Wenn ein Künstler Objekte für eine Ausstellung vorbereitet, ist dies immer ein Wagnis. So war auch Hermann Künert aufgeregt, als seine Objekte für die international besetzte Ausstellung zur Papierkunst in Deggendorf ausgewählt wurden. Wir hätten uns gefreut, bei der Vernissage von Papier Global dabei sein zu können. Doch die Corona-Regelungen ließen nur eine begrenzte Personenanzahl zu. So beschränkten sich die Organisatoren auf die Künstler und Presse. (Letztlich zeigte sich, dass wir just an diesem Tag im Ausland weilten.) Wir haben es bedauert, aber bei 69 Künstler aus aller Welt mit Freunden und Familie hätte das tatsächlich sämtliche Rahmen gesprengt. Umso mehr haben wir uns gefreut, jetzt endlich diese Ausstellung ansehen zu können.
Wir haben das gleichzeitig verbunden mit erholsamen Tagen in Deggendorf im Bayrischen Wald. Dazu haben wir die Langlauf-Ski eingepackt, die Landschaft und auch die heimische Küche genossen.
Doch der Besuch der Papierkunst-Ausstellung war eindeutig der Höhepunkt dieser Bayern-Fahrt. So viele Ideen, so viel handwerkliches Können, so viele kreative Umsetzungen – was alles aus dem Werkstoff Papier geschaffen werden kann!
Angefangen von dem Werkstoff – handgeschöpftes Papier, Wellpappe, Zeitungspapiere. Staubsaugerbeutel, Fotos, Puzzle-Teile (ich kann gar nicht alle Materialien aufzählen, geschweige denn einen Überblick über die Verarbeitungen dieser Papiere geben – gewachst, gerollt, gezupft, geklebt, geschnitten…) Die Beschreibungen könnten weitergeführt werden. Ein Fazit bei dieser Ausstellung hat sich schnell ziehen lassen: man muss sie selbst gesehen haben.
Selbstverständlich haben wir als erstes die Werke von Hermann aufgesucht. Sie waren gleich zentral im Eingangsbereich platziert. Und dank des Hinweises von Hermann, dass man zwischendrin die Beleuchtung der Vitrine abschalten soll, hatten wir ein spannendes Erleben dieser Papyrographien.
Hier in Deggendorf stellt er weitere Arbeiten aus der Serie K’sReisen aus. Ferne Orte werden mit gerupften, mehrlagigen Papieren zu Leben erweckt. Landschaften und Stadt-Silhouetten lassen sich deutlich erkennen. Dazu passend immer ein treffende Literaturstelle, von Hand geschrieben. So findet sich bei der Stadtansicht Dresden ein Text von Canaletto, anno 1747: “Bin heute in Dresden angekommen, stehe staunend am Ufer der Elbe mit Blick auf das eindrucksvolle Panorama dieser Stadt.” Ja, staunend standen auch wir vor diesem Werk.
Bei den weiteren Kunstwerken, die in dieser Ausstellung versammelt sind, weiß man gar nicht, mit welchem man anfangen soll, es vorzustellen.
Sicherlich fällt einem das größte Objekt der Austellung sofort ins Auge. “Der gebeutelte Mann” von Uli Schmid. Erst auf den zweiten Blick realisiert man, dass die sitzende Figur aus lauter Staubsaugerbeuteln besteht! Wie aus der Beschreibung der Ausstellungsaufbau hervorgeht, musste der Künstler die einzelnen Teile des Werkes getrennt anliefern, zu voluminös und zu diffizil waren die Bestandteile. Der Eindruck ist überwältigend.
Das gilt auch für das unverwechselbare Stück von Sabine Naumann-Cleve. Sie hat sich mit “Memento”, eine Arbeit aus alten schwarz-weißen Familienfotos, 2018 und 2019. Das im Raum schwebende Kunstwerk nimmt einen gefangen, beim genauen Betrachten des Gebildes erkennt man, dass die papiernen Fünfecke aus Streifen aus alten Schwarzweiß-Fotografien bestehen, die an den jeweiligen Kanten aneinandergeklebt wurden.
Wie die Künstlerin auf ihrer Webseite beschreibt , umkreisen ihre Arbeiten “hauptsächlich Themengebiete rund um Konsum und Wirtschaftswachstum und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Natur mit ihren artenreiche Ökosystemen, deren Zerstörung den gesamten Planeten in Gefahr bringen”. Da hätte ich mir noch mehr Zeit gewünscht, dies Werk zu betrachten.
Die Lichtinstallation von Alexander Stern, hat als Hintergrund lauter Zeitungspapierknäuel. Sicher ist für diesen Künstler die Ausstellung in der bayrischen Stadt etwas ganz Besonderes, ist er doch gebürtiger Deggendorfer. Aus seinem Werk “Nööö” springt einem das Licht sofort entgegen, wenn man den Ausstellungsraum betritt.
Die Ausstellung beschränkte sich nicht nur auf das Stadtmuseum, sie wurde in den Räumlichkeiten des Handwerksmuseums fortgesetzt. Dort waren wir gefesselt von dem Objekt von Helene Tschacher. Über ihre Arbeit bei der Auswahl der Kunstwerke hinaus, ihrer Organisation von Kongressen und Symposien sowie Herausgabe von Büchern, Katalogen und Veröffentlichungen zum Thema Papier in internationalen Zeitschriften und Foren, trägt sie ebenfalls ein Werk zu dieser Ausstellung bei. Aus ihrem ureigensten Metier hat sie das Werk “Ich liege im Streit mit meinen Gedanken”, Bildbände geschnitten, verformt, montiert. Ungewohnte Sicht auf ein altbekanntes Buchteil.
Und wer nach all dem Betrachten der Kunstwerke auch noch etwas mit nach Hause nehmen wollte, kam auch auf seine Kosten. Da gabs jede Menge attrativer Geschenke, bis hin zu interessanten Broschen und Colliers aus Papier.
Zum Schluss des Besuchs konnten wir ein klares Fazit ziehen: das Wagnis hat sich für die Künstler gelohnt. Und keine Frage, für uns auch.
Mehr über die Ausstellung mit Hermann Künerts Arbeiten im “Schwarzwälder Boten” vom 7. Oktober 2021