, machten diesen Abend für alle Besucher und Teilenehmer zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Nochmals darf ein herzliches Dankeschön an alle Aktiven ausgesprochen werden, auf den Bühnen und hinter den Kulissen, in der Verwaltung und im Bauhof, die Licht-Techniker und an die vielen Ehrenamtlichen, die zum Gelingen dieses besondern Ereignisses beigetragen haben: sie haben uns ein tolles Geschenk zur 800-Jahr-Feier gemacht, an das sich alle, die dabei waren, noch lange erinnern werden.

Text: Regina Meier
Fotos: Werner Meier

Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 4/2019  im Casimir Katz Verlag am 26. November 2019


Die siebziger Jahre in Gernsbach – Premiere

Unter diesem Motto wird am Sonntag, 20. Oktober 2019, 18 Uhr, in der Stadthalle Gernsbach ein Rückblick auf ereignisreiche Jahre in der Stadtentwicklung geworfen.

Aufbauend auf der Publikation „800 Jahre Gernsbach – Die Geschichte der Stadt“ wird  Regina Meier diese prägende Dekade aufleben lassen. Untermalt mit vielen Fotos werden längst vergessene Straßenzüge wieder sichtbar und die gewaltigen baulichen Veränderungen deutlich gemacht. In dem Vortrag werden auch einige Persönlichkeiten, die diese Zeit geprägt haben, auf der Leinwand präsentiert.

In Text, Bild und Ton wird dieses ereignisreiche Jahrzehnt, sowie seine Kultur, der Alltag und das Lebensgefühl der Menschen beleuchtet.

Bislang nicht sonderlich beachtet, haben sie für die Entwicklung Gernsbachs herausragende Bedeutung. In diesen Jahren erhielt Gernsbach seine heutige Struktur. Nicht nur die Gemeindereform sorgte für veränderte Verhältnisse, neue kommunale Bauten veränderten das Gesicht von Gernsbach.

Im Bereich Handwerk und Handel sorgten die Strukturänderungen für neue Formen des Kaufens und Verkaufens. Mit dem Jugendzentrum und dem Kommunalen Kino entstanden zwei neue Ausdrucksformen kulturellen Lebens.

Bedeutsam war auch das Entstehen der Altstadtfeste, ursprünglich als Bürgerfest initiiert, von dem man nicht erwartete, dass es über 40 Jahre Bestand haben würde. Aber auch die Uranfunde im Waldbachtal hielten die Stadt in Atem. 

800 Jahre Gernsbach

Aus Anlass des 800-jährigen Stadtjubiläums legen zehn Autorinnen und Autoren nun erstmals eine moderne Gesamtdarstellung der Geschichte Gernsbachs vor. Sie geben darin einen fundierten Überblick über zentrale Ereignisse und Entwicklungen sowie das städtische Leben seit dem Mittelalter bis heute. Die Beiträge und mehr als hundert Abbildungen veranschaulichen den langen Weg, den die Stadt und ihre Menschen in den vergangenen 800 Jahren bis zur Gegenwart zurückgelegt haben.

Buchpräsentation in der Stadthalle mit Rainer Hennl, Kurt Hochstuhl, Wolfgang Froese, Regina Meier und Sabine Katz.

Eine große Herausforderung für die Autorinnen und Autoren war, dass die vorhandenen Vorarbeiten für diese Gesamtdarstellung sehr ungleichmäßig und lückenhaft waren. Weite Bereiche insbesondere der jüngeren Gernsbacher Geschichte sind bislang wenig oder nie aufbereitet worden, weshalb es intensiver eigener Forschungsarbeiten bedurfte. Zum Jubiläumsjahr erscheint das umfangreiche Gemeinschaftswerk, das die Geschichte Gernsbachs quellenorientiert und damit  kritisch darstellt und so auch einen nüchternen Blick auf die künftigen Herausforderungen eröffnet.

Das Werk wird im Auftrag der Stadt Gernsbach von Stadtarchivar Wolfgang Froese herausgegeben.

368 Seiten, ca. 100 Abbildungen, Register, gebunden, 34,- Euro

INHALT

Bürgermeister Julian Christ: Vorwort

Wolfgang Froese und Regina Meier: Einführung
Oliver Fieg: Das mittelalterliche Gernsbach: 1219–1505
Rainer Hennl: Zeit des Wandels: 1505–1660
Cornelia Renger-Zorn und Max Schlenker
mit einem Beitrag von Ulrich Maximilian Schumann: Unter der Herrschaft absoluter Fürsten: 1661–1803
Kurt Hochstuhl: Von bürgerlicher Emanzipation und „Ungehorsam“: 1803–1849
Wolfgang Froese: Auf dem Weg in die Moderne: 1850–1914
Martin Walter: Prägende Jahre zwischen den Kriegen: 1914–1945
Regina Meier: Erfahren – Erleben – Gestalten: 1945–1974
Volker Neuwald: Stadtentwicklung im Rekordtempo: 1975 bis heute

Das Buch ist erhältlich über den Casimir Katz Verlag, Gernsbach

Die siebziger Jahre in Gernsbach

Die Feierlichkeiten zur 800-jährigen Geschichte der Stadt Gernsbach haben eine intensive Beschäftigung mit der lokalen Historie angestoßen. Dabei rücken nicht nur die vergangenen Jahrhunderte in den Mittelpunkt der Betrachtung, vielmehr wird auch die jüngere Vergangenheit zunehmend beachtet.

Ein wichtiges Jahrzehnt für Gernsbach waren die 1970er Jahre. Bislang nicht sonderlich beachtet, haben sie für die Entwicklung Gernsbachs herausragende Bedeutung. In diesen Jahren erhielt Gernsbach seine heutige Struktur. Nicht nur die Gemeindereform sorgte für veränderte Verhältnisse, neue kommunale Bauten veränderten das Gesicht von Gernsbach. Im Bereich Handwerk und Handel sorgten die Strukturänderungen für neue Formen des Kaufens und Verkaufens. Mit dem Jugendzentrum und dem Kommunalen Kino entstanden zwei neue Ausdrucksformen kulturellen Lebens. Bedeutsam war auch das Entstehen der Altstadtfeste, ursprünglich als Bürgerfest initiiert, von dem man nicht erwartete, dass es über 40 Jahre Bestand haben würde. Aber auch die Uranfunde im Waldbachtal hielten die Stadt in Atem. 

Dieser Beitrag kann nicht umfassend die gesamte Entwicklung des Jahrzehnts behandeln, anhand einzelner Ereignisse kann man schlaglichtartig den Puls der Zeit spüren.

Einschneidende Veränderungen in der Verwaltung

Anfang der siebziger wurde die Gemeindegebietsreform umgesetzt. Dieser Verwaltungsakt hatte das Ziel, leistungsfähigere Gemeinden zu schaffen. Durch diese größeren Verwaltungseinheiten erwartete sich die damalige Landesregierung eine effizientere Arbeit in den Gemeinden.

Eingemeindung
Die Eingemeindungen von Staufenberg, Lautenbach, Reichental und Obertsrot-Hilpertsau bestimmten das lokalpolitische Geschehen in den siebziger Jahren.

Im Zuge der dieser Gemeindereform kamen Staufenberg  (1.1.1971), Lautenbach (1.1.1973), Obertsrot-Hilpertsau (1.7.1974) und Reichental (1.1.1975) zu Gernsbach hinzu.

Bereits bei der ersten Eingliederung von Staufenberg gab es vorab viele Abstimmungen. Von den knapp 800 abgegebenen Stimmzetteln stimmten 629 für „Ja“ (79 Prozent). Eine der Forderungen Staufenbergs nach einem beheizten Freischwimmbad im Hahnbachtal wurde der Stadt Gernsbach zurückgegeben und erhitzte noch lange die Gemüter. Die Eingliederung Lautenbachs lief in ruhigeren Bahnen. Letztlich wurde in einem Festakt der ausscheidende Bürgermeister Alois Schiel feierlich verabschiedet. Hilpertsau und Obertsrot fusionierten 1970. Die beiden Gemeinden verbanden schon längst viele Gemeinsamkeiten. Recht zügig wurde das 19 Paragraphen umfassende Schriftstück über den Eingemeindungsvertrag mit Gernsbach erarbeitet und schließlich zum 1. Juli 1974 unterzeichnet. „Ab 1.1.1975 gehört Reichental zur Stadt Gernsbach“, so beginnt die Titelseite des Stadtanzeigers 1975. Damals wurde in der Silvesternacht durch den Bürgermeister Oswald Sieb über die Ortsrufanlage die Neuigkeit verkündet. Er ging in seiner Ansprache auch darauf ein, dass sich die Mehrheit der Reichentäler wohl für eine Eigenständigkeit der Gemeinde entschieden hätte, aber dies verwaltungsrechtlich nicht durchsetzbar war.

Bürgermeister Rolf Wehrle
Bürgermeister Rolf Wehrle (Mitte) mit Wolfgang Dieterle (links) und seiner Frau Irene. Foto: Stadtarchiv Gernsbach

Die Eingemeindungen waren ein wahrer Prüfstein für den neugewählten Bürgermeister Rolf Wehrle. Er hatte 1969 das Amt von dem langjährigen Bürgermeister August Müller übernommen und stand sogleich den Herausforderungen der Gemeindereform gegenüber, eine Aufgabe, bei der nicht nur er Neuland betrat.

Neubauten verändern das Gesicht der Stadt

Hochhaus Baccaratstraße
Der Neubau in der Baccaratstraße gehörte zu den ersten hohen Häusern in Gernsbach. Foto: Stadtarchiv Gernsbach

In Gernsbach wurde in den siebziger Jahren der Trend der Zeit, Hochhäuser in den Zentren und Hochhaussiedlungen an den Stadträndern zu bauen, ebenfalls umgesetzt. Die Entwicklung ging in Richtung autogerechte Stadt. Großbaustellen wurden begonnen, alte Häuser hatten wenig Fürsprecher, die siebziger Jahre waren eher ein Zeitalter des Abrisses.

Einschneidende Veränderungen fanden in der Waldbachstraße statt. Bis in die siebziger Jahre beherrschten eng aneinandergebaute kleine Häuser die schmale Straße. Die traditionelle Heimat von Handwerkern wie Schlosser und Drechsler sowie Händlern gehörte der Vergangenheit an. Die Häuser zeigten Spuren der Zeit, sie waren zum großen Teil sanierungsbedürftig. Nach und nach wurden sie abgerissen, auf den Freiflächen entstanden neue Parkmöglichkeiten für den rasant ansteigenden Individualverkehr. Es gab keine Blumenrabatte oder Baumpflanzungen, was die Straße nicht attraktiv machte. Heute ist die Straße mit seinem freigelegten Lauf des Waldbaches und dem unversperrten Blick auf die Stadtmauer eine Attraktion. Die Umgestaltung der Waldbachstraße kann als Gewinn für die Altstadt verbucht werden.

Alter Bauhof
Der alte Bauhof hinter dem Rathaus. Foto: Stadtarchiv Gernsbach

Einen völligen Wandel erfuhr in den Siebzigern auch der Bereich hinter dem heutigen Gernsbacher Rathaus. Dort war der Bauhof untergebracht. Das Rathaus platzte aus allen Nähten, ein Erweiterungsbau wurde beschlossen. Dazu musste der alte Bauhof abgerissen werden, er zog in ein neues Gebäude in der Nordstadt um.

Feuerwehrhaus
Das alte Feuerwehrhaus hinter der Kelter, heute Bereich Kelterplatz/Salmenplatz.

Auch auf dem nahen Kelterplatz waren die Bagger zu Gange. Die alte Kelter an der Gottlieb-Klumpp-Straße, ein großes städtisches Wohnhaus und das Feuerwehrhaus verschwanden. Lediglich das Anwesen Hofer befand sich nicht in städtischer Hand und trotzte den geplanten Veränderungen. Am 5. Mai 1973 wurde das neue Feuerwehrhaus in der Schwarzwaldstraße eingeweiht. Die Tage des Feuerwehrhauses in der Kernstadt gehörten der Vergangenheit an.

Auf den Wiesen, die einst zu dem Mädchenheim Bethesda gehörten, wurde ein Schulhaus errichtet: 1972/73 nahm die Realschule dort ihren Betrieb auf und wurde 1974 zur selbstständigen Bildungsanstalt erhoben. Federführend für diese Einrichtung waren Heinz Wiggert, Rektor der Volksschule, und Bürgermeister Rolf Wehrle, die ab 1970 alle Hebel in Bewegung gesetzt hatten, um eine Realschule schaffen.

Strukturelle Änderungen in Handel und Handwerk

Der Einzelhandel wandelte sich grundlegend: traditionelle Einkaufsmöglichkeiten wurden durch Selbstbedienungsläden und moderne Warenpräsentation ersetzt.

Bestes Beispiel dafür geben die Gernsbacher Bekleidungsgeschäfte jener Zeit ab: Das Modehaus Olinger wie auch Motex bieten ihre Waren in einer völlig geänderten Präsentation an. An der Hofstätte entsteht eine neue Filale von Motex, die sich auf Herrenbekleidung spezialisierte.

Siegeszug Altstadtfest beginnt

Beim ersten Altstadtfest 1975: Brückenmühle-Besitzer Karl Braun neben Bürgermeister Rolf Wehrle. Foto: Stadtarchiv Gernsbach

Das erste Altstadtfest 1975 zog Tausende von Besuchern in die Stadt, damit hatte keiner gerechnet. Die Straßen waren voller Menschen, die Stände der Vereine und Gruppen waren am Sonntag leergekauft. Vereine,

Gewerbetreibende und Gastronomen sowie Anwohner machten engagiert mit, die Altstadt zu einem Ort der Begegnung und zu einer Festmeile zu machen, bei der bürgerschaftliches Denken fröhlich zelebriert wird. Das Fest, das als einmalige Aktion geplant war, wurde nun jährlich abgehalten.

Bei den ersten Altstadtfesten führten die teilnehmenden Gruppen den Reingewinn der Festbewirtung zugunsten der Renovierung des Alten Rathauses ab. Die grundlegende Sanierung des Alten Rathauses fand in den Jahren 1976 bis 1979 statt – eine weitere kommunale Baustelle in den siebziger Jahren.

Übrigens war es beim 3. Altstadtfest 1977, als in den Kirchen an Hanns-Martin Schleyer gedacht wurde. Er war wenige Tage zuvor entführt worden, sein Schicksal war ungewiss. In der St. Jakobskirche mit Pfarrer Manfred Diegel und im Marienhaus mit Prälat Bruno Wittenauer fanden Gedenken für den entführten Arbeitgeber-Präsidenten statt, der Tage zuvor noch sein Kommen zum Altstadtfest angekündigt hatte.

Ausdruck des Zeitgeistes: Juze Gernsbach

Jugendzentrum
Das Juze in der Waldbachstraße. Foto: Gareus-Kugel

Mit dem Jugendzentrum e.V. wurde in den 1970er Jahren ein Verein geschaffen, der wohl aus dem Zeitgeist heraus entstand und von lokalen Akteuren getragen wurde. Anfänglich mit politischer Motivation ins Leben gerufen, entwickelte sich das selbstverwaltete Jugendzentrum schnell zu einem beliebten Treff der Jugend. Es bot einen Freiraum jenseits der kommerziellen beziehungsweise staatlich oder kirchlich regulierten Angebote. Weltanschauliche Auseinandersetzungen und kontroverse Diskussionen, gepaart mit alternativen Musikangeboten machten den besonderen Reiz des Treffs aus. Von Seiten der Stadtverwaltung wurde ein kleines Haus in der Waldbachstraße zur Verfügung gestellt. Die Ausgestaltung der Räume wurde von den Mitgliedern des Vereins organisiert, alte, ausrangierte Polstermöbel bildeten das Inventar, auch ein Klavier gehörte dazu. Prägnant war die Bemalung der Fassade des alten Gebäudes in Richtung Waldbachstraße.

Nach dem Abriss des Gebäudes fand der Umzug des Juze-Treffs 1977 in die ehemalige Papiermacherschule am Färbertorplatz statt. Auch hier hatte der Verein mit Bürgermeister Rolf Wehrle und Hauptamtsleiter Wolfgang Dieterle gewichtige Fürsprecher für ihr Anliegen, ein eigenverwaltetes Refugium zu haben. Der Verein Juze hatte als Aushängeschild die Open-Air-Konzerte im Kurpark, die eine starke Resonanz erfuhren. 1971 fand das erste Konzert statt, weitere folgten im jährlichen Rhythmus bis in die achtziger Jahre.

Drohender Uranabbau im Waldbachtal

Uran-Stein Waldbachtal
“Das Uran bleibt drin” wurde auf dem Stein im Waldbachtal graviert. Foto: Rolf Thilenius

Die Auswirkungen der weltweiten Ölpreiskrise 1973 bescherte der Bundesrepublik nicht nur autofreie Sonntage, sondern auch eine Suche nach alternativen Energiequellen. Die Kenntnis von Uranvorkommen im Waldbachtal ließ Pläne entstehen, diese wirtschaftlich abzubauen. Gegen dieses Vorhaben machten nicht nur Kritiker der Kernenergie mobil, sondern ließ auch eine Allianz von Naturschützern in Vereinen und Privatpersonen entstehen, die sich dem Abbau des Urans im Waldbachtal entgegensetzten. 1978 fand eine Bürgerversammlung in der Stadthalle statt, bei der über 600 Teilnehmer sich über die Pläne des Wirtschaftsministeriums informierten und ihren Bedenken für den Erhalt der Landschaft und gegenüber dem Sinn des Uranabbaus Luft machten.

Letztlich scheiterte das Unterfangen, weder die zu erwartende Menge noch die Qualität des Urans hatte die ersten Erwartungen erfüllt. Was blieb ist ein Stein im Waldbachtal mit der Aufschrift „Das Uran bleibt drin“, ein Relikt der damaligen Aktivisten, um auf die Probleme des Abbaus aufmerksam zu machen.

Abschied von scheinbar Unverrückbarem

Noch vieles mehr entstand in den siebziger Jahren: angefangen von der Neuordnung der Wasserversorgung bis hin zum Papierzentrum in der Scheffelstraße. Ein eigenes Kapitel wäre den sportlichen Leistungen in den Siebziger zu widmen, wie z.B. im Trampolinspringen. Von scheinbar unverrückbaren Gegebenheiten musste man Abschied nehmen: So machten sich schon Mitte der siebziger Jahre Verwaltung und Krankenhausleitung Sorgen um den Erhalt des Gernsbacher Krankenhauses. Die Dampflokomotiven verschwanden unspektakulär, was in der Rückbetrachtung gar nicht mehr genau datiert werden kann. Da bedarf es schon genaurer Sicht in die Archive, denn das eigene Erinnern täuscht so manches Mal.

Regina Meier

Dieser Beitrag erschien im “Gernsbacher Boten” 3/2019″ im Casimir Katz Verlag am 10. September 2019

Nach 50 Jahren zurück nach Berlin

Bereits im Editorial von Heft 1/2019 haben wir auf das Jubiläumsjahr 2019 für die Zeitschrift „Der Betriebswirt“ hingewiesen. Auch in dieser Ausgabe erlauben wir uns daher einen Rückblick auf die Zeitschrift aus dem Jahr 1950, in der Erich Kosiol eine umfangreiche Würdigung von Friedrich Leitner (1874 – 1945) veröffentlichte. Leitner, der auch als einer der Pioniere der Betriebswirtschaftslehre gilt, hat sich große Verdienste um die Anerkennung seiner Disziplin in der Hochschullandschaft erworben. Mit dem Beitrag „Auf den innersten Kern unternehmerischen Handels besinnen“ schauen wir auf die Leistung eines Vorreiters der Betriebswirtschaftslehre zurück.

2019 gibt es noch eine weitere runde Zahl für den Deutschen Betriebswirte-Verlag: 50 Jahre, nachdem der Verlag von Berlin nach Gernsbach wechselte, kehrt er nun wieder an seinen „Geburtsort“ zurück. Der Verlag Duncker & Humblot, Berlin, hat das Buchprogramm des DBV übernommen. 50 Jahre lang wurden die Geschicke des Verlags von der traditionsreichen Adresse Bleichstraße 20-22 in Gernsbach gelenkt. Nun werden die Weichen in dem nicht minder renommierten Domizil des Verlags Duncker & Humblot in Berlin gestellt.

Doch der Blick dieser Ausgabe ist nicht nur rückwärts gewandt. Gleich der erste Beitrag des Heftes behandelt ein brandaktuelles und zukunftgerichtetes Thema: unser Verhalten in den Social Media Kanälen. Prof. Dr. Ralf Kreutzer geht mit dem Thema sehr kritisch um. In „The Dark Side of Smartphone, Social Media & Co.” beleuchtet er Seiten des Social-Media-Verhaltens, die uns  zu denken geben.  Eine Darstellung einer arbeitswertstrategischen  Personalplanung „Der geplante Mensch im Unternehmen“ wagt Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup in seinem Beitrag. Die Zukunft nehmen auch Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl und Tamara Huber in ihrem Aufsatz „Das Potenzial der Strategischen Vorausschau zur Reduktion kognitiver Verzerrungen“ in Blick. Ebenso verhält es sich mit den Ausführungen von Prof. Dr. Christoph Mingtao Shi und Johannes Leopold Köppl über „Chinas Umwelt: Herausforderungen, Lösungsansätze und Politiktrends“. Eine ökonomische Betrachtung des Bildungsmarktes unternehmen Prof. Dr. Marita Balks und Philipp S. Kummer in ihrem Beitrag „Marktchancen im Nachhilfe-Bildungsmarkt“.

Somit vereint auch diese Ausgabe nicht nur die verschiedenen Ebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern bietet auch eine breite Palette an behandelten Themen.

Viel Vergnügen beim Lesen dieser Ausgabe

wünscht

Regina Meier
Redaktion
Der Betriebswirt

Editorial „Der Betriebswirt“ Ausgabe 3/2019